Morde auf Philippinen: Zeugen werden nächste Opfer
Weil der Schutz von Zeugen politischer Morde auf den Philippinen nicht funktioniert, gehen diese bei Aussagen gegen politisch Mächtige ein sehr großes Risiko ein.
In politischen Mordprozessen stützt sich in den Philippinen die Anklage oft nur auf wenige Zeugen. Sie riskieren mit ihrer Aussage die nächsten Opfer zu werden - wie etwa Suwaib Upham. Er gehörte zur Privatarmee des mächtigen Ampatuan-Clans in der Provinz Maguindanao. Die Ampatuans, Verbündete der am 30. Juni aus dem Amt geschiedenen Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, sind mutmaßlich verantwortlich für ein Massaker an 57 Personen, darunter 32 Journalisten. Am 23. November 2009 wurde die Ehefrau eines politischen Rivalen des damaligen Gouverneurs Andal Ampatuan Sr. und ihre gesamte Entourage ermordet. Freunde, Anwälte und Journalisten, mehrheitlich Frauen, wollten die Politikergattin zur Wahlregistrierung ihres Mannes begleiten. Mehrfach hatten die Ampatuans Wahlen gewonnen, weil niemand gegen sie zu kandidieren gewagt hatte.
Der Zeuge Upham war selbst am Massaker beteiligt. Kurz darauf wechselte er reumütig die Seiten und beschuldigte im Fernsehinterview die Clanchefs der Tat. Er wusste, dass er damit sein Leben riskierte und beantragte Zeugenschutz. Vergeblich. Am 14. Juni war immer noch nicht über seinen Antrag entschieden worden. An dem Tag wurde Upham von Unbekannten erschossen. Laut dem Opferanwalt Harry Roque hatte Andal Ampatuan Jr. aus der U-Haft heraus 45.000 Dollar Kopfgeld auf den Kronzeugen ausgesetzt.
Upham hatte sich mehrfach öffentlich zu einer offiziellen Zeugenaussage bereit erklärt, sofern er ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen würde. Laut Roque gab es zwei Termine bei der staatlichen Menschenrechtskommission, zu denen jedoch kein Vertreter des Justizministeriums erschien. Vielmehr forderte das Ministerium Up-ham auf, dort auszusagen. Doch der fürchtete den Einfluss der Ampatuans auf die Beamten.
Der bisherige Justizminister Alberto Agra betonte nach Uphams Ermordung, dass dieser am Massaker beteiligt gewesen sei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vermutet, dies könnte ein Grund sein, warum er nicht ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde. Das Versagen des Staates beim Schutz des Kronzeugen wecke starke Zweifel am politischen Willen der Regierung, die Verantwortlichen des Massakers zur Rechenschaft zu ziehen, so die Organisation.
Das philippinische Rechtssystem ist schwach. Politisch mächtige Clans wie die Ampatuans haben großen Einfluss auf die Justiz. Beweise werden manipuliert, Zeugen bestochen, bedroht oder ermordet. Ermittlungen zu politischen Morden führen nur selten zu einer Verurteilung der Täter. Als im Dezember 2008 der Menschenrechtsaktivist Arnaldo Hoyohoy auf der Insel Negros erschossen wurde, gab es viele Zeugen. Niemand sagte aus. "Sie hatten Angst," sagt der Bruder des Opfers. Hoyohoy hatte sich für Kleinbauern eingesetzt und damit gegen den mächtigen Teves-Clan gestellt. Sein Mord wurde mangels Aussagen nie aufgeklärt, so wenig wie die Ermordung des Anwalts der Bauern.
Das unterfinanzierte Zeugenschutzprogramm des Justizministeriums versagt gerade in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen. Oft dauert es Monate, manchmal Jahre, bis über die Aufnahme entschieden wird. Internationale Menschenrechtsorganisationen fordern seit Jahren eine Verbesserung des Zeugenschutzprogramms.
Der neue Präsident Benigno "Noynoy" Aquino hat die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, Leila de Lima, zur neuen Justizministerin ernannt. Sie hatte in ihrer bisherigen Funktion schon Kontakt zum Kronzeugen Upham. De Lima erklärte die Reform des Zeugenschutzes zur Priorität, besonders im Hinblick auf die Aufklärung des Maguindanao-Massakers. Upham hatte noch kurz vor seiner Ermordung geplant nach Manila zurückzukehren in der Hoffnung, unter der neuen Regierung endlich ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!