piwik no script img

Morddrohungen an Chef von "Contravia"Das wahre Gesicht

Wegen Reportagen über Massaker und Geiselnahmen hat der TV-Journalist Hollman Morris Ärger mit der Regierung Kolumbiens - und Todesangst.

Hollman Morris bekommt Probleme, weil er im Februar eine Geiselübergabe der Farc gefilmt hatte. Bild: dpa

BOGOTÁ taz Betont pomadig reagieren die Sicherheitsleute auf die Frage nach dem Apartment von Hollman Morris. Beinahe widerwillig kontrollieren sie den Ausweis und geleiten den Besucher mit Pistole im weißen Holster zu der schweren Tür des Apartments im dritten Stock.

Kaum ein Tag ist im Februar vergangen, an dem nicht neue digitale Morddrohungen im E-Mail-Postfach der Produktionsfirma des Journalisten eingegangen sind, dessen Arbeit von vielen europäischen Botschaften geschätzt und finanziert wird. "Die waren anonym oder mit Fantasienamen wie ,Deine Mutter' signiert", erzählt Morris.

Der 40-Jährige hat als Chef der Fernsehsendung "Contravia" (Gegenfahrbahn) schon viele Morddrohungen erhalten. Doch diesmal weiß er nicht, wie es weitergeht, ob es überhaupt weitergeht. Wie werden die internationalen Geldgeber auf die wiederholten Attacken des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez gegen Morris reagieren? "Ich hoffe inständig, dass sie sagen: ,Oh nein, dieses Projekt wird nicht sterben.' "

An den Pranger hat die kolumbianische Regierung Morris gestellt, weil er Anfang Februar eine Geiselübergabe der Farc gefilmt und obendrein Interviews gemacht hatte. Prompt setzte das Militär Hollman Morris, dessen Team und die beiden bekannten Reporter Jorge Enrique Botero und Daniel Samper fest und pochte auf die Herausgabe des Materials. Morris weigerte sich mit Verweis auf die Informationspflicht der Medien. Wenig später erklärte Staatschef Uribe die drei Journalisten öffentlich zu "Komplizen des Terrors".

Dieser Vorwurf kann in Kolumbien lebensgefährlich sein. In den letzten 30 Jahren wurden nach Angaben der kolumbianischen Stiftung für die Pressefreiheit (Flip) 130 Journalisten in Kolumbien ermordet. Wenn die Regierung Beweise habe, dass die Journalisten mit der Farc kooperieren, dann solle sie diese der Justiz übergeben, mahnte Flip-Direktor Carlos Cortés Castillo. Zudem forderte er mehr politischen Schutz für die Arbeit der Journalisten. Bei der Regierung stießen kolumbianische wie internationale Appelle auf taube Ohren. Präsident Uribe regte sogar an, den Personenschutz, den Hollmann Morris aufgrund eines Urteils der Internationalen Menschenrechtskommission in Kolumbien erhält, zu beenden.

"Diese verbalen Angriffe, denen nie Beweise folgen, gehören längst zum Repertoire der Einschüchterung des Präsidenten", sagt Kolumbiens international bekannter Menschenrechtsvertreter Iván Cepeda. Der Koordinator der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen in Kolumbien und Kolumnist der Tageszeitung El Espectador ist genau wie Morris mehrfach vom Präsidenten beschimpft und verunglimpft worden.

Morris hatte in den vergangenen zwei Wochen in Bogotá alle Hände voll zu tun, um gegenüber seinen Geldgebern den Sachverhalt zu erklären. Denn "Contravia" ist ein Fernsehprojekt, das unter anderem von der Europäischen Union finanziert wird. Die Fernsehsendung hat den Sendeauftrag, Demokratie und Menschenrechte in Kolumbien zu stärken, und zeigt ein regimekritisches Bild Kolumbiens.

Mit Reportagen über Massaker, Verschwundene, Entführungen, aber auch über den Widerstand der Friedensgemeinden, der indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften gegen den Bürgerkrieg hat "Contravia" international Aufmerksamkeit erregt. Auszeichnungen von Human Rights Watch und zahlreiche Journalistenpreise hat die Sendung, die von einem kleinen, vierköpfigen Team produziert wird, bereits erhalten.

Wegen der Attacken aus dem Präsidentenpalast ist das aktuelle Projekt von Morris Producciones stark gefährdet. "Wir arbeiten an einer Dokumentation über den Bürgerkrieg in Kolumbien und wollen den Film ins Kino bringen", erklärt Juan Pablo Morris, die rechte Hand seines Bruders Hollman. Seit drei Jahren arbeiten sie gemeinsam an dem heiklen Projekt. Ein Aspekt des Films mit dem Arbeitstitel "Zwischen Erinnerung und Straflosigkeit" ist besagte Farc-Geiselnahme. Ob die Bilder jemals gesendet werden, ist derzeit jedoch vollkommen unklar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!