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Mord in KansasUS-Abtreibungsarzt erschossen

In der Eingangshalle einer Kirche in Kansas ist der prominente Abtreibungsarzt George Tiller ermordet worden. US-Präsident Obama verurteilt die Tat.

Tiller polarisiert auch noch nach seinem Tod: Anhänger und Gegner des Arztes in Wichita. Bild: dpa

WICHITA afp | In den USA ist der prominente Abtreibungsarzt George Tiller einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Nach Behördenangaben wurde Tiller am Sonntagmorgen auf dem Weg zum Gottesdienst am Eingang der Lutheranischen Kirche seines Heimatorts Wichita im US-Bundesstaat Kansas erschossen. Wenige Stunden nach der Tat nahm die Polizei einen Verdächtigen fest.

Nach Polizeiangaben wurde Tiller kurz nach 10.00 Uhr Ortszeit in der Eingangshalle der lutherisch-reformierten Kirche in Wichita erschossen, wo er an einem Gottesdienst teilnehmen wollte. Der mutmaßliche Täter, ein 51-jähriger Mann, flüchtete zunächst in einem blauen Ford, wurde nach Angaben der städtischen Behörden aber drei Stunden später gefasst.

US-Präsident Barack Obama zeigte sich schockiert über den Mord. "Ganz gleich wie groß die Differenzen der Amerikaner bei so schwierigen Themen wie Abtreibungen sein mögen, sie können nicht durch abscheuliche Gewalttaten gelöst werden", hieß es in einer vom Weißen Haus in Washington veröffentlichten Erklärung.

Laut Justizminister Eric Holder, der den Anschlag ebenfalls scharf verurteilte, erhielten die zuständigen Bundesbehörden Anweisung, potenziell gefährdete Menschen und Einrichtungen verstärkt zu schützen.

Tillers Familie erklärte nach dem Anschlag, der Arzt habe "sein Leben dem Ziel gewidmet, Frauen trotz ständiger Drohungen und Gewalt eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewähren". "Wir möchten, dass er als guter Ehemann, Vater und Großvater sowie als leidenschaftlicher Diener der Frauenrechte überall in Erinnerung bleibt", zitierte der Fernsehsender KWCH TV aus der Erklärung.

Etwa 500 Menschen fanden sich auf einem Platz in Wichita mit Kerzen zu einer Mahnwache für Tiller ein. Die Anti-Abtreibungsgruppe Operation Rescue, die auf ihrer Webseite in einer Rubrik namens "Tiller Watch" zum Vorgehen gegen den Mediziner aufrief, distanzierte sich in einer Erklärung von der Tat und von "Selbstjustiz".

Tiller war einer der wenigen Ärzte in den USA, die noch Abtreibungen im letzten Schwangerschaftsdrittel vornehmen. Der 67-Jährige und seine Klinik waren wiederholt Zielscheibe militanter Abtreibungsgegner. 1986 wurde die Klinik bei einem Bombenanschlag schwer beschädigt. Sieben Jahre später schoss eine Frau in seiner Klinik auf ihn; er überlebte mit Schusswunden in beiden Armen. Die Attentäterin erhielt elf Jahre Gefängnis. Immer wieder hielten Abtreibungsgegner vor seiner Klinik in Wichita Kundgebungen ab.

Im März wurde Tiller von dem Vorwurf freigesprochen, 2003 insgesamt 19 illegale Abtreibungen vorgenommen zu haben. Während des Prozesses wurde bekannt, dass er jahrelang unter Polizeischutz stand, nachdem sein Name an prominenter Stelle einer Todesliste von Abtreibungsgegnern aufgetaucht war. Spätabtreibungen sind in Kansas zulässig, wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander zu dem Schluss kommen, dass die Gesundheit der Mutter bei der Geburt schweren Schaden nehmen könnte.

Die Abtreibungsdebatte wird in den USA seit Jahrzehnten heftig geführt. Obama war vor zwei Wochen von Abtreibungsgegnern kritisiert worden, nachdem er sich in einer Rede für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen hatte, zugleich aber eine Versöhnung der verfeindeten Lager forderte. Die Abtreibungsgegner empören sich zudem über die Ernennung der ehemaligen Gouverneurin von Kansas, Kathleen Sebelius, zur Gesundheitsministerin. Sie war eine Bekannte des Abtreibungsarztes Tiller.

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2 Kommentare

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  • P
    Paula

    @ DR. Mueller

    Lieber Doktor, was wir manchmal vergessen, ist das good old America wesentlich christlicher ist als Westeuropa. Schonmal in New York durch die Straßen gegangen? Einer Glaubensgemeinschaft anzugehören ist und bleibt in weiten Teilen der USA quite normal. Demzufolge ist das Kreuzkriechertempelaufsuchen nicht zwangsläufig eine provokante Handlung, sondern eine bei pro- sowie als auch bei contra-choice-Anhängern eine ganz normale Sache :)

  • DM
    dr. mueller

    Unverständlich bleibt, warum Dr. George Tiller überhaupt so einen moralinsaueren Kreuzkriechertempel aufgesucht hat. Damit hat er möglicherweise selber sozusagen seinen Aura-Panzer beschädigt und den Attentäter geradezu magisch angezogen.