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Mord „Im Namen des Deutschen Volkes“

■ Eine Ausstellung des Bundesjustizministers nimmt die Geschichte der Robenträger unter die Lupe

Es ist nicht leicht, sich durch den Parcours der gut 120 Stelltafeln zu schlängeln, doch es lohnt sich, den deutschen Juristen zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik unter die Roben zu schauen. „Im Namen des Deutschen Volkes — Justiz und Nationalsozialismus“ heißt eine Ausstellung, die im Auftrag des Bundesjustizministeriums erarbeitet und jetzt in der Unteren Rathaushalle zu sehen ist.

Ein feines Völkchen ist der Juristenstand im Kaiserreich, ein Herrenvölkchen, versteht sich: national, antidemokratisch, Monarchisten mit Monokel, Kaiserbart und Schmisse. Wer unter den Hohenzollern nach seiner juristischen Ausbildung Referendar werden will, muß 1.500 Mark Jahresunterhalt nachweisen,sonst braucht er gar nicht erst anzutreten. Das Durchschnittseinkommen beträgt zu dieser Zeit etwa 750 Reichsmark pro Jahr. Man bleibt unter sich.

Und das ist ihr Geist. „Was die Wehrmacht nach außen ist, das muß die Rechtspflege nach innen sein“, forderte 1912 die Deutsche Richterzeitung. Ein Amtsgerichtsrat aus Dresden legte 1911 ein schriftliches Zeugnis seiner Gesinnung ab: „Der Richter steht zum Angeklagten wie der Offizier zum Untergebenen.“

Diesen Justizapparat übernimmt die Weimarer Republik. „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“, verspricht die Verfassung ihren BürgerInnen, die Rechtspraxis straft sie jedoch täglich Lügen. Politische Morde sind an der Tagesordnung, Luxemburg, Liebknecht, Eisler, Rathenau, Erzberger, die Taten werden gar nicht, oder — zum Hohn ihrer Opfer — mit läppischen Strafen geahndet. Luddendorf wird nach dem Hitler-Putsch freigesprochen, Hitler selbst nach wenigen Monaten begnadigt.

Auf diesen Apparat können die Nazis bedenkenlos bauen. Mit den Notstandsgesetzen und dem Ermächtuigungsgesetz schaltet Hitler das Parlament aus, mit den Rassegesetzen wird die jüdische Bevölkerung schrittweise zunächst aus dem öffentlichen Leben gedrängt, dann systematisch verfolgt und ermordet. Politische Gegner geraten in die Mühle einer Strafgerichtsbarkeit, die sich kritiklos vor den Karren der NSDAP spannen läßt. In alle Bereiche des Lebens drängen die Rechtsverdreher: Händler werden boykottiert, Liebesverhältnisse zur „Rassenschande“ erklärt, eine Religion wird zur Rasse, und wo kein Paragraph zur Hand ist, wird einer aus dem Boden gestampft.

Diesem Abschnitt der deutschen Juristengeschichte ist der weitaus gröte Teil der Ausstellung gewidmet. In zahlreichen Einzelurteilen, Gesetzesauszügen, Vollstreckungsbefehlen wird dokumentiert, wie sich ein ganzer Berufsstand zum Diener der Nazi-Herrscher machte. Im „Namen des Deutschen Volkes“ wurde gemordet und gefoltert, wurde der Unrechtsstaat durch Paragraphen manifest. Die Kontinuität in der deutschen Geschichte wird kaum deutlicher nachzuzeichnen sein als hier.

Und wie selbstverständlich laufen die Kontinuitäten auch nach 1945 weiter, einer der Gründe, warum die Ausstellung erst 1989 fertiggestellt werden konnte. Wie zuvor die Weimarer Republik greift auch die BRD auf die „Erfahrungen“ der Nazi-Juristen zurück. Der Präsident des Celler Oberlandesgerichtes, Freiherr Hodo von Hodenberg, denkt anläßlich der Eröffnung des OLG am 16.3.1946 an das schreckliche Jahr, in dem in Celle nicht Recht gesprochen worden sei. Er meint das Jahr zwischen Kapitulation und Wiedereröffnung.

Solche Fälle sind die „harmlo

seren“. Zahlreiche Stützen des Nazi-Regimes übernehmen nach 1945 juristische Schlüsselpositionen im bundesdeutschen Rechtsapparat. Sie entlasten ihre Kollegen, die zwölf Jahre lang Todesurteile wegen „Rassenschande“, Diebstahl und Desertion verhängt hatten.

Dieser Teil der Ausstellung könnte der Grundstock zu einer Folgeausstellung werden, die dann auch die Geschichte des Rechtswesens in der DDR ausführlicher thematisieren müßte. Markus Daschner

Viel Zeit sollten Sie mitnehmen, wenn Sie bis zum 15.3.in die Untere Rathaushalle wollen (täglich 10.00 — 18.00 Uhr), und möglichst 17,50 Mark für den Katalog, der bei diesem Ausstellungsumfang unverzichtbar ist.

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