Moral: Grosz Geschichte
Die Bremer Kunsthalle und Nachfahren des Malers streiten unversöhnlich um zwei Bilder von George Grosz: Was für die einen ordnungsgemäß gekauft ist, heißt für die anderen zu Unrecht verscherbelt.

Es ist die hohe Stunde des Ungefähren und der besorgten Zurückhaltung in zwei Richtungen: "Wie die Echternacher Springprozession" empfinde er die Senats-Antwort auf seine Anfrage, so der Bremer Die Linke-Abgeordnete Jost Beilken, die gestern debattiert wurde - "zwei Schritte vor, einer zurück". Aber wie sollte sie auch anders klingen?
"Wir stehen", gibt Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) vom Rednerpult bekannt, "der Kunsthalle nicht uninteressiert an der Seite" - das ist das Mindeste, was man gemeinhin vom Kultursenator erwarten würde. Und doch auch das Äußerste, was er sagen kann, ohne den größten Kulturträger der Stadt, den Kunstverein, zu brüskieren. Der ist privat. "In rechtlicher Hinsicht", heißt es deshalb in der Regierungsantwort, "gibt es keine Mitverantwortung des Senats". Man sei "nicht verfahrensbeteiligt", enthalte sich der Bewertung, müsse das sogar. Außer im ganz Allgemeinen. Und da verneigt sich der Bürgermeister vor der anderen Seite des Konflikts: "Ich möchte", so Böhrnsen, "niemals in einem Museum vor einem Bild stehen, das jüdischen MitbürgerInnen geraubt worden ist." Kunsthalle - Nachfahren von Nazi-Opfern, das sind, verkürzt, die beiden Seiten, die miteinander streiten. Seit sieben Jahren, nicht ununterbrochen - aber unversöhnlich. Um zwei Gemälde des Berliner Malers George Grosz im Bestand der Bremer Kunsthalle.
Grosz war vielleicht der politischste Künstler der Weimarer Republik, Antimilitarist und Genius der Karikatur. Er wäre, das ist klar, eines der ersten Opfer des Nazi-Regimes geworden. Schon in der Frühe des 31. Januar 1933 stürmte die SA seine Wilmersdorfer Wohnung. Sie fand die Räume leer. Grosz war am 12. Januar nach New York emigriert.
Es sind untypische Werke, vor allem das in üppigen Farben gehaltene "Stilleben mit Okarina" von 1931, aber auch das drei Jahre jüngere, schwarzhumorige "Pompes funèbres", sprich Sarggeschäft. Beide hatte das Bremer Museum in den 1970ern ordnungsgemäß erstanden.
Aber war das legal? Und selbst wenn: Wars moralisch vertretbar? Der Münchner Galerist Ralph Jentsch bestreitet das. Vor sechs Jahren hatte er schon einmal angekündigt, die beiden Bilder abholen zu lassen, und auch prompt eine Spedition beauftragt. Damals vertrat Jentsch die Interessen der Maler-Söhne Peter und Marty, das Ziel: Ein Grosz-Museum in Berlin einzurichten. Peter Grosz ist 2006 gestorben. Das Projekt aber ist geblieben - und entsprechend die Restitutionsforderung. Derzeit klagt man in New York, gegen das Museum of Modern Arts. In Bremen vertritt sie der Marburger Anwalt Markus Stötzel, der zugleich die Erben des Galeristen Alfred Flechtheim vertritt. Dem hatte der Maler die fraglichen Werke schon in Berlin überlassen, in Kommission. "Grosz blieb Eigentümer", so Stötzel, "das ist für uns klar." Der Verkauf der Bilder nach Flechtheims Tod im Exil, im Jahr 1937 bei einer Auktion im Amsterdam, sei "eindeutig verfolgungsbedingt" gewesen.
Gerade das sei nicht der Fall, so Andreas Kreul, Chefkurator der Kunsthalle. Die hat in diesen Fragen keinen schlechten Ruf: So hat der Kunstverein erst 2006 ein Renaissance-Gemälde aus dem eigenen Bestand für 40.000 Euro gekauft, von Erben des enteigneten Kunsthändlers Paul Graupe - aufgrund eigener Forschungsergebnisse.
Im Fall Grosz ist man sich über die Herkunft einig. Aber nicht über deren Bewertung. "Die Auktion fand in Amsterdam statt", sagt Kreul, "das war nicht besetzt, Holland stand doch da nicht unter dem Einfluss der Nazis." Sicher. Es spricht auch viel dafür, dass sich diese Position juristisch als haltbar erweist: Wien hat bereits offiziell ähnliche Forderungen von Jentsch zurückgewiesen, und das New Yorker Verfahren - nun, man wird sehen.
"Die Frage muss doch sein", so dagegen Stötzel, "ob das ohne die Naziherrschaft so gelaufen wäre." Weder der Maler, noch die Flechtheim-Erben hatten Nachricht von der so genannten Nachlass-Versteigerung in Amsterdam. Die Werke, so Stötzels Einschätzung, wurden verscherbelt. Ein niederländischer Galerist hatte sie beim Auktionshaus eingeliefert - ohne Rechtstitel - und selbst mitgeboten. Bloß: Das war ein privates Geschäft. Und dafür hat der Staat in rechtlicher Hinsicht keine Mitverantwortung.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!