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Moral stinkt nicht

DDR-Sportler wollen mehr Geld, und mehr Geld gibt's nur im Westen / Abwanderungsstop über moralischen Druck  ■ H A G E N B O ß D O R F S S P O R T K O L U M N E

Der Sumpf des Geldes war auch im staatsamateurisierten DDR -Sport nie ernsthaft trockengelegt. Die kollektiven Wandertage in den Westen zeigen nun, wie wichtig die knisternden Geldscheinchen vielen DDR-Topathleten schon immer als Antrieb für ihre durchtrainierten Leibesübungen waren. Daß manch einer sich nur nach einer Schlammschlacht verabschieden kann, stimmt besonders traurig. Bei ihren Anhängern hinterlassen die Abgänger vielerorts Enttäuschung, bei ihren Mitläufern und Mitspielern genausooft Entsetzen über die Unart und Weise ihres deutsch-deutschen Ortswechsels.

Im Handball sind die Lücken besonders groß. Nach Dutzenden werden die Flügelwechsler gezählt. Beim DDR-Meister des Vorjahres und Europacup-Finalisten ASK Frankfurt/Oder meldeten sich gleich acht Spieler gehorsam ab. Zum Glück bekamen die Armeesportler die sportliche Quittung umgehend serviert. Der Ex-Champion krepelt irgendwo in den Niederungen des Oberliga-Mittelfeldes herum.

Auch in Rostock und Leipzig kommen die Handball-Männer aus den Abschiedsfeiern kaum mehr heraus. Falls es überhaupt was zu feiern gibt. Es soll mir keiner erzählen, es wäre die berühmte sportliche Herausforderung (wie vielleicht bei den Radsportlern), die zum Wechsel einlädt. Die meisten Spieler gehen zu Vereinen, wo die Worte „Meisterschaft“ und „Europacup“ vollkommen außerhalb des Vorstellungsvermögens liegen.

Glücklicherweise regiert auf dem Handball-Thron der DDR seit voriger Woche sowieso ein neuer König. Nach 19 Jahren Meisterschaftsanläufen als „Dynamo“ mußte erst ein Namenswechsel kommen. Der 1. SC Berlin ist neuer DDR-Meister und damit Teilnehmer am neugeborenen Deutschland-Cup und am lukrativen Europapokal.

Es mag mehrere Gründe für den Berliner Handball-Sturmlauf geben. Aber einer davon ist ganz gewiß, daß es Trainern und dem Geschäftsführer gelungen ist, die Spieler in Berlin zu halten. Daran war weniger ein spektakuläres Umfeld mit größerem materiellen Anreiz schuld, als vielmehr die moralische Stimulation.

Nun taucht am Horizont eine gesamtdeutsche Handball-Liga auf, und der bisher bundesligalose Standort Berlin ist äußerst verlockend. Da hofft man, die Spieler auch im nächsten Jahr vor allem moralisch aufmöbeln zu können.

Und Moral stinkt bekanntlich nicht, auch wenn manche darüber geringschätzend die Nase rümpfen.

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