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Montagsinterview"Dieser Hass hat mich erschreckt"

Die Regisseurin Gudrun Herrbold hat ein Theaterprojekt mit Spielern des Fussballvereins BFC Dynamo inszeniert. Und dabei die Feindschaften zu anderen Vereinen kennengelernt.

taz: Frau Herrbold, Sie machen ein Theaterstück über den BFC Dynamo. Mal ehrlich: Von welchem Fußballverein sind Sie eigentlich Fan?

DieRegisseurin macht Theater mit Laien: In ihrem Stück "Dynamoland" lässt sie junge Fußballer und Fans des BFC Dynamo auf der Bühne sich selbst spielen. Kein einfaches Thema: Erich Mielke hatte den Club gegründet und protegiert, der BFC war in der DDR als Stasi-Verein verhasst. Heute gerät er wegen gewaltbereiter rechter Fans in die Schlagzeilen. Eine Welt, von der Gudrun Herrbold nichts wusste. Die 40-Jährige stammt aus Westdeutschland und wohnt in einem Dachgeschoss in Mitte. Im vergangenen Jahr ist sie zu Spielen des BFC gegangen, hat sich mit Fans und Fußballern getroffen - und Stasi-Akten gewälzt. Heute um 19 Uhr feiert "Dynamoland" im Theater an der Parkaue Premiere.

Gudrun Herrbold: Von gar keinem. Ich bin in Leverkusen groß geworden. Für mich waren Fußballfans, die ich aus dem nahe gelegenen Ruhrgebiet kannte, eher Säufer und Prolls. Das war überhaupt nicht meine Welt. Bayer Leverkusen hatte damals auch nicht so viel Erfolg wie heute.

Fußball bedeutet Ihnen nichts?

Ich bin eine typische "Ab-Europameisterschaft-aufwärts"-Guckerin. Die WM letztes Jahr fand ich grandios. Mich interessieren vor allem diese übersteigerten Emotionen, das Theatrale rund um den Fußball. Je größer das Ereignis, desto eher passiert das. Ich komme eben aus dem Theaterbereich. Bundesliga-Spiele finde ich todlangweilig.

Warum haben Sie sich für das Theaterstück dann ausgerechnet einen Verein ausgesucht, der in der Oberliga kickt?

Weil es mir dabei um etwas anderes geht. Ich arbeite mit Jugendlichen auf der Bühne, also mit Laien. Als klar war, dass ich eine Produktion für das Theater an der Parkaue in Lichtenberg mache, habe ich überlegt: Was sind das für Jugendliche, die dort leben? Ich habe bei Google "Lichtenberg" und "Sport" eingegeben. Und kam so auf den BFC Dynamo. Ein spannender Fall, dieser Verein zwischen Stasivergangenheit und Hooligangegenwart.

Also eher ein Zufallstreffer?

Ich wohne zwar seit 19 Jahren in Berlin, aber der BFC ist mir vorher noch nicht untergekommen. Das war für mich ein völlig fremdes Terrain. Ich bin dann erst mal zu einem Mike-Polley-Gedenkturnier gegangen. Das war ein BFC-Fan, der Anfang der 90er in Leipzig von der Polizei erschossen wurde. Einerseits haben sich meine Erwartungen voll erfüllt. Muskulöse Männer mit Tätowierung und Glatze standen auf und um den Platz. Banner hingen herum mit Aufschriften wie "Euer Hass macht uns stärker". Andererseits kommen zum BFC auch Linke aus der ehemaligen Punk-Rock-Szene der DDR der 80er-Jahre. Frauen und Kinder sitzen herum. Das hat auch was von einem Familienausflug.

Sie sind bei BFC-Spielen auch mehrmals in den Fanblock gegangen.

Das war dann schon weniger familiär. Im Fanblock stehen hauptsächlich Männer. Die Stimmung ist aufgeladen, auch wegen der vielen Polizisten in Kampfanzügen und mit Hundestaffeln. Auf jeweils zwei oder drei Fans kommt ein Beamter. Eine gespenstische Atmosphäre.

Hatten Sie Angst?

Höchstens ein mulmiges Gefühl, aber die Neugier überwog. Ich war ja nicht alleine. Wir sind mit mehreren Frauen aus dem Team da rein. Die Fans haben natürlich mitgekriegt, dass wir mit dem Verein nichts zu tun haben. Es kamen Kommentare wie: "Na ihr Nazi-Uschen". Die Fotografin wurde als "Pressefotze" beschimpft. Ich wusste das nicht recht zu deuten. Ist das nur eine Frotzelei, oder steckt da mehr dahinter? Zweimal sind wir vom Fanblock auf die VIP-Tribüne gewechselt, weil wir die Lage am Spielende nicht einschätzen konnten.

Sieht man unter den Fans viele Rechte?

Man erkennt schon eindeutige Symbole wie eine tätowierte 88 auf dem Hals - zweimal der achte Buchstabe des Alphabets, das steht für Heil Hitler. Aber vieles konnte ich nicht so leicht zuordnen. Ich dachte vorher, ich würde die Codes verstehen. Aber da standen nicht nur Glatzen in Bomberjacken. Das war alles viel diffuser. Es blieb nur so ein Gefühl, dass man mit den meisten Leuten eigentlich nicht so richtig was zu tun haben will.

Sie mussten aber mit ihnen Kontakt aufnehmen. Sie wollten ja, dass einige beim Theaterstück mitmachen.

Ja. Ich habe Fans angesprochen, aber die haben mich voll abblitzen lassen. Die haben nicht mit mir geredet. Erst über private Kontakte habe ich zwei ältere Fans noch aus Ostzeiten für die Produktion gewinnen können. Vom BFC selbst sind mehrere Spieler aus der A- und B-Jugend auf der Bühne. Um die geht es. Wir repräsentieren mit dem Stück also nicht den BFC Dynamo als Ganzes.

Wie haben die jungen Spieler auf Sie, eine Frau, Westdeutsche, Intellektuelle reagiert?

Ich intellektuell? Ich habe mein Germanistikstudium nach drei Wochen abgebrochen

Sie sind auf jeden Fall ganz anders als die Leute aus dem BFC-Umfeld.

Darauf können wir uns einigen. Ich bin nicht greifbar für die, als Frau und Nichtfan. Ich bin sozusagen das personifizierte Alien, ein irritierendes, aber nicht provozierendes Gegenüber. Darin lag auch meine Chance. Die Jugendlichen haben mitgemacht.

Die Fußballer erzählen auf der Bühne von ihrer Sicht auf den BFC. Spielt die Vereinsgeschichte für sie noch eine Rolle?

Schon, wenn auch nicht direkt. Der BFC Dynamo war ja in der DDR als Stasi-Verein sehr verhasst. Das hat damals eine Reihe von jungen Männern angezogen, die es geil fanden, Fan von so einem Verein zu sein. Die wollten provozieren, auch die eigenen Leute vom BFC. Da der Staat links war, schrien sie rechte Parolen, um zu schockieren. Es gab auch einige, die ins rechte politische Lager überwechselten und sich da organisierten. Das ist der große Mythos des BFC, dass es dieses Fanpotenzial bis heute gibt, die Nazi-Skin-Hools sozusagen.

Wie beeinflusst dieser Mythos die jungen Spieler, die bei Ihrem Stück mitmachen?

Die werden ständig damit konfrontiert. Wenn sie zu Auswärtsspielen fahren, hören sie: Ihr Scheißossis! Ihr Nazikinder! Glatzen! Einige von ihnen sagen dann: Wenn ich im Westen beleidigt werde, bin ich erst recht stolz darauf, ein Ostberliner zu sein. Das hat mich wirklich überrascht: Die sind alle nach der Wende geboren. Trotzdem ist die Unterscheidung Ost und West für sie unheimlich wichtig.

Früher war der FC Union der Hass-Gegner, heute sind es die Westvereine?

Es spitzt sich vor allem bei Spielen gegen Migrantenvereine zu. Das ist das Riesenthema unter den Jugendlichen, nicht die Stasi-Vergangenheit oder die Hooligans. Bei einem Spiel gegen SG Anadoluspor, einem türkischen Verein aus Kreuzberg, kam es zum Beispiel zu einer Schlägerei auf dem Feld. Die Partie musste abgebrochen werden. Davon haben mir die jungen Spieler erzählt. Sie waren sehr aufgebracht. Dann fallen schon irritierende Bemerkungen. Ich höre mir das an, aber habe manchmal schwer zu schlucken.

Die Jugendlichen sind ausländerfeindlich?

Beide Seiten, die "Ossis" und die "Ausländer", wie sie sich gegenseitig nennen, sind schwer verfeindet. Diesen Hass zu spüren, das hat mich schon sehr erschreckt. Die BFC-Spieler, die bei dem Stück mitmachen, gehen auf das Gymnasium. Das sind nicht irgendwelche Prolls. Ich habe ein Gegenüber, mit dem ich reden kann, das ich nicht von vornherein in eine Schublade stecke, und trotzdem kommen dann irgendwann diese Anfeindungen.

Die Jugendliche spielen sich auf der Bühne selbst. Wie gehen Sie als Verantwortliche mit solchen Äußerungen im Theaterstück um?

Wir wollen den Tretminen des Themas nicht einfach aus dem Weg gehen. Wir wollen die Probleme benennen und die Jugendlichen zu Wort kommen lassen. Das ist unser Konzept: Wenn ich mich auf Laien einlasse, muss ich sie auch ernst nehmen. Selbst wenn es manchmal heikel ist.

Weil Sie ihnen eine Bühne geben?

Ja. Wir reden im Team sehr viel darüber. Betreiben wir eine Verharmlosung? Die Jugendlichen machen ja ihre eigene Legendenbildung. Was sie sagen, ist ihre subjektive Realität. Aber ich denke, man muss das ein Stück weit aushalten, weil es das eben gibt. Es ist ja genau ihre Innenansicht, die uns interessiert. Wie wächst man in so einem politisierten Umfeld auf? Wie bilden sich da Identitäten? Wie positionieren sich die Jugendlichen? Für mich ist vieles neu, ich kenne das aus meiner Jugend so nicht.

In was für einem Umfeld sind Sie groß geworden?

In sehr bürgerlichen Verhältnissen. Meine Eltern waren beide Künstler, alle anderen aus unserem Viertel haben bei Bayer gearbeitet. Der Konzern ist die Stadt. Es war ein sehr homogenes Umfeld mit eindeutigen, bürgerlichen Regeln. Auch die Jugendliche vom BFC leben in geordneten Verhältnissen. Der Unterschied ist, dass es bei ihnen diese heftigen Gegnerschaften gibt.

Die wollen Sie im Stück nun darstellen?

Die Jugendlichen erzählen davon, wir flankieren ihre Aussagen nur. Damit es nicht zu einseitig wird, spielen wir zum Beispiel ein Interview mit den Leuten von Anadoluspor ein. Da hört sich das alles ganz anders an.

Haben Sie schon mal bereut, dass Sie sich auf die Produktion eingelassen haben?

Bauchschmerzen habe ich schon. Gerade jetzt, weil es nun rausgehen wird. Ich bin heute Morgen mit dem Gedanken aufgewacht: Warum machst du nicht ein Stück mit türkischen Migranten? Das wäre viel einfacher, weil politisch korrekt. Da würden dir alle auf die Schulter klopfen.

Was haben Sie für sich mitgenommen aus der Produktion?

Unsereins geht ins Theater oder zu Lesungen, hat Migranten im Freundeskreis, das ist meine Berliner Normalität, mein Alltag. Durch das Theaterstück habe ich den Blickwinkel geändert. Und bin nachhaltig erschrocken. Ich hatte nie Angst, bei der Recherche von einem Nazi verprügelt zu werden. Aber ich habe jetzt Angst vor dem, was ich in dieser Jugendkultur an latenten Ressentiments vorgefunden habe.

Heute Abend ist Premiere. Unter den Zuschauern werden bestimmt auch viele BFC-Fans sein. Haben Sie Ordner besorgt?

Wir haben ein Sicherheitskonzept entworfen. Es werden keine Securitys am Eingang stehen. Aber es gibt für den Fall der Fälle einen Wachschutz, der schnell vor Ort sein kann.

Wenn alles vorbei ist: Werden Sie wieder mal zu einem BFC-Spiel gehen?

Ich muss sagen: Das Bedürfnis habe ich nicht. Zu einigen Leute werde ich bestimmt Kontakt halten. Aber ins Stadion gehen? Das ist nicht der Ort, wo ich sagen würde: Da kann ich mich entspannen und habe eine gute Zeit. Ich bin fremd geblieben.

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