Montagsinterview mit Union-Spieler Karim Benyamina: "Hier in der Hauptstadt will man schon die Nummer eins sein"

Karim Benyamina ist ein Berliner Gewächs durch und durch. Von den Fußballkäfigen im Märkischen Viertel hat er sich hochgekickt bis zum Zweitligisten Union Berlin. Die harte Schule des Straßenfußballs sei eine gute Vorbereitung für seine Profikarriere gewesen, sagt er. Heute träumt er davon, mit Union in die Erste Liga aufzusteigen.

"Ich hatte nie Nachteile dadurch, dass ich einen algerischen Papa habe - im Gegenteil." Bild: Amelie Losier

taz: Herr Benyamina, waren Sie einmal Hertha-Fan?

Karim Benyamina: Nicht wirklich. Man war schon auch für die eigene Stadt, in der man aufgewachsen ist, aber so ein richtiger Fan war ich nie.

Und für welche Mannschaft waren Sie als Jugendlicher, der im Märkischen Viertel aufgewachsen ist?

Früher war ich immer für Dortmund. Das hat aber nichts mit der Stadt zu tun. Aber die Spieler haben mir damals besser gefallen, waren interessanter für mich.

Als Sie mit dem Fußballspielen begonnen hast, gab es da schon den Wunsch, einmal Fußball-Profi zu werden?

Ich habe ziemlich spät angefangen, mit zwölf. Und erst mal ging es nur darum, Spaß zu haben mit den eigenen Freunden. Aber es hat nicht lange gedauert, da habe ich schon daran gedacht. Wenn man die jungen Profis im Fernsehen gesehen hat, die vielen Zuschauer, doch, da war das schon ein Gedanke. Und dann bin ich einfach drangeblieben.

Erst mit 12 Jahren begann Benyamina mit dem Vereinsfußball. Von Babelsberg abgesehen hat er bis heute nur bei Berliner Klubs das Leder getreten. Stationen: MSV Normania 08, 1. FC Lübars, Berliner AK 07, Reinickendorfer Füchse und Union Berlin.

Bei Union wurde er vor fünf Jahren unter Vertrag genommen und ist mittlerweile der Rekordtorschütze des Vereins. Als er zum damaligen Oberligisten wechselte, trauten ihm viele nicht mehr als diese Spielklasse zu. Doch er kam auch nach den Aufstiegen immer wieder zu seinen Einsätzen und erzielte letzte Saison in der Zweiten Liga sechs Tore für Union.

Sein Traum, in die algerische Nationalmannschaft berufen zu werden, hat sich noch nicht erfüllt.

Und Ihr Club Union Berlin hat Ihnen eine Profikarriere ermöglicht.

Es ist in Berlin sehr schwer, mit Fußball Geld zu verdienen. Hier in der Stadt gibt es nur zwei Vereine, die professionell arbeiten: Hertha und Union. Bei allen anderen Klubs muss man nebenher noch arbeiten. Jetzt kann ich meinen Traum leben. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Was wären Sie geworden, wenn es mit der Profikarriere nicht geklappt hätte?

Ich habe eine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker gemacht. Ich habe Nebenjobs gemacht und viel gearbeitet. Als ich zu Union gewechselt bin, konnte ich ja nicht mehr arbeiten, weil wir auch in der Oberliga schon zwei Mal am Tag Training hatten. Damit war die Entscheidung für den Fußball gefallen.

Haben Sie immer daran geglaubt, dass Sie es schaffen, Profi zu werden?

Ich habe schon viel Hoffnung darangesetzt, schon als ich noch im Fußballkäfig gekickt habe. Ich wusste, wie schwer es ist, in Berlin überhaupt Arbeit zu finden. Die Arbeitslosenrate ist relativ hoch. Ich hatte schon immer auch die Angst, irgendwann arbeitslos zu sein, obwohl ich eine Ausbildung habe. Deshalb habe ich viel darangesetzt, dass ich mit Fußball Geld verdienen kann.

Wie hart ist eine Jugend in einem Fußballkäfig im Märkischen Viertel?

Es gibt sicher härtere oder schlimmere Ecken auf der Welt als das Märkische Viertel. Ich denke, jede Stadt hat solche Käfige, in denen die Jugendlichen Fußball spielen können. Ja, es war hart, aber es gibt härtere Sachen.

Was war hart?

Man musste immer seinen Platz verteidigen. Viele wollten da spielen, und manche hat man eben nicht mitspielen lassen. Man musste immer um Anerkennung kämpfen.

Was kann man im Käfig lernen? Profitieren Sie als Profi davon?

Ich glaube, dass ich ein guter Kämpfer bin, dass ich eine starke Willenskraft habe. Man spielt da ohne Schiedsrichter, man ist unter sich, da wird oft gefoult, ohne dass es geahndet wird. Wenn man damit klarkommt, hat man schon viel mitgenommen für den weiteren Werdegang als Spieler.

Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihren Jugendfreunden?

Ich bin ja immer in Berlin geblieben. Da ist es nicht ganz so schwer, den Kontakt zu den alten Freunden aufrecht zu erhalten. Man kann sich verabreden, sich mal treffen, auch wenn manchmal nicht viel Zeit ist. Freunde sind wichtig. Ich fahre auch noch oft ins Märkische Viertel und treffe mich mit Leuten, mit denen ich mich schon vor sieben Jahren getroffen habe. Da hat sich nicht viel geändert.

Spielen Sie dann auch wieder im Käfig?

Ja, klar, wenn es geht, im Urlaub. Natürlich nicht mehr so intensiv wie früher. Ich passe dann schon auf meine Knochen auf. Aber ein bisschen Schießen, ein paar Tricks, den Ball hochhalten, das geht immer noch. Man muss sich ja den Spaß am Fußball erhalten.

Sind Sie ein typischer Berliner?

Ich fühle mich zu 100 Prozent als Berliner.

Was macht Berlin für Sie aus?

Berlin ist eine große Stadt. Ich fühle mich wohl in der Stadt. Ich komme mit vielen Leuten klar, in den unterschiedlichsten Bezirken. Im Osten gibt es andere Leute als im Westen. Das ist alles Berlin. Ich fühle mich als Berliner, weil ich einfach Berliner bin.

Welche Rolle spielt es dabei, dass Sie einen algerischen Vater haben?

Ich hatte nie Nachteile, dadurch, dass ich einen algerischen Papa habe - im Gegenteil. In Berlin gibt es ja viele Mischlinge oder Ausländer, von daher hatte ich gar keine Probleme. Wo ich aufgewachsen bin, sowieso nicht.

Und bei Auswärtsspielen, sind Sie da angefeindet worden?

Bei manchen Spielen, bei bestimmten Vereinen hat man sich als ausländisch aussehender Typ schon Beleidigungen anhören müssen. Aber das war normal im Berliner Fußball. Das hat dazugehört, um den Gegner zu provozieren. Das war jetzt aber nicht so schlimm. Ich habe mir das nie so zu Herzen genommen.

Haben Sie es bei den Unionern schwerer als einer, der etwa aus Köpenick kommt?

Für die Fans macht das keinen Unterscheid, woher du kommst. Für die Fans ist es wichtig, dass du Leistung zeigt, dass du hinter dem Verein stehst, dass du kämpfst. Und die letzten Jahre bei Union waren ja nicht so schlecht. Du muss dir halt den Arsch aufreißen, dann hast du keine Probleme. Aber das ist ja überall so.

Wie wichtig waren in diesem Zusammenhang die drei Tore, die Sie beim legendären 8:0 im Oberligaduell gegen den noch aus DDR-Zeiten verhassten Erzrivalen BFC Dynamo geschossen haben?

Wir Spieler wussten zwar, dass es da in der Vergangenheit so manche Sachen gegeben hat. Ich war damals erst 24. Und mir war nicht so extrem bewusst, was da dahintersteckt. Für mich war einfach nur wichtig, dass wir gewinnen, dass ich treffe, Tore mache - was man als Stürmer eben so machen will. Was wir damit auslösen, war uns nicht bewusst. Unvorstellbar, dass das Ergebnis noch fünf Jahre später auf der Anzeigetafel stand.

Das war der Startschuss für Ihren Aufstieg mit Union. Jetzt spielen Sie Zweite Liga und auch da machen Sie Ihre Tore.

Das Entscheidende ist, dass man nie aufgibt, dass man immer versucht, besser zu werden, dass man nie zufrieden ist mit dem, was man erreicht hat. Das ist letztlich der Grund dafür, dass ich auch in der Zweiten Liga Tore schießen kann.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Arbeit bei Union Berlin ausreichend gewürdigt wird? In der Aufstiegssaison waren Sie einer derjenigen, die erst ganz spät einen Vertrag für die Zweite Liga unterschrieben haben.

Das lag ja nicht nur am Verein. An Vertragsverhandlungen sind ja immer zwei Seiten beteiligt. Ich war mir selbst nicht ganz klar, ob ich vielleicht einmal etwas anderes ausprobieren wollte. Und jetzt bin ich froh, dass es sich so entwickelt hat, dass ich weiter hier spielen darf.

Die Union-Fans hängen sehr an ihrem Verein. Spürt man da als Spieler eine besondere Verpflichtung?

Ich will als Fußballer - egal, für welchen Verein ich spiele - immer 100 Prozent geben. Aber das gelingt eben nicht immer. Und da hat man schon ein extrem schlechtes Gewissen gegenüber den Fans. Wenn wir zu Hause verlieren, dann fällt es schon schwer, nach dem Spiel in die Kurve zu gehen. Aber die Fans helfen uns dann auch, indem sie uns zeigen: Kopf hoch, Jungs, weiter gehts, beim nächsten Mal wirds besser. Das ist einmalig.

Was ist das Besondere an den Unionern?

Hier ist es viel familiärer. Die Fans kümmern sich darum, dass der Nachwuchs an den Klub herangeführt wird, dass man an Union festhält über Generationen. Die Fans würden alles tun für Union. Das merkt man auch als Spieler. In anderen Vereinen gibt es so etwas nicht.

Sie spielen im sechsten Jahr bei Union. Sind Sie der Spieler, den die Neuzugänge fragen, wie der Klub tickt?

Wie die Sitten im Verein sind, klar, wer wo für was zuständig ist, das werde ich schon gefragt. Und überhaupt. Auch was Berlin angeht: Wo man hingehen kann, wo man essen kann, wo man Möbel herbekommt. Ich kann den Spielern viel über den Verein sagen und ich kann ihnen viel über Berlin sagen.

Denken Sie an einen weiteren Aufstieg? Würden Sie gerne in der Ersten Liga spielen?

Man wäre kein Fußballer, wenn man sich mit irgendetwas zufrieden geben würde, mit der Zweiten oder der Dritten Liga. Natürlich will man in der besten Liga gegen die besten Fußballer spielen. Das Beste wäre natürlich, mit Union in die Erste Liga aufzusteigen.

Kann Union das irgendwann schaffen?

Union ist jetzt frisch in der Zweiten Liga und muss sich erst mal etablieren. Wir stehen vor einem schweren zweiten Jahr. Dem Verein geht es jetzt besser als in der Vergangenheit. Jetzt gehören auch Spieler zum Kader, die schon höherklassig gespielt haben. Man wird sehen, was daraus wird.

Dirk Zingler, der Präsident, hat kürzlich gesagt, bei Union müsse man immer mal wieder auch mit einem Abstieg rechnen. Haben Sie Angst vor dem Absturz?

Wir sind Fußballer, wir wollen gewinnen und wir kucken nicht nach unten, wir kucken nach oben. Wenn wir unser Potenzial ausschöpfen können, werden wir mit dem Abstieg nichts zu tun haben.

Als es im letzten Jahr für Union gut lief, hat sie so mancher schon im WM-Team der algerischen Nationalmannschaft gesehen. War das denn realistisch?

So unrealistisch war das gar nicht. In der Nationalmannschaft stehen auch ein paar Spieler, die in der algerischen Liga spielen. Und ich denke, die deutsche Zweite Liga ist besser als die algerische Erste Liga. Aber Algerien ist immer so ein heißes Pflaster, da weiß man nie, was man glauben kann und was nicht. Deshalb war es zwar schön, im Gespräch gewesen zu sein, aber so viel Hoffnungen habe ich mir dann doch nicht gemacht. Zum entscheidenden Kontakt mit der Nationalmannschaft ist es letztlich nicht gekommen

Wie gut kennen Sie Algerien?

Sehr gut. Bis vor fünf Jahren war ich jedes Jahr im Urlaub bei meiner Familie in Algerien.

Sie sprechen auch die Sprache?

Gebrochen, aber ich kann mich verständigen.

Werden Sie hier manchmal gefragt, ob sie denn Deutsch können?

Quatsch. Und wenn schon! Das merken die dann schon an der Antwort, dass ich Deutsch kann.

Mit der Ausnahme Babelsberg haben Sie immer in Berlin gespielt, bei beinahe allen größeren Klubs. Gab es auch einmal Kontakt zu Hertha?

Als ich 20 war und bei den Reinickendorfer Füchsen gespielt habe, hatte ich mal ein Probetraining bei den Hertha-Amateuren. Meiner Meinung nach habe ich super trainiert. Ich hätte mich sofort genommen. Aber das wurde dann nichts, weil die im Umbruch waren, nicht wussten, wer kommt, wen sie nehmen sollen.

Schade?

Das war halb so wild. Ich bin ja dann bei Union gelandet. Bin ich auch froh drüber.

Und jetzt habt ihr die Chance, gegen Hertha zu gewinnen. Ist das das Spiel des Jahres?

Jetzt mal ehrlich: Gegen Hertha gibt es drei Punkte zu vergeben - mehr nicht. Gegen Mannschaften wie Paderborn gibt es auch nicht mehr.

Wird überhaupt über etwas anderes gesprochen in der Kabine als über das große Derby am nächsten Freitag?

Bis jetzt ist es komplett ruhig in der Mannschaft. Worüber gesprochen wird, ist die Verteilung der Eintrittskarten. Viele Freunde fragen, ob da nicht was möglich ist. Die wollen das sehen. Das ist es, was uns beschäftigt.

Wie viele Karten haben Sie zu vergeben?

Ich weiß nicht genau. Ich, glaube jeder kriegt fünf. Mal sehen.

Vor dem Spiel ist Union aber in einer besseren Situation. So richtig verlieren kann doch nur Hertha.

Die sind natürlich Favoriten mit ihrer Mannschaft, mit ihren guten Spielern. Aber wenn wir gegen Hertha verlieren, würde mich das extrem treffen. Hier in der Hauptstadt will man schon die Nummer eins sein.

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