Montagsinterview mit Heinz Dürr: "Frauen schauen mehr rechts und links"
Der ehemalige Bahnchef nennt sich konservativ und redet wie ein Linker. Außerdem glaubt er: Mit mehr Frauen in Führungspositionen hätte es die Finanzkrise nicht gegeben.
taz: Herr Dürr, am Anfang eines Interviews ist man ja immer etwas angespannt. Sie sollen da so eine Entspannungstechnik haben.
Heinz Dürr: Das stimmt. Die hat mir vor Jahrzehnten ein nach Brasilien ausgewanderter jugoslawischer Ingenieur beigebracht.
Können Sie die mir mal zeigen?
Sie müssen sich auf den Boden legen. Ganz flach.
So?
Genau so. Und jetzt legen Sie Ihre Hände auf den Bauch und konzentrieren sich auf das Sonnengeflecht. Ich mache das immer, wenn ich im Stress bin. Als ich Bahnchef war, kam mal einer in mein Büro herein und sagte: "Au, jetzt ist der Dürr umgefallen!" Dabei habe ich mich nur entspannt.
Und wie lange geht das?
Heinz Dürr wird am 16. Juli 1933 in Stuttgart geboren. In den 60ern übernimmt er den mittelständischen Betrieb seines Vaters und baut die spätere Dürr AG zu einem der weltweit führenden Unternehmen für Lackieranlagen auf.
Deutschlandweit bekannt wird Dürr als Metallarbeitgeberpräsident im Südwesten. 1978 handelt er mit Franz Steinkühler von der IG Metall einen aufsehenerregenden Tarifkompromiss aus.
In den 80er-Jahren soll er die vom Bankrott bedrohte AEG sanieren, die wenige Jahre später ein Bestandteil des Daimler-Konzerns wird. Das endgültige Aus der AEG muss er nicht mehr miterleiden: Helmut Kohl fragt ihn am 3. Oktober 1990, ob er Bahnchef werden will. Er behält den Job bis 1997.
Im Jahr 2008 sind im wjs Verlag seine Memoiren erschienen: "In der ersten Reihe. Aufzeichnungen eines Unerschrockenen".
Dürr und seine Frau Heide leben in Dahlem. Sie sind seit 1957 verheiratet und haben drei Töchter.
Das ist ein bisschen wie bei einem Motor. Wenn der zu heiß läuft, dann schalten Sie ihn ab und lassen ihn nach 15 Minuten wieder an. Beim Menschen geht das etwas schneller. Nach sieben Minuten können Sie wieder hochkommen.
Da läuft uns aber die Zeit davon. Wie wärs mit einer anderen Lockerungsübung? Drei kurze Fragen, drei kurze Antworten. Trollinger aus Württemberg oder Berliner Pilsner?
Beides. Je nach Stimmung. Aber nicht durcheinander.
Maultaschen oder Currywurst?
Was soll ein Schwabe da sagen?
Staatstheater Stuttgart oder Berliner Ensemble?
Deutsches Theater. Ich war schon zu DDR-Zeiten immer im Deutschen Theater. Da gab es einen Kombinatsdirektor, mit dem ich in meiner Zeit als AEG-Chef zu tun hatte. Und der sollte bei den Premieren immer an der richtigen Stelle klatschen. Der wollte aber ungern ins Theater, also bin ich für ihn hingegangen.
Was macht für Sie denn gutes Theater aus?
Theater ist für mich Arbeit an der Gesellschaft. Was die Bühnen jetzt also zeigen müssten, ist: was in dieser Kaste der Investmentbanker los ist. Bei diesen selbst ernannten "Masters of the Universe", wie sie Tom Wolfe in "Fegefeuer der Eitelkeiten" als Erster genannt hat.
Was ist Ihre Lehre aus der Krise?
Dass der Finanzbereich wieder Dienstleister für die reale Wirtschaft werden muss. Denn die ist es doch, die das produziert, was die Menschen zum Leben brauchen. Diesen Stuhl hier, den Tisch, Autos, Häuser, Essen.
Der Grund, warum Sie nach der Wende nach Berlin kamen, war die Bahn. Sie sollten die Bundesbahn und die ehemalige DDR-Reichsbahn zusammenführen. Ihr Büro hatten Sie ausgerechnet im früheren Büro von Spionagechef Markus Wolf. Wie war das?
Im Büro selber war alles weiß gestrichen, da war nichts mehr mit Stasi-Flair. Aber hinter dem Büro war noch ein Ruheraum mit olivgrünen Wänden und Häkelvorhängen. Meinen Gästen aus Bonn habe ich aber immer etwas anderes gezeigt: die Toilette von Markus Wolf, das war so eine mit einer Kette zum Ziehen. Ich habe denen dann immer gesagt: "Auf dieser Schüssel saß einer der mächtigsten Männer der DDR."
"Man muss heute Berliner sein, in Stuttgart läuft man doch im Kreis", haben Sie mal gesagt. Was macht Berlin für Sie aus?
Die Theater, die Museen, die Galerien. Die Menschen. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich auch schon bei "Partner für Berlin" Stadtmarketing gemacht. Da war ich mal in Dublin und habe denen von der Love Parade erzählt.
Was genau haben Sie erzählt?
"One million people. They dance, they sing, they drink and they make love." Kurz darauf kamen 60 Iren für ein Wochenende nach Berlin.
Inzwischen braucht Berlin keine Love Parade mehr, um sexy zu sein. Aber die Stadt ist ja bekanntlich nicht nur sexy, sondern vor allem auch arm.
Ach, der Spruch von Wowereit. Aber es stimmt ja: Die Probleme Berlins sind enorm. 50 Prozent der alleinerziehenden Frauen sind Hartz-IV-Empfänger. Wir haben eine geteilte Stadt.
Sie mussten sich als Manager schon vieler schwieriger Fälle annehmen, AEG und Bahn vorneweg. Wie würden Sie Berlin aufmöbeln?
Zunächst einmal müsste man schauen, was genau die Probleme sind. Es ist ja zum Beispiel gar nicht so, dass die Kinder der Türken in Kreuzberg alle verwahrlost sind, wie immer behauptet wird. Viele dieser Familien haben ein ordentliches mittleres Einkommen. Man müsste die Situation also erst genau analysieren und nicht gleich pauschale Urteile fällen …
… wie es Exfinanzsenator Thilo Sarrazin mit seinen Sprüchen getan hat.
Entscheidend ist: Wir brauchen mehr Arbeitsplätze. Aber die alte Industriestadt, als AEG und Siemens hier ihren Hauptsitz hatten, wird Berlin natürlich nie mehr. Berlin muss seine Chance anderswo suchen: im Tourismus, in der Kultur, vielleicht auch in den erneuerbaren Energien und der Umwelttechnik.
In Ihren 2008 erschienenen Erinnerungen tauchen allerlei mächtige Männer auf: Kohl, Schmidt, Schleyer, Steinkühler. Frauen kommen kaum vor. War das die alte Deutschland AG: Eine Männerrunde, die bei Whiskey und Zigarre in Hinterzimmern die Geschicke lenkte?
Ja, das war eine Männergesellschaft. Das war so.
Heute haben wir eine Kanzlerin, von den Ministern ist Ursula von der Leyen eine der beliebtesten. Und selbst schwäbische Maschinenbauer wie der Weltmarktführer Trumpf haben eine Frau als Chef. Besser so?
Manche sagen ja, mit mehr Frauen in Führungspositionen wäre uns die Finanzkrise erspart geblieben.
Glauben Sie das auch?
Ich glaube, da ist was dran, ja. Frauen schauen mehr rechts und links als die Männer, die meisten zumindest. Die Männer haben oft so einen Tunnelblick, sie sind stur auf ein Ziel gerichtet. Das war schon zu Urzeiten so: Die Männer waren die Jäger, die Frauen die Sammler.
So einfach ist das?
Na ja, das ist jetzt natürlich klischeehaft. Aber richtig ist: Wir brauchen mehr Frauen an der Spitze. Und da gibt es in Deutschland noch viel zu tun. Ich sehe das bei meiner Tochter Alexandra, die ist Neurogenetikerin in Frankreich. Und obwohl sie zwei Kinder hat, kann sie das wunderbar organisieren. Die Franzosen unterstützen berufstätige Frauen viel besser als wir hier.
Da hat sich doch in Deutschland inzwischen auch etwas getan.
Aber am Ziel sind wir erst, wenn die Deutsche Bank eine Frau als Vorstandsvorsitzende hat.
Man hat Sie in jungen Jahren den "roten Dürr" genannt, Unternehmen waren für Sie immer "gesellschaftliche Veranstaltungen". Einige Jahrzehnte später lebt der Flaschnermeistersohn Heinz Dürr in einer Villa des Architekten David Chipperfield, Ihr Büro ist in bester Lage am Gendarmenmarkt. Wie gehen Reichtum und soziale Verantwortung zusammen?
Ein Einfamilienhaus in Dahlem und das Büro hier würde ich noch nicht als reich bezeichnen.
Sie halten noch ein Drittel der Aktien an der Dürr AG. Das macht Sie zum Multimillionär.
Ein Teil des Aktienpakets hält ja auch die Heinz und Heide Dürr Stiftung von meiner Frau und mir, mit der wir unter anderem die frühkindliche Bildung fördern. Und im Übrigen: Die eigentlichen gesellschaftlichen Veränderungen sind schon immer von Wohlhabenden gekommen, nicht von unten.
Revolutionen ausgenommen.
Welche denn?
Der Sturm auf die Bastille …
Wer hat die Französische Revolution denn getragen? Die Bürgerlichen! Und die waren ja nicht gerade arm, die waren wohlhabend. Lesen Sie Balzac, seine "Comedié Humaine", da ist das alles genau beschrieben.
Zurück zu meiner Frage: Was heißt soziale Verantwortung für einen Unternehmer?
Das heißt: Der Gewinn darf nicht der ausschließliche Zweck sein. Natürlich müssen in einem Unternehmen die Einnahmen größer sein als die Ausgaben. Aber das kann nicht alles sein. Ein Unternehmen muss ordentliche Produkte erzeugen, sich um seine Mitarbeiter kümmern, um seine Geldgeber und heute natürlich auch um die Umwelt.
Sie haben einmal gesagt, dass die "unsichtbare Hand des Marktes" manchmal auch die falschen Hebel betätige.
Und deshalb braucht es eben jemanden, der Regeln vorgibt und sie kontrolliert. Ein Laisser-faire-Vertreter war ich nie. An gewissen Stellen muss der Staat heute sogar die Führung übernehmen.
Wo denn?
Zum Beispiel bei den Ratingagenturen. Die haben bei der Finanzkrise keine gute Rolle gespielt, da muss der Staat jetzt ran. Oder nehmen Sie die Bahn: Wenn der Steuerzahler in das Schienennetz jedes Jahr ein paar Milliarden hineingibt, dann dürfen Sie das Netz nie irgendwelchen Spekulanten überlassen.
Zur Deutschen Bahn gehört auch die Berliner S-Bahn. Seit Monaten herrscht hier ein einziges Chaos, man kann noch nicht mal zuverlässig den Hauptbahnhof erreichen.
Die Eisenbahn ist ein sehr komplexes System, auch technisch, und die S-Bahn Berlin ganz besonders. Und dieses System muss in Schuss gehalten werden, Sie brauchen also eine vorbeugende Instandhaltung. Wenn die Wagen erst mal kaputt sind, dann wird es richtig teuer. Und da wurde offensichtlich einiges versäumt, in der Hoffnung auf kurzfristige Gewinne.
Wer hat die Fehler gemacht?
Das ist naturgemäß eine Frage des Managements.
Kritiker sagen, die S-Bahn sei über Jahre hinweg kaputtgespart worden. Schuld daran sei auch der Privatisierungskurs, der in Ihrer Zeit als Bahnchef mit Gründung der Deutschen Bahn AG angefangen hat.
Ganz falsch. Die Bundesbahn und die ehemalige DDR-Reichsbahn hatten nach der Wende zusammen 15 Milliarden D-Mark Defizit. Das konnte so nicht weitergehen. Es ging darum, die Bahn unternehmerisch zu führen, nicht mehr wie eine Behörde. Aber die Bahn gehört ja weiter dem Staat, und der muss als Eigentümer sagen, was er mit der Bahn will. Leider hat der Bund nur irgendwann vergessen, dass er Eigentümer der Bahn ist. Er hat Artikel 14 des Grundgesetzes nicht berücksichtigt. Dort heißt es: "Eigentum verpflichtet."
Sie sind ein politischer Mensch. Aber Politiker waren Sie nie. Nur einmal wäre es fast so weit gewesen: 1990 sollten Sie für die SPD den Industrieminister der DDR machen - und das, obwohl Sie CDU-Mitglied sind. Doch bei den Volkskammerwahlen gewannen dann die Konservativen haushoch. Bedauern Sie, dass es nicht dazu gekommen ist?
Ich hätte das gemacht, und ich hatte damals auch Ideen. Ob das alles geklappt hätte, weiß ich natürlich nicht. Aber bedauern? Nein.
Was sind Sie eigentlich. Ein sozialer Kapitalist? Links und konservativ zugleich?
Konservativ, aber eben mit der Überzeugung, dass ein Unternehmen eine gesellschaftliche Veranstaltung ist. Aber ist das schon links? Was heißt überhaupt "links"?
Sagen Sie es mir.
Die Linken wollen eine gerechtere Gesellschaft. Aber das wollen Konservative doch auch! Lesen Sie mal die jüngste Sozialenzyklika des Papstes, was der über die Folgen einer ausschließlichen Ausrichtung auf den Gewinn gesagt hat. Das kann ich alles unterschreiben.
Hier an der Wand hängt ein Bild, auf dem ein Marx-Zitat steht: "Endlich, sobald die Menschen in irgendeiner Weise füreinander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form." Der Papst und Karl Marx gehen für Sie zusammen?
Die gehen wunderbar zusammen.
Herr Dürr, was meinen Sie? War das ein entspanntes Gespräch?
Doch, das war in Ordnung. Aber probieren Sie das mit der 7-Minuten-Entspannung mal im Büro aus. Und immer auf das Sonnengeflecht konzentrieren!
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