Montagsinterview mit Fahrradkurierin Stefanie Rumen: "Man lernt Gedanken lesen"
Die Fahrradkurierin Stefanie Rumen fährt Fixie, ein puristisches Rad ohne Leerlauf, Bremse und mit starrer Nabe. Viel zu gefährlich für den Straßenverkehr, sagt die Polizei. Alles albern, sagt Rumen. Ein Gespräch über die Leidenschaft für ein Fahrrad.
taz: Sie fahren ein so genanntes Fixie, ein Rad mit nur einem Gang und sich ständig mit drehenden Pedalen. Warum gerade so ein Rad?
Stefanie Rumen: Früher hatte ich ein normales Rennrad, aber das macht mir keinen Spaß mehr, seitdem ich einmal mit einem "Fixed Gear" gefahren bin, man wird regelrecht "angefixt". Außerdem ist es im Gegensatz zum Rad mit Schaltung total wartungsarm, gerade für mich als Kurier sehr wichtig, das geht sonst ganz schön ins Geld und ist sehr zeitaufwändig!
Wie sind Sie auf das Fixie gekommen?
Ich war vergangenen Oktober in Berlin bei einem Fahrrad-Polo-Turnier, und viele Radpolospieler fahren Fixies, weil mit den Füßen gebremst und das Fahrrad so besser navigiert werden kann. Ich spielte mit und stellte schnell fest, dass das mit meinem Rennrad überhaupt nicht funktionierte. In der rechten Hand hab ich den Schläger gehalten und wenn ich dann mit der linken bremste, hab ich schnell das Gleichgewicht verloren. Dann hab ich es mit einem Fixie probiert und das ging total super! So eins will ich auch haben, dachte ich.
Wieso?
Mit einem Fixie bin ich wendiger und irgendwie viel eher eins mit dem Rad. Ich habe aber trotzdem gedacht, dass ich damit niemals als Kurier arbeiten und in der Stadt fahren werde, weil es zu gefährlich ist. Dann bin ich aber doch einmal gefahren und habe gemerkt, es ist gar nicht so schlimm - im Gegenteil: Dadurch, dass ich die Geschwindigkeit des Rades durch die Beinbewegung permanent kontrolliere, fühle ich mich viel sicherer. Ich muss nicht beide Hände ständig an den Bremsen haben.
Fahrradkurierin, Friseurin und Fixie-Fahrerin.
Hat ihren Job als Friseurin vor 1,5 Jahren für ein Leben als Fahrradkurierin aufgegeben, ist seit März selbständig und sitzt täglich zehn Stunden im Sattel.
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Das Prinzip Fixie
Fixies (Fixed-Gear-Bikes) sind das Revival eines seit langem im Bahnrennsport genutzten Modells.
Starre Naben und das Fehlen von Gangschaltung und Leerlauf machen den Fixie aus.
Pedale und Räder sind über die Ketten verbunden und drehen sich immer mit.
Das Tempo wird ausschließlich über die Trittfrequenz reguliert.
Keine Bremsen hat der klassische Fixie und ist somit nicht für den Straßenverkehr zugelassen.
Wiederentdeckt haben Fahrradkuriere den Fixie, der inzwischen Kultstatus genießt.
Die Polizei geht in mehreren Städten gegen Fixie-Fahrer vor. Nach einem Urteil des Amtsgerichtes Bonn gilt die starre Nabe seit August dieses Jahres zwar als zugelassene Bremsanlage, wer ohne Vorderbremse fährt, verstößt aber nach wie vor gegen die Straßenverkehrsordnung. ILK
Klingt gefährlich!
Fixie fahren ist so gefährlich, wie man es macht. Man kann ja vorsichtig fahren, wenn man anfängt. Und ich hatte von Anfang an eine Vorderbremse. Seit die Polizei mich dreimal angehalten und freundlich darum gebeten hat, habe ich auch eine Hinterradbremse nachgerüstet.
Wie funktioniert das Bremsen mit der starren Nabe, also der festen Verbindung von Pedalen und Hinterrad über die Kette?
Man steht aus dem Sattel auf, tritt nach hinten, dann kommt das Rad hinten ein Stückchen hoch, und man steht eigentlich sofort.
Und das klappt immer?
Ich bin meist zu faul und benutzte recht oft die Vorderbremse, aber ich kann auch mit der starren Nabe bremsen.
Zu faul? Ist es anstrengend?
Ja, schon - und ich finde außerdem, es sieht doof aus! Ich beobachte das immer bei Leuten und finde es irgendwie albern. Aber sonst kann man mit dem Fixie viele tolle Dinge anstellen, wie zum Beispiele vorwärts- und rückwärtstreten. Das ist wie früher beim Kettcarfahren.
Aber mit dem Kettcar fährt man nicht auf der Straße!
Das stimmt. Das Problem ist, dass sich die Leute nicht vorstellen können, dass das Fahren mit einer starren Nabe funktioniert. Deswegen glauben sie, es sei gefährlich.
Ist auch schwer vorstellbar! Es gibt weder Leerlauf noch Rücktritt und nur einen Gang.
Man muss einfach die ganze Zeit treten. Möchte man ausrollen, nimmt man die Füße von den Pedalen und streckt sie weit weg, denn die drehen sich ja weiter. Wenn man immer ein Rad mit Leerlauf gefahren ist, ist das schon eine große Umstellung. Wer die Füße während der Fahrt plötzlich stillhält und vergisst, dass sich die Pedale weiterdrehen, den katapultiert es dann aus dem Sattel. Das ist mir zum Glück nie passiert.
Aber das Risiko ist doch da. Trotzdem fahren Sie mit dem Fixie durch die Stadt. Ist das nicht leichtsinnig?
Ich hatte ja von Anfang an eine Vorderbremse. Und man fährt mit dem Fixie einfach viel vorausschauender und lernt wirklich Gedankenlesen. Das lernt man als Fahrradkurier aber sowieso. Ich weiß eigentlich immer, wer gleich eine 180-Grad-Wendung machen wird, bevor die Leute es selbst wissen.
Aber warum muss es ausgerechnet ein solches Rad sein?
Das ist eine Frage des Kopfes! Als ich das erste Mal damit fuhr, war es unbequem und anstrengend, am nächsten Tag bin ich aber schon wieder rauf aufs Rad, weil ich es unbedingt lernen wollte. Es ist eine ganz neue Herausforderung. Und ich will seitdem nur noch dieses Fahrrad fahren!
Wie schnell wird man mit so einem Fixie?
Ich habe keinen Tacho, aber mit dem Gang, den ich eingestellt habe, komme ich auf 30 Stundenkilometer.
Verstehen Sie, warum die Polizei vor diesen Fahrrädern warnt?
Ich kann das schon nachvollziehen, denn wer noch nie ein solches Rad gefahren ist, kann sich einfach nicht vorstellen, wie das funktioniert. Herauskommen dann Videos von der Polizei, in denen sie die Fixies vorführen. Da steigt dann so ein Typ aufs Rad, dreht eine wackelige Runde und sagt, sehen Sie, das ist sehr gefährlich und man kann nicht bremsen! Aber das ist albern, denn man muss einfach erst mal lernen, mit dem Rad umzugehen.
Sollte denn jeder ein Fixie fahren dürfen?
Im Moment kaufen sich ganz viele Leute ein solches Rad, denn die Fixies sind gerade sehr en vogue. Diese Leute fahren damit teilweise ohne zusätzliche Bremsen und haben ihr Rad nicht immer unter Kontrolle. Ich selbst bin mit meinem Rad noch in keine brenzlige Situation geraten. Wenn man aber nicht versiert ist, kann das schon gefährlich werden. Ohne sich mit den Fahrrädern zu befassen und sich bewusst sein, dass ein Fixie ein besonderes Rad ist und dass man damit nicht einfach nur cool aussieht, geht es nicht. Noch viel wichtiger: Jeder, der mit seinem Rad im Straßenverkehr unterwegs ist, sollte wissen, dass er die Verantwortung dafür trägt.
Aber bei den Fixed-Gear-Rädern geht es doch auch um den Coolness-Faktor!
Ein Fixie ist auch eine Art Aushängeschild. Man darf es aber nicht übertreiben, denn offensichtliches Fahrrad-Tuning mit vielen sichtbar teuren Teilen ist nicht gern gesehen. Über diese Eisdielen-Hipster wird dann schon mal gelästert.
Wie sieht Ihr Fahrrad aus?
Es ist rostig, weil ich mir einen Rahmen ausgesucht habe, der nie lackiert war. Dann hat es ziemlich schmale, verchromte Hochprofilfelgen und einen schön geschwungenen Bahnlenker. Und ich habe ein paar Silbergabeln in den Felgen, erfüllen aber keinen Zweck, sondern sind Dekoration.
Wie reagieren die anderen Verkehrsteilnehmer auf ihr Fixie?
Seit dieses Thema vermehrt in der Presse ist, sehen die Leute sofort, dass an dem Rad was nicht stimmt. Und oft werde ich in lange Gespräche verwickelt, die meist mit der Frage enden: Aber Rücktritt haben sie doch, oder? Die älteren Herren allerdings, die erkennen die Fixies sofort und wollen dann alles ganz genau wissen. Sie kennen die Fahrräder mit nur einem Gang noch aus dem Bahnrennsport, denn da kommen sie ursprünglich her. Es ist ja nicht so, dass die Fahrradkuriere diese Räder erfunden hätten. Die allerersten Fahrräder hatten starre Naben, und die Bahnrennräder haben sie auch heute noch. Als dann der Freilauf aufkam, haben die Leute die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt, das geht doch nicht, seid ihr denn bescheuert? Man könne mit den Füßen nicht mehr bremsen und das Rad nicht mehr dirigieren. Der Freilauf wurde für völlig absurd gehalten.
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