Montagsinterview mit Ex-Prostituierter: "Jeden Fehler kann man korrigieren, aber eine Ehe nicht"
Die Liebe zu einem Zuhälter brachte Anna W. zur Prostitution. Als ein weiteres Kind kam, wollte sie weg aus der Schampus- und Kokshalbwelt. Drei Jahre arbeitete sie für eine CDU-Bundestagsabgeordnete. Und bis heute wird sie von ihrem Ex-Mann und -Zuhälter verfolgt, der keinen Unterhalt zahlt.
taz: Frau W., warum bestehen Sie auf einem Pseudonym?
Anna W.: Das benötige ich leider, weil mein Kind und ich von meinem Exmann verfolgt werden.
Wie kam es dazu?
Dazu muss ich etwas ausholen. Mein Vater war 30 Jahre bei der Polizei, meine Mutter Hausfrau, eigentlich Zahnärztin. Ich bin in Steglitz aufgewachsen. 1979 habe ich Abitur gemacht, dann gleich geheiratet und zwei Kinder bekommen - die studieren heute. Mein Mann starb 1982 und ich bekam eine Witwenrente. Dann lernte ich einen Österreicher kennen, Pauli, mit einem schneeweißen nagelneuen Audi Quatro. Er entpuppte sich wenig später leider als ein Zuhälter. Mein erster Zuhälter. Er schickte mich zum Arbeiten in ein Nobelbordell, das war 1983. Ein Jahr später zeigte meine Exschwägerin mich beim Jugendamt an: Ich würde meine Kinder vernachlässigen. Sie kamen in ein Heim und dann in eine Pflegestelle. Die Exschwägerin hatte gute Kontakte zum Jugendamt, aber ich hatte auch gute Kontakte: Uwe Barschel, der zu meinen "Gästen" gehörte.
Die gebürtige Steglitzerin und Polizistentochter wurde 1962 geboren. Nach dem Tod ihres ersten Mannes, von dem sie zwei Kinder hat, verliebte sie sich in einen Zuhälter und wurde Prostituierte in verschiedenen Nobelbordellen.
1989 heiratete sie einen anderen Zuhälter, mit dem sie ein weiteres Kind bekam. Seit die Beziehung in die Brüche ging, macht er ihr das Leben schwer: unter anderem dadurch, dass er die Zahlung von Unterhalt verweigert. Diese Form des Betrugs ist übrigens das häufigste Verbrechen in Deutschland.
Anna W. ist seit 1997 hinter dem Unterhalt ihres Exehemanns her. 2007 bekam sie auf dem Klageweg 3.600 Euro: Das war die aufgelaufene Summe seit Oktober 2003 von 150 Euro im Monat. Der Exehemann bezieht Sozialhilfe, ist aber nach wie vor Geschäftsführer mehrerer Firmen, die seinen Freunden gehören.
2006 wirkten Anna W. und ihr jüngstes Kind in einer Folge des ARD-Ratgebers "Recht" mit, in der es um die "Unterhaltsflucht" von Vätern ging. Zuvor arbeitete sie drei Jahre im Ressort "Frauen und Familie" des Deutschen Bundestages.
Aufgrund ihrer Erfahrungen will Anna W. eine Initiative für Mütter gründen, die mit Unterhaltsproblemen zu kämpfen haben.
Und der hat Ihnen geholfen?
Über ihn lernte ich jemanden vom Kinderschutzbund kennen, der mir half, meine Kinder zu besuchen. Gerade als der Pflegevater meinem Ältesten eine scheuern wollte, kam ich dazu - und ging gleich dazwischen. Anschließend habe ich ihn angezeigt, mit dem "Erfolg", dass meine Kinder in eine andere Pflegestelle kamen, nach Schleswig-Holstein. Um ihnen näher zu sein, habe ich im Hanseaten-Club in Timmendorf angefangen. Dieser Edelpuff gehörte erst dem Westberliner Bordellkönig Hans Helmcke, der 1973 von zwei Zuhältern ermordet worden war, und dann seiner Geschäftsführerin Gertie Baetge. Während ich dort arbeitete, wurde ich von Pauli an einen Hamburger Zuhälter verkauft. Der schickte mich 1985 an die Côte dAzur nach Cannes, wo ich in einigen Hotels an der Croisette arbeitete. Danach fing ich im Bel Ami am Berliner Olympiastadion an, das Detlef Uhlmann gehörte. Das Bel Ami war berühmt, nicht zuletzt, weil Helmut Newton und Nan Goldin in diesem "exklusivsten Club Deutschlands" Aufnahmen unter anderem für Vogue, Artforum und Playboy machten. Ich habe dort auch für Newton posiert. Statt eines Honorars bekam ich Champagner bis zum Abwinken von ihm. Ansonsten verdiente ich aber so gut dort, dass ich meinen Hamburger Zuhälter auszahlen konnte. Noch bevor ich damit fertig war, lernte ich meinen zweiten Ehemann kennen. Er war Bauunternehmer, entpuppte sich dann aber auch als ein Zuhälter - mein dritter - und letzter.
Haben Sie ihn gleich geheiratet?
Wir heirateten 1989, eigentlich gegen meinen Willen, aber mit Psychoterror hat er mich gefügig gemacht. Er hatte Schulden: 600.000 Mark, und ich sollte seine Geschäftsfähigkeit mit meinem Namen ersetzen. Ich war damals noch so blöd und blond, permanent im Suff und wurde dann noch von ihm mit Koks gestopft, dass ich gar nicht richtig wusste, was das bedeutete. Es war aber auch eine wilde Zeit: Der Champagner floss in Strömen, wie man so sagt. Wir waren im Bel Ami um die 50 Mädchen, ich habe da Tausende in der Woche verdient.
Und Ihre Kinder?
Nachdem ich geheiratet hatte, wollte ich meine zwei Kinder zu mir holen, aber das Jugendamt hat abgeblockt. Sie verlangten ein festes Einkommen von mir und meinem Mann, eine kindgerechte große Wohnung und die Bereitschaft meines Mannes, die Kinder zu adoptieren. Schließlich hat auch mein Mann abgeblockt. Sein Baugeschäft lief mal gut, mal schlecht, und er hat ununterbrochen das Geld zum Fenster rausgeschmissen. Damals kostete ein Gramm Koks 250 Mark, er und seine Kumpel trugen alle teure Klamotten, Budapester Schuhe, Rolex und Dupont. Außerdem spielten sie und fuhren zu allen Boxkämpfen. Kurzum: ein teurer Lebenswandel. Und ich war ja auch durchgestylt. Damals arbeiteten wir im Bel Ami noch in Abendkleidern von Gucci und Prada, trugen Pelze von Lösche, gingen zu Udo Walz zum Friseur, täglich in den VIP-Bereich von Solarent, abends aßen wir im Tennisclub Rot-Weiß, und zwischendurch jetteten wir immer noch nach Sylt.
Bekamen Sie in dieser Zeit nicht auch Ihr drittes Kind?
Das war 1995. Zwei Jahre später habe ich meinen Mann aus der Wohnung geschmissen, das war am Vatertag, er war besoffen und wollte mein Kind schlagen. Kurz danach habe ich mir ein gute Scheidungsanwältin genommen, Anne Klein. Mit der stimmte ich vor dem Familiengericht einem Deal zu: Mein Mann unterschrieb, dass wir bereits ein Jahr getrennt lebten, damit war ich ihn sofort los. Aber ich musste ihm dafür das halbe Sorgerecht einräumen. Seitdem habe ich keine Ruhe mehr - so lange, bis mein Kind 18 ist. Eigentlich bräuchte ich viel Geld, um uns zu schützen, und damit ich das Kind bis dahin in einem Internat verstecken könnte.
Wieso hat das nicht hingehauen mit dem geteilten Sorgerecht?
Erst mal: Eigentlich wollte mein Exmann gar kein Kind haben, ich wollte eins haben - zwei Jahre früher schon, da hatte ich die Pille bereits abgesetzt. Und dann empfand mein Exmann die Scheidung als ein persönliche Niederlage. Er sagte zu mir: "Du hast mein Leben zerstört. Ich bring dich und dein Kind um." Tatsächlich hat bereits die Schwangerschaft bewirkt, dass ich mich vollkommen verändert habe: weg von Partys, Puffs, Drogen und Alkohol und wieder hin zum Spießigen, Kleinbürgerlichen meines Elternhauses.
Sie wollten weg aus der Szene?
Anfänglich musste ich allerdings noch weiter im Bel Ami arbeiten, da habe ich mir eine Nanny für mein Kind genommen. Es war aber nicht mehr gut dort: Das "Edelbordell" kam langsam auf den Hund. Wir Mädchen haben uns immer weniger Mühe gegeben und die Gäste wurden auch immer pöbeliger und geiziger. Ich erinnere mich noch an Rolf Eden, der war zwar nett, aber als Gast daneben: Er wollte mir nicht mal einen zweiten Piccolo ausgeben und dann auch noch partout kein Präservativ benutzen, man musste ihn regelrecht austricksen. Es kam dann auch so eine Phase, da habe ich jeden Kerl gehasst. Ich habe dann eine Weile auf Domina gemacht und den ein oder anderen Gast mit einem Gürtel ausgepeitscht - gegen Aufpreis.
Noch mal zurück zu Ihrem Sorgerechtsproblem …
Mein Exmann hatte nach unserer Scheidung nur noch die Möglichkeit, unser Kind als Waffe gegen mich zu verwenden. Er hat systematisch unser Sicherheitsgefühl zerstört. So tauchte er plötzlich in der Schule auf, so dass sich mein Kind auch dort nicht mehr sicher fühlte. "Ich komme mir vor wie Anne Frank", hat es mal gesagt. Das ging so weit, dass wir beide dann nach Spanien abgehauen sind. Vorher habe ich noch eine Umschulung zur Sekretärin mitgemacht.
Wie kamen Sie dazu?
Da ich seinerzeit CDU-Mitglied war, habe ich mich anschließend bei der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag beworben - und wurde auch eingestellt. Drei Jahre war ich dann Sekretärin einer CDU-Abgeordneten. Dabei hatte ich etwa mit dem Kinderschutzbund und dem Unterausschuss Kinderkommission zu tun. Den Wahlkampf "meiner" Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen habe ich auch mitgemacht. Und es kam immer wieder Neues hinzu. In einer sitzungsfreien Woche rief mich einmal der Pförtner an: Unten stehe eine Reisegruppe aus NRW, die müsste abgeholt werden. Meine Abgeordnete befand sich in NRW, ich rief dort in ihrem Wahlkreisbüro an. Die wussten von nichts. "Und wo ist meine Abgeordnete?" - "Die ist beim Friseur." Da rief ich dann an und fragte sie, was ich mit der Reisegruppe machen solle. Normalerweise werden die von den wissenschaftlichen Mitarbeitern betreut, nun musste ich die vertreten, und nebenbei sollte ich auch noch 50 Taschen mit Info-Material für diese Gruppe zusammenstellen. Die war aber eigentlich ganz nett, wir haben uns über alles Mögliche unterhalten - und nur wenig über den Bundestag, über den ich nicht viel wusste.
Diese Arbeit hat Ihnen also gefallen?
Ja. Nett war zum Beispiel auch das Sommerfest des Bundespräsidenten, damals noch Johannes Rau, im prächtig illuminierten Schloss Bellevue. Ich habe mich da mit Frau Rau unterhalten. Ein anderes Mal lud man mich und mein Kind mit der Bundestags-Sportgemeinschaft und dem Diplomatischen Korps zu einer Hubertus-Jagd auf die Neustädter Gestüte in der Prignitz. Das war interessant. Joschka Fischer hielt eine kleine Rede und ein Falkner führte seine großen Vögel vor. Unterdessen servierte das Hilton-Hotel ein üppiges Menü. Anschließend ging die Jagd los, das heißt wir folgten, wahlweise in offenen oder geschlossenen Wagen, einer künstlichen Fuchs-Fährte. Mein Kind durfte reiten. Anschließend wollte es unbedingt und sofort, dass ich ihm ein Pferd kaufe.
Solche Produktivitätsanreize machten aber doch nicht Ihre ganze Bundestagstätigkeit aus?
Natürlich nicht. Meine Abgeordnete hatte einen regen Schriftverkehr: mit Experten und Organisationen, die sich mit den Problemen von Kindern, etwa dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und Frauen, zum Beispiel mit der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Haushalt, befassten. Außerdem gab sie eine Zeitung für ihren Wahlkreis heraus. Ich musste nicht nur ihre Kontakte zur Presse pflegen, sondern etwa auch zum Verband alleinerziehender Mütter und Väter. Auch an den Reden, die sie für den Bundestag schrieb, habe ich mitgearbeitet. Die Themen waren "sexueller Missbrauch", "Jugendschutz", "Verbesserung der Kinderrechte", der "Betreuungsangebote", das "Sorgerecht". Dazu gibt es jetzt übrigens eine Neuregelung.
Dann haben Sie diese Stelle aufgegeben und sind nach Spanien gezogen. War das, weil Ihr Exmann Sie weiter verfolgte?
Ja, 2004 sind wir nach Mallorca geflüchtet. Ich habe mir da eine Katzenzucht aufgebaut, mit britischen Kurzhaarkatzen. Alles ging gut, aber plötzlich lauerte er dort meinem Kind in der Deutschen Schule auf. Gleichzeitig hatte er einen Haftbefehl wegen Kindesentführung gegen mich beantragt, wobei er unter anderem behauptete, dass ich sein Kind nicht zur Schule gehen lassen würde. Außerdem hat er meinen Anwalt bezahlt, damit der alle meine Mandate niederlegt. Ich musste mir einen neuen nehmen, der dann erst einmal für die Aussetzung des Haftbefehls sorgte, indem er argumentierte, dass wir lediglich einen verlängerten Urlaub genommen hätten. Gleichzeitig versuchte er das alleinige Sorgerecht für mich durchzusetzen. Das hat er aber bis heute nicht geschafft, zumal die Familiengerichte spätestens seit 2004 zunehmend väterfreundlicher urteilen.
Sie sind dann mit Ihrem Kind zurück nach Berlin gezogen.
Ja, Ende 2004 habe wir uns hier eine Wohnung genommen. Die Katzen mussten wir zurücklassen. Das war ein Drama für mein Kind, auch seine Freunde hat es dort verloren, es hat nur noch geweint. 2005 habe ich meinen Nachnamen ändern lassen, auch den meines Kindes wollte ich ändern lassen, das ging aber nicht. Auf dem Standesamt Schmargendorf hat man mir gesagt: "Ihr Ehemann kann bis zu Ihrem Tod über Ihre Namensänderungen und die Ihres Kindes Auskunft verlangen." Das erstreckt sich auf alle Schengenländer.
Die Ehe ist hier anscheinend immer noch sehr heilig.
Es war der größte Fehler meines Lebens, diesen Mann geheiratet zu haben. Jeden Fehler kann man korrigieren, aber eine Ehe nicht. Mein Exmann ernährt sich energetisch davon, dass er mich und mein Kind zerstört. Der wäre schon längst gestorben, wenn er diesen Hass nicht hätte. Und ich habe sowieso schon einen zu hohen Blutdruck, 2005 war ich derart gestresst, dass mich ein geplatztes Hirnaneurysma ereilte, eine Blutgefäß-Aussackung, und sofort notoperiert werden musste. Mein Kind reagiert auf extreme Stresssituationen mit starkem Nasenbluten. Nach meiner Krankenhausentlassung verfolgte uns mein Exmann weiter, und wir haben die Wohnung gewechselt, ebenso die Schule. Als er auch das rausbekam, sind wir erneut woanders hin. Und als er uns auch dort wieder auf die Schliche kam und dazu noch versuchte, das alleinige Sorgerecht für das Kind zu bekommen, sind wir 2007 erneut nach Spanien geflüchtet. Da hatten wir erst mal unsere Ruhe. Aber immer wenn irgendetwas war mit Behörden oder dass jemand irgendwelche Dokumente verlangt hat, sind wir sofort abgehauen, haben uns ein Hotel genommen oder die Stadt gewechselt.
Aber Ihr Exmann hat Sie dort nicht ausfindig gemacht?
Nein, aber als er mitbekam, dass wir nicht mehr in Berlin waren, hat er 2009 erneut einen Haftbefehl gegen mich erwirkt. Davon wusste ich aber erst mal nichts. 2010 bin ich mit meinem Kind wegen meiner Witwenrente und wegen seiner Zahnbehandlung nach Berlin geflogen. Zwei Nächte waren wir hier, im Hotel. Mein Kind wurde schon ganz unruhig und wollte ganz schnell zurück nach Spanien, da haben sie uns mitten in der Nacht verhaftet. Auf der Gefangenen-Sammelstelle, wo wir uns nackend ausziehen mussten, waren wir noch zusammen, in nebeneinander liegenden Zellen. Mein Kind erlitt einen psychischen Zusammenbruch. Nach unserer Vernehmung haben sie es, ohne Geld, Handy und Ausweis, zum Kinder-Notdienst nach Charlottenburg geschickt. Und ich kam über Umwege nach Pankow in den Frauenknast, wo ich zehn Wochen blieb. Mein Kind war währenddessen in einer Pankower Kriseneinrichtung. Ende Juni 2010 war der Prozess. Ich bekam ein Jahr und neun Monate auf Bewährung wegen Kindesentführung. Ich habe danach zum Glück gleich eine Wohnung hier gefunden. Und jetzt brauche ich Geld, denn ich will eine Initiative starten, um Mütter zu beraten, die ebenfalls Probleme mit dem Sorgerecht und zahlungsunwilligen Vätern haben. Gerade arbeite ich an einer Webseite dafür. http://anna-vv.de.tl.
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