Montagsinterview Schülervertreterin Melda Akbas: "Sie müssen uns ernst nehmen"

Mit dem heutigen Schuljahresbeginn startet Melda Akbas in ihr wichtigstes Schuljahr: Gemeinsam mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland will die 17-jährige Schülerin MigrantInnen für Berlins Schülervertretungen gewinnen.

Mag Schule und Demokratie: Schülersprecherin Melda Akbas im Klassenzimmer Bild: AMELIE LOSIER

taz: Frau Akbas, Sie sind Schülervertreterin. Wie oft haben Sie im letzten Schuljahr geschwänzt?

Melda Akbas: Ziemlich genau drei Stunden.

Was? Nur drei Stunden im ganzen Schuljahr? Da vertreten Sie aber nicht den Durchschnitt der Berliner Schüler, oder?

Das kann schon sein. Aber ich mag Schule. Ich freue mich sogar auf den Schulanfang und darauf, dass es wieder etwas mehr Alltag und Regelmäßigkeit gibt.

Sie freuen sich darauf, morgens wieder um halb sieben aufzustehen?

Ganz so vielleicht nicht, ich bin ein ziemlicher Morgenmuffel. Aber am letzten Wochenende habe ich bis zwei Uhr nachmittags geschlafen. Das war auch öde. Ich will was erleben. Nichtstun ist nicht so mein Ding.

Name: Melda Akbas

Geboren: am 23. April 1991

Geburtsort: Berlin

Sternzeichen: Stier: Stiere sind dickköpfig, ich auch

Eltern: Yasar Akbas, Restaurantfachmann, geboren in Samsun, Türkei; Züleyha Akbas, geboren in Samsun, Türkei, Pädagogische Fachleitung

Geschwister: ein Bruder, geboren in Berlin, 22 Jahre alt

Hobbys: Zeichnen, Musik hören, spazieren gehen, tanzen, Freunde treffen, Kino, Bücher lesen

Lieblingsbücher: Juli Zeh: "Spieltrieb", Leonie Swann: "Glennkill", Stephanie Meyer: "Bis(s) zum Morgengrauen"

Lieblingsmusik: Alternative, Rock & Pop, Jazz, Klassik, Acoustic und vieles mehr

Lieblingsfach: Kunst

Hassfach: Chemie

Nebenjob: Babysitten

Was ich mag: In die Luft starren und meinen Gedanken nachlaufen, Sommer, Sonne und Strand

Was ich nicht mag: Sportfeste, Hausaufgaben, Winter, BVG-Streiks

Eine Macke, die ich mir nicht abgewöhnen kann: Meine Unpünktlichkeit. Und dass ich ein Morgenmuffel bin

Was haben Sie denn so für Noten?

Och, immer ganz gute eigentlich.

Manche Schüler verbrennen öffentlich ihre Zeugnisse, weil sie das Notensystem unfair finden. Haben Sie auch was gegen Noten?

Natürlich ist es so, dass die Gewichtung eines Lehrers manchmal ziemlich subjektiv ausfällt. Aber ich glaube, die Schüler tragen auch oft dazu bei, wenn sie mit manchen Lehrern nicht können.

Sehr diplomatisch. Hört sich an, als wollten Sie Politikerin werden?

Das kann ich mir durchaus vorstellen. Ich habe ja auch jetzt im Bezirksschülerausschuss schon viel mit realer Politik zu tun. Und ich finde es wichtig, immer beide Seiten zu verstehen. Letztendlich kommt man so zu besseren Ergebnissen.

Sie sind sogar Vorsitzende des Bezirksschülerausschusses Charlottenburg-Wilmersdorf. Und Sie sitzen auch sonst in zahlreichen Gremien. Zählen Sie doch mal Ihre Ämter auf.

Also an meiner Schule bin ich Jahrgangssprecherin, in der Schülervertretung und Mitglied der Schulkonferenz. Daneben bin ich Vorsitzende im Bezirksschülerausschuss, Mitglied im Bezirksschulbeirat und Beirat des Kinder- und Jugendparlaments in Charlottenburg. Na ja, und im Landesschülerausschuss bin ich auch.

Wow. Das hört sich ja nach einem Fulltime-Job an. Haben Sie denn dann im nächsten Schuljahr überhaupt noch Zeit zum Lernen?

Ganz so schlimm ist es nicht. Den größten Teil dieser Arbeit erledige ich natürlich in meiner Freizeit und nicht während der Schulzeit.

Gemeinsam mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland starten Sie zum Schulbeginn eine Kampagne, um Berliner Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund für die Schülervertretungen zu gewinnen. Warum?

Weil ich bei meiner Arbeit festgestellt habe, dass sich auffällig wenige dieser Schüler in den Vertretungen engagieren.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Zuerst einmal gibt es ein generelles Problem, Schüler zur SV-Arbeit zu gewinnen. Sich mit Schülerrechten zu beschäftigen und die verschiedenen Strukturen in der Schule und im Bezirk zu durchblicken ist mühsam und anstrengend. Aber viele wissen auch einfach gar nicht, dass Schüler ein Recht darauf haben, in der Schulkonferenz mitzubestimmen - etwa über so zentrale Punkte wie das Schulbudget.

Nun wollen Sie aber nicht nur Schüler generell ansprechen, sondern vor allem Schüler mit Migrationshintergrund.

Weil es hier häufig noch mal besondere Hinderungsgründe gibt. Zum Beispiel ist es in vielen türkischen Familien längst nicht normal, dass zu Hause eine Zeitung auf dem Tisch liegt. Und das wäre natürlich wichtig, um mit Politik und Bildung in Berührung zu kommen.

Aus was für einer Familie stammen Sie denn?

Meine Großeltern waren türkische Gastarbeiter in Berlin und haben meine Eltern nachgeholt, als die im Grundschulalter waren, weil sie in Berlin bessere Möglichkeiten und Chancen auf eine Ausbildung oder ein Studium für ihre Kinder sahen.

Was machen Ihre Eltern heute?

Meine Mutter ist Erzieherin in einem islamischen Kindergarten, und mein Vater arbeitet in einem türkischen Restaurant. Ich hatte sicherlich viel Glück. Meine Eltern sind relativ liberal und haben mir viele Möglichkeiten gegeben.

Sie besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft, haben zu Hause eine Zeitung auf dem Tisch und erzielen auf dem Charlottenburger Gymnasium gute Noten. Was haben Sie überhaupt mit den Kids aus Neukölln gemeinsam?

Ich weiß, dass mein Leben auch ganz anders hätte verlaufen können. Und Sie können sicher sein, dass ich eine zentrale Erfahrung mit anderen Jugendlichen teile, die wie ich einen Migrationshintergrund haben: die Ausgrenzungserfahrung.

Erzählen Sie mal.

Auch zu meinem Alltag gehört, dass ich doof angemacht werde, weil ich türkisch aussehe. Nicht unbedingt bei mir an der Schule, aber in der Öffentlichkeit: Ob es Sprüche beim Babysitten auf dem Spielplatz sind oder spöttelnde U-Bahn-Schaffner. Mein Cousin wurde neulich erst wieder von Nazis verfolgt. Daneben ist für unsere Generation von Schülern mit Migrationshintergrund eine Erfahrung zentral: der Perspektivwechsel.

Was meinen Sie damit?

Ich bin bis vor Kurzem auch in die Moschee gegangen und habe dort Unterricht bekommen - ohne Kopftuch und dem, was sich jetzt viele vorstellen. Ich habe einfach gelernt, die Suren zu lesen und wie man betet. Gleichzeitig lebe ich ein Leben als Deutsche. Aber in der Moschee habe ich auch Kids von der Hauptschule kennengelernt, von denen ich der Meinung war, dass sie noch nicht reif genug waren, ein Kopftuch anzulegen. Es gibt also genügend, worüber man diskutieren kann.

Das verbindet Sie also mit anderen türkischstämmigen Jugendlichen. Was trennt Sie?

Der Unterschied ist natürlich, dass ich gegenüber vielen in Berlin lebenden Schülern viel bessere Chancen habe.

Was sind denn für Sie die wichtigsten Rahmenbedingungen für Schülerinnen und Schüler, um sich zu engagieren?

Zentral ist, dass uns Raum gegeben wird. Das gilt ganz unmittelbar. Wir brauchen echte Räume in den Schulen, in denen wir arbeiten können. Das gilt aber auch abstrakt: Schüler müssen informiert werden. Sie müssen das Gefühl haben, dass man sie ernst nimmt und dass sie etwas verändern können.

Sie selbst sind bereits seit drei Jahren Schülersprecherin. Werden Sie mit Ihrer Arbeit denn ernst genommen?

An meiner Schule schon. Klar gibt es mal inhaltliche Differenzen mit der Schulleitung. Aber weil der Schulleiter merkt, dass wir uns konstruktiv einbringen, ist die Zusammenarbeit eigentlich sehr gut. Das sieht bei der Arbeit auf Landesebene manchmal anders aus. Im Landesschülerausschuss hat uns jetzt zum wiederholten Mal ein Vertreter des Senats versetzt, mit dem wir schon öfter verabredet waren. Das ist ätzend, die Leute müssen uns ernst nehmen. Und das müssen manche auch erst lernen.

Wie bringen Sie das denn den Erwachsenen bei?

Den Senatsvertreter nerven wir jetzt so lange, bis er sich endlich mal an unsere Verabredung hält.

Und wie wollen Sie die Schülerinnen und Schüler erreichen, die Sie aktivieren wollen?

Mit etwas mehr Gelassenheit. Im Rahmen unserer Kampagne "l.o.s. - lets organize something" gehen wir im kommenden Schuljahr an die Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien, um Schüler direkt anzusprechen. Dann werden wir gemeinsam mit dem SV-Bildungswerk Workshops zur Schülerarbeit, zur Bildungspolitik und Rhetorikkurse anbieten, also auf verschiedenen Ebenen versuchen, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Viele wissen ja zum Beispiel gar nicht, dass es laut Berliner Schulgesetz gesetzlich vorgeschrieben ist, dass jeder Bezirk einen Schülerausschuss haben muss.

Viele wissen wahrscheinlich noch nicht einmal, dass es überhaupt ein Schulgesetz gibt.

Stimmt. Und der Umgang mit diesem Gesetz ist für Schüler natürlich erst mal dröge und nicht einfach. Da beschäftigt sich niemand von ganz alleine mit. Und selbst wenn, bleiben häufig viele Fragen ungeklärt.

Hört sich alles ganz schön trocken an. Kann man damit Schüler für Politik begeistern?

Es geht ja nicht darum, das Schulgesetz auswendig zu lernen, sondern darum, dass die Schülerinnen und Schüler erfahren, was man als Schülervertreter auch alles erreichen kann. Das sollen die Workshops vermitteln.

Was können Schüler denn erreichen, wenn sie sich engagieren?

Sie können allein schon durch Kleinigkeiten viele Dinge verändern: In der Schule können sie sich um die kaputten Basketballplätze auf dem Schulhof kümmern oder in der Schulkonferenz über das Schulbudget diskutieren. Und im Bezirk können sie Anträge einbringen, Fragen stellen und Antworten einfordern - das geht bis zu der Möglichkeit, der Bezirksversammlung klare Positionen zu bestimmten Fragen abzufordern.

Trifft es die Lebensrealität von Schülerinnen und Schülern an sogenannten Problemschulen, wenn sie in Ausschüssen abstrakt über Budgetplanungen sprechen dürfen?

Ich nenne Ihnen mal ein konkretes Beispiel: Es müsste doch wirklich für jeden nachvollziehbar sein, warum es so absurd ist, wenn an Neuköllner Schulen anstelle eines Pädagogen zwei Türsteher angestellt werden. Stellen Sie sich mal das Gefühl vor, jeden Morgen kontrolliert zu werden. Das kann es doch nicht sein, Schule ist doch kein Knast. Und es macht Sinn, dagegen etwas zu unternehmen. Dafür brauchen wir mehr türkischstämmige Jugendliche in den Schülervertretungen. Denn die wissen am besten, was auf Neuköllns Schulhöfen los ist.

Gibt es denn auch ein paar Freistunden für die Schülerinnen und Schüler, die an den Workshops teilnehmen?

Wir haben es so eingerichtet, dass die Weiterbildungen teilweise innerhalb und teilweise außerhalb der Schulzeit stattfinden: Schüler müssen verstehen, dass Engagement auch Zeitaufwand bedeutet und nicht nur Stundenausfall. Und Lehrer müssen verstehen, dass wir als Schülervertreter ein berechtigtes Interesse daran haben, uns zu organisieren. Sie müssen anerkennen, dass das nicht nur Hobby ist, sondern eine Interessenvertretung, die auch in die Schulzeit gehört. Deshalb beides: zur Hälfte während, zur Hälfte nach der Schulzeit.

Das hört sich sehr durchdacht und konstruktiv an. Gibt es auch etwas, worüber Sie sich richtig aufregen?

Neulich habe ich gelesen, dass Schüler ohne deutschen Pass bei ausbleibendem Schulerfolg abgeschoben werden sollen. Da krieg ich einfach zu viel. Integrationspolitik hat nichts mit Abschiebung zu tun. Das ist doch zum Kotzen. Und ich rege mich auf, wenn Menschen mit deutschem Pass, die noch nie woanders als in Berlin gelebt haben, als Ausländer bezeichnet werden.

Frau Akbas, was wünschen Sie sich am meisten für das kommende Schuljahr?

Dass wir viele Schülerinnen und Schüler dazu gewinnen können, sich mehr einzumischen. Und dass wir dafür auch politisch belohnt werden: indem man uns endlich ernst nimmt.

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