Montagsinterview Der Tatortreiniger: "Es ist, als ob ich eine Delete-Taste drücke"
Christian Heistermann verdient sein Geld mit etwas, vor dem sich die meisten Menschen ekeln. Der Berliner reinigt Tatorte.
taz: Herr Heistermann, Sie haben sich auf die Reinigung von Tatorten und Leichenfundorten spezialisiert. Wie kommt man auf so eine Idee?
Christian Heistermann: Ich hatte im Fernsehen eine Reportage über eine Tatortreinigung an einer Tankstelle in den USA gesehen. Da war so viel Blut, ich war wirklich geschockt. Einige Zeit später ist eine Hausverwaltung an uns herangetreten. Es ging darum, eine ziemlich stinkende Wohnung zu reinigen, in der jemand gestorben war. Niemand traute sich da rein. Wir haben sie gereinigt und schließlich festgestellt, dass nur ein, zwei Firmen am Start waren, die so was machen. Also haben wir diese Dienstleistung entworfen und uns intensiv mit der richtigen Entfernung von menschlichen Flüssigkeiten beschäftigt. Dabei sollte kein Mitarbeiter gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sein. Dann haben wir uns mit einer Werbeagentur zusammengetan. Kaum stand die Seite im Internet, sind die Medien auf uns aufmerksam geworden.
Die darin ein dankbares Thema gefunden haben. Finden Sie es gut, auf das Wegwischen von Blut und anderen Körperflüssigkeiten reduziert zu werden?
Nein. Mir geht es darum, zu zeigen, wie modern ein Gebäudereinigermeister sein kann. Neulich war ich in Frankfurt am Main und habe den ersten bundesweiten Lehrgang für Gebäudereiniger im Bereich der Tatortreinigung angeboten. Tatortreinigung gab es ja vorher schon, es hat nur niemand so genannt.
Wie viele Tatorte hat Ihre Firma bisher gereinigt?
Insgesamt etwa 40. Bei 25 Einsätzen war ich persönlich dabei.
Was sind das für Tatorte?
Meist von Suiziden. Anfangs waren es viele mit Aderlass, mittlerweile auch viele mit Schusswaffen. Und verwahrloste Wohnungen, in die keiner reinwill.
Wie gehen Sie vor, um solche Spuren zu beseitigen?
Meist stelle ich am Tag vor der Reinigung einen Ozongenerator zur Schädlingsvernichtung auf, schließe die Fenster und verklebe die Eingangstür. Dann hänge ich meine Gefahrstoffdokumente auf, damit niemand die Wohnung betritt. Am Tag der Reinigung legen wir im Treppenhaus Folien und Malerfilz aus. Wir ziehen unsere Schutzausrüstung an: einen Einwegschutzanzug aus Papier oder einen Gummischutzanzug, Überschuhe oder Gummistiefel, säure- und laugenbeständige Handschuhe, Schutzbrille. Besonders wichtig ist die Gasmaske. Vor der Wohnungstür stellen wir als Schleuse eine Wanne mit Desinfektionslösung auf, manchmal auch eine Gartendusche mit Desinfektionslösung für die Vollkörper-Latex-Schutzausrüstung.
Christian Heistermann, 42, geboren in Wilmersdorf, ist Deutschlands erster zertifizierter Tatortreiniger. Nach einer Ausbildung zum Glas- und Gebäudereiniger, zum Betriebswirt und Fachwirt für Gebäudemanagement und der Qualifizierung zum Meister ist er seit 1995 Inhaber der HSG Heistermann-Gebäude-Service GmbH mit Sitz in Mahlsdorf. Das Unternehmen hat 50 Mitarbeiter, darunter vier Auszubildende.
Neben der Reinigung von Häusern, Fassaden, Fenstern, Küchen, Baustellen, Kaufhäusern und Sonnenschutzanlagen bietet Heistermann die Reinigung von Tatorten an. Er kennt sich so gut damit aus, dass er einen qualifizierten Arbeitsprozess für die Reinigung von Tatorten erfunden hat, bisher 12 Lehrlinge darin ausbildete und Fachvorträge darüber hält.
Heistermann lebt mit seiner Freundin, die bei ihm in der Firma Bürokauffrau für Bürokommunikation gelernt hat, und drei Kindern in Mahlsdorf.
Wie geht es dann weiter?
Wir öffnen alle Fenster und Türen. Der Durchzug sorgt für einen Raumluftwechsel. Dann machen wir eine Kaltnebeldesinfektion mit Silberionen, und der grobe Müll wird eingesammelt. Anschließend sprühe ich Eiweißlöser auf die verschmutzen Flächen. Es wird geschrubbt und gescheuert, und ein Wassersauger kommt zum Einsatz. Das wird mit einem sauren Reiniger wiederholt, danach kommt das Klarwischen. Dann lassen wir alles trocknen und nehmen noch eine Scheuerdesinfektion vor. Bei Flecken oder Verfärbungen auf einem Teppich muss eine nachträgliche Reduktion, also eine Fleckentfernung, vorgenommen werden. Wenn wir es mit hoher Geruchsbelästigung zu tun haben, sprühen wir meist noch einen biologischen Geruchsvernichter mit Minze- oder Zitronenduft. Zum Schluss reinigen und desinfizieren wir die Arbeitsutensilien und Schutzanzüge, dann gehts nach Hause.
Wie verarbeiten Sie nach der Reinigung eines Tatorts Ihre Erlebnisse?
Ich dusche. Selbstreinigung also. Und dann reflektiere ich über das, was ich erlebt habe, und auch über mich selbst.
Können Sie sich an Ihren ersten Tatort noch erinnern?
Ich kann gar nicht mehr sagen, was das war. Wahrscheinlich irgendein Boden oder Keller in Neukölln, wo ein Blutfleck weggewischt wurde. Ich arbeite ja schon seit meiner Jugend in der Gebäudereinigung.
Wie das?
Mein Papa war Teppichreiniger im Hotel Bristol am Kudamm, meine Mutter war Zimmermädchen. In den Sommerferien haben meine Eltern und mein Bruder Grundreinigungen in Schulen durchgeführt, da habe ich schon mit zwölf Jahren Wassereimer geschleppt. Das war nicht immer leicht.
Trotzdem haben Sie Gebäudereiniger gelernt und selbst eine Firma gegründet.
Ich war nicht der fleißigste Schüler. Wie wichtig Bildung ist, weiß man erst, wenn man einen Beruf erlernen will. Mit 13, 14 Jahren wollte ich Hochleistungssportler werden, seit meinem sechsten Lebensjahr hatte ich geboxt. Bis mir jemand eine Zigarette und anderes in die Hand drückte. Mein Bruder hatte mir dann geraten, Gebäudereiniger zu lernen, bevor ich gar nichts lerne.
Bereuen Sie die Entscheidung?
Nein, ich mache meinen Beruf mit Begeisterung. Leider muss ich oft erfahren, dass diese Arbeit gesellschaftlich nicht sehr angesehen ist. Wenn ich sage, ich mache Gebäudereinigung, klappen viele Kinnladen nach unten. Dann komme ich mir so deplatziert vor wie jemand, der mit weißen Sachen auf die Documenta geht, wo alle Schwarz tragen (lacht).
Warum gibt es solche Vorbehalte gegenüber einem Service, der doch gemacht werden muss?
Es liegt an der Gesellschaft und es sagt etwas über die Gesellschaft aus. Außerdem gibt es falsche Vorstellungen vom Beruf des Gebäudereinigers. Ein Gebäudereiniger muss viel mehr können, als mit Eimer und Lappen den Fußboden zu wischen. Es ist umfangreiches Wissen, zum Beispiel der Chemie und Physik, aber auch körperliche Fitness gefragt. Ich würde mich freuen, wenn die anderen erkennen würden, dass wir ein Handwerk sind und ein Alleinstellungsmerkmal haben. Im Moment kann sich jeder mit einfachem Schulabschluss bei der Handwerkskammer als Gebäudereiniger eintragen lassen. Ich war einer der Letzten, die den Meister gemacht haben, bevor das geändert wurde. Aber man will ja nicht von einem Kfz-Mechaniker den OP-Saal gereinigt bekommen. Da gehört ein ausgebildeter Gebäudereiniger hin.
Woher bekommen Sie Bestätigung und Anerkennung für das, was Sie leisten?
Einmal im Monat machen wir in einer Sehenswürdigkeit im Berliner Zentrum die Grundreinigung in der Küche. Ein Kollege, der Fettabscheider und Dunstabzugshauben reinigt, sagte mir, ich solle doch mal kristallines Natron probieren. Die anderen waren vom Ergebnis hellauf begeistert. Da habe ich schon meine Bestätigung. Oder wenn mir der Direktor von einem Hotel, wo ich die Natursteinflächen gereinigt habe, auf die Schulter klopft, dann habe ich gezeigt, wo der Hammer hängt. Oft werde ich auch gerufen, wenn Laien einen Fußboden unsachgemäß gereinigt haben und nun den Fachmann brauchen. Größtenteils sind die Leute ja erleichtert, wenn wir kommen, und ziehen den Hut vor unserem Job.
In welchen Bereichen sind Sie am Start?
Hauptsächlich im Hotel- und Gastronomiesektor. Wir sind auch in der Baureinigung unterwegs und rücken an, wenn die Handwerker fertig sind. Außerdem machen wir Reinigung von Büro- und Verwaltungsflächen, von Fenstern und Fassaden, von Teppichen und Jalousien.
Bei der Reinigung von Tatorten, wer sind da die Auftraggeber?
In der Regel handelt es sich nicht um Amtsvorgänge über das Gesundheitsamt oder die Polizei. Oft sind es Familienangehörige. Wenn die uns anrufen, wissen wir nicht, was uns erwartet. Dann erfahren wir vielleicht in letzter Sekunde, dass der Tote Hepatitis hatte. Manchmal ist es auch sehr diskret, so wie bei einem Einsatz, den wir mal in einer Botschaft in Mitte hatten, wo sich jemand erschossen hatte.
Den Umgang mit Angehörigen lernt man bestimmt nicht auf der Gebäudereinigungsschule.
Nein, und ich kann da natürlich nur begrenzt helfen. Ich bin ein sehr sinnlicher und empfindsamer Mensch und kann mich gut in Menschen hineinversetzen. Ich haue natürlich schon mal auf die Kacke und fahre zu schnell, aber ich bin auch Christ und höre den Menschen zu und versuche, ihnen zu helfen. Ich sage immer auch, dass es Seelsorger und Stellen gibt, die sich auskennen. Verändert hat mich die Tatortreinigung aber schon.
Inwiefern?
Ich gucke mir nicht mehr den Tod an, ich gucke mir das Leben nach dem Tod an. Ich sehe zwar das, was Schmutz ist. Aber ich mache mir schon viele Gedanken. Religion ist dabei ein wichtiger Halt. Ich bin Protestant, ich gucke mir aber auch den Buddhismus und andere Religionen an und versuche dadurch zu ergründen, was nach dem Tod kommt. Wenn ich den Tod sehe und das, was ich reinige, denke ich schon, dass ich etwas Gutes tue. Es ist, als ob ich eine Delete-Taste drücke. Ich löse den letzten Ort eines Menschen auf, chemisch und physikalisch.
Wie gehen Sie damit um?
Das ist ganz verschieden. Ich nehme meine Reiniger und wickle den Auftrag technisch ab. Aber es gibt immer wieder mal Dinge, die mich richtig mitnehmen. Einmal hatte sich ein Familienvater auf der Toilette die Pulsadern aufgeschnitten, da gab es sehr, sehr, sehr viel Blut. In der Wohnung habe ich Fotos der Familie gesehen mit einer bildhübschen Frau und bildhübschen Kindern. Als ich nach Hause fuhr, habe ich geweint.
Passiert es öfter, dass Sie Aufträge so mitnehmen?
Eher selten. Wenn in einer Wohnung Bierdosen 1,50 Meter hoch gestapelt sind, Spinnweben von der Decke hängen, man nicht durchs Fenster gucken kann und da ein Mensch gestorben ist, ist es nur dreckig und eklig.
Wenn die Tatortreinigung wegfallen würde, bräche dann ein Standbein Ihrer Firma weg?
Nein, gar nicht. Mein Ziel ist es auch nicht, möglichst viele Tatorte zu reinigen. Das ist einfach eine Arbeit, die gemacht werden muss.
Was streben Sie dann an?
Mein Ziel ist es, den goldenen Wasserhahn im Hotel zu reinigen.
Was ist denn an dem reizvoll?
Es geht um das Umfeld. Ich habe gern schöne Sachen um mich. An einem Tatort sieht man doch nur Dreck und Müll, und es stinkt. Da reinige ich lieber in einem Hotel.
Sie haben mit allen möglichen Körperflüssigkeiten, mit Fliegen, Maden und Gestank zu tun - wovor ekeln Sie sich noch?
Ich habe als Jugendlicher den amerikanischen Schockerfilm "Gesichter des Todes" gesehen, mit der Szene, in der einem lebenden Affen die Schädeldecke geöffnet wird. Das prägt einen. Ich ekle mich schon, wenn ich eine tote Ratte aus einem Garten holen muss. Aber ich überwinde mich immer wieder, indem ich versuche, das nur technisch zu betrachten.
Was haben Sie nach all den Tatorten, zu denen Sie gerufen werden, über die Menschen, die Gesellschaft gelernt?
Ich habe früher gedacht, dass Menschen in einer Gesellschaft aufgefangen werden. Aber inzwischen weiß ich, dass die soziale Struktur sehr merkwürdig ist. In Berlin funktioniert vieles gar nicht mehr. Alle sind cool, niemand fasst sich an die eigene Nase oder kümmert sich um den alten Nachbarn. So dass jemand wochenlang tot in seiner Wohnung liegen kann, bis er gefunden wird.
Sind Sie zu Hause besonders penibel bei der Sauberkeit?
Ich bin voll der Pedant. Normaler Schmutz fällt natürlich an, und wenn auf dem Boden mal ein Papierschnipsel liegt, bin ich auch nicht so. Aber ich bin ein ordnungsliebender Mensch und kann es nicht sehen, wenn tausend Paar Schuhe rumstehen oder jemand mit dreckigen Schuhen durch die Wohnung latscht. Kaffeeautomaten sehe ich auch sehr kritisch. Die sollte man jeden Tag reinigen. Machen Sie so einen Automaten nie auf, sonst trinken Sie keinen Kaffee mehr daraus!
Machen Sie bei sich zu Hause sauber?
Nein, meine Freundin macht sauber. Ich bin für die Spezialitäten zuständig und reinige dann eben die Kaffeemaschine oder anderes. Ganz wichtig ist auch das Bett. Milben finde ich eklig. Da gibt es ab und an eine kleine Ozonisierung, was wir ja auch am Tatort machen.
Kann man im Reinigungsgewerbe reich werden?
Ja, schon. Aber nicht mehr so schnell wie früher. Menschen, die sich anstrengen, werden immer Erfolge feiern. Mich regt es auf, wenn Firmen Leute in die Kalkulation einbringen, die über das Arbeitsamt finanziert werden, oder wenn ausgesourct wird, wenn Personalleasing-Firmen gegründet werden. So etwas verzerrt den Wettbewerb. Ich möchte gern solide reich werden (lacht).
Und, haben Sie es schon geschafft?
Nee, noch nicht. Ich bin nur reich an Erfahrungen.
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