Montagsinterview: Der Rapper: "Ich war ein Gangster wie aus dem Film"
Mit 14 saß der Kreuzberger Challa das erste Mal im Knast. Heute unterrichtet er Rap und Breakdance - und holt dabei selbst Kinder von der Straße.
taz: Challa, am Alexanderplatz ist ein junger Mann zu Tode getreten worden. Was löst das in Ihnen aus?
Challa: Ich war schockiert. Am selben Abend war ich ganz in der Nähe. Am nächsten Tag habe ich dann davon erfahren.
Hat der Vorfall etwas mit Ihrem Leben zu tun?
Ja. Ich war selbst ein typischer Intensivtäter. Ich habe richtig zugeschlagen – bis hin dazu, dass ich einem Typen eine abgebrochene Bierflasche ins Auge gerammt habe. Heute bereue ich das zutiefst. Aber ich kann es nicht rückgängig machen. Ich kann nur versuchen, es jetzt besser zu machen und andere Kids davor zu warnen, den Gangsterweg zu gehen, den ich damals gegangen bin.
Können Sie sagen, warum Sie gewalttätig wurden?
Weil ich wie ein Fremder behandelt wurde. Ich habe mich zwar wie ein richtiger Berliner gefühlt, ich bin im Bergmannkiez aufgewachsen und fest in meinem Kiez verwurzelt. Aber ich sehe eben nicht so aus. Ich habe einen dunkleren Teint, meine Eltern kommen beide aus der Türkei. Ich wurde nie als Berliner anerkannt, und das hat mich so wütend gemacht. Das ging schon in der Grundschule los.
Was ist da passiert?
Caglar Budakli
Der Mensch: Caglar Budakli, genannt "Challa", wurde 1982 in Kreuzberg geboren. Seine Eltern kamen in den 1950er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Berlin. Er hat zwei ältere Brüder. 2004 kam Challa wegen schwerer Körperverletzung ins Gefängnis, 2007 kam er frei. Heute lebt er mit seiner Freundin in Kreuzberg.
Die Musik: Im Gefängnis begann Challa, über sein Leben und die Probleme von Kindern aus Einwandererfamilien zu rappen. Seitdem hat er unter dem eigens gegründeten Label K.O.Muzik und gemeinsam mit dem Rapper Kane, der ugandische Wurzeln hat, zwei Alben herausgebracht. Seine Songs veröffentlicht Challa auch auf YouTube. Im November tritt er in der New Yorker South Bronx auf. Sein Ziel: Er will den Rap zu einem politischen Instrument machen.
Die Arbeit: Im Kreuzberger Jugendzentrum Wasserturm, das von der Stadt getragen wird, bietet Challa Breakdance- und Rapkurse an. Dabei arbeitet er auf seine eigene Art mit den Kindern: Er fragt nach ihren Träumen und Fantasien und regt sie dazu an, ihr Leben zu reflektieren. (ja)
Wir haben mal einen Ausflug gemacht, ich war sieben oder acht Jahre alt. Da hat mich ein kleiner Junge angeguckt und seine Mutter gefragt: Mama, ist das ein Ausländer? Das war, als würde eine Mutter mit ihrem Kind in den Zoo gehen und das Kind fragt: Mama, ist das ein Affe? So kam ich mir vor. Und das als Kind, das Fantasien und Träume hat.
Wovon haben Sie damals geträumt?
Ich wäre gern Anwalt geworden. Aber ich hatte nie Vorbilder, die fest im Leben standen und etwas aus sich gemacht haben. Die Leute in meinem Umfeld standen immer auf der Kippe. Zum Beispiel mein Vater, der war Gabelstaplerfahrer. Ich wollte nie so werden wie er, ich wollte mehr erreichen. Er hat zwar gutes Geld verdient, aber er hat kaum Deutsch gesprochen und konnte mir in Mathe oder Geschichte nichts beibringen. Wir hatten ständig Probleme.
Wie hat sich das geäußert?
Mein Vater hat oft mit meiner Mutter gestritten, er hat getrunken und wurde gewalttätig. Das hat mich kaputt gemacht. Ich war noch klein und konnte meine Mutter nicht beschützen. Wenn ich morgens zur Schule ging, war ich mit den Gedanken ganz woanders. Die anderen Kinder wurden zur Schule gebracht und wieder abgeholt, die hatten ein Pausenbrot und einen Saft dabei und haben Geschichten erzählt von der Zahnfee. Ich hatte keine farbenfrohe, geschichtenreiche Jugend, sondern habe mich gefragt, warum gerade ich in so einer Situation bin.
Und deshalb sind Sie selbst aggressiv geworden?
Genau. Wenn einer in der Schule bessere Noten hatte, dann konnte ich zumindest körperlich gegen ihn gewinnen. So wie mir ging es auch anderen Jungs im Kiez. Wir haben uns dann gesagt, dass uns sowieso niemand will, dass uns alles egal sein kann, und haben Ende der 1990er Jahre eine Gang gegründet: die Crazy Kickbrothers. Unser Revier hieß Kreuzberg 61, unsere Vorbilder waren die Helden der amerikanischen Bandenfilme. Wenn Leute aus den anderen Revieren schlecht über uns geredet oder unsere Graffiti übersprüht haben, haben wir Massenschlägereien im Park organisiert, mit 14, 15 Mann. Die Polizei hatte davon keine Ahnung.
Wie alt waren Sie da?
Ich war elf oder zwölf Jahre alt und ziemlich mutig. Ich war ein Draufgänger, deshalb habe ich mir auch schnell einen Namen gemacht. So richtig aufgegangen in der Gangsterrolle bin ich dann, nachdem ich zum ersten Mal im Knast war.
Warum wurden Sie eingesperrt?
Wegen Erpressung und Körperverletzung, einen Tag nach meinem 14. Geburtstag. Ich glaube, der Richter wollte mir mal zeigen, wie es aussehen würde, wenn ich weiter Scheiße baue.
Hat das was genützt?
Im Jugendknast in Lichtenrade habe ich erst gelernt, wie man die richtig krummen Dinger dreht, Überfälle macht, Drogen verkauft und streckt. Vor dem Knast hatte ich mal an einem Joint gezogen, aber im Knast war dann richtig viel in Umlauf. Das war eine dreckige Zeit. Und als ich nach drei Monaten rauskam, war ich ein Gangster wie aus dem Film. Die Rolle gefiel mir.
Was zeichnet so einen Gangster aus?
Ich dachte mir: Ich habe nichts zu verlieren, nichts von diesem Leben zu erwarten. Das Adrenalin gab mir das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Manchmal war mir auch der Tod egal. Ein Dealer hat mal versucht, mir mit einem Hammer den Kopf einzuschlagen. 15 Mal hat er von hinten draufgehauen, bis der Stil abgebrochen war. Ich war schon nach dem ersten Schlag bewusstlos. Danach saß ich drei Monate im Rollstuhl, ich habe noch heute eine Stahlplatte im Kopf. In so einer Situation wird dir klar, dass du eine Seele hast. Erst wenn du die verlierst, verlierst du dein Leben.
Sie selbst haben allerdings auch häufig zugeschlagen.
Ich selbst habe sogar dann zugeschlagen, wenn sich die anderen nicht mehr getraut haben. So dachte ich, ich würde Respekt gewinnen. Aber eigentlich hatten die Typen keinen Respekt, sondern Angst vor mir. Das ging so bis zu der Sache mit der Bierflasche.
Haben Sie realisiert, was Sie getan haben?
Einen Tag später. Als ich wieder nüchtern war, habe ich gemerkt: Ich habe die Grenze überschritten.
Wie fühlt sich das an?
Ich habe mich als Mensch nicht mehr respektiert. Ich konnte die Tat vor niemandem entschuldigen. Zum Glück hat der Typ sein Augenlicht nicht verloren, sonst würde ich das mein Leben lang mit mir rumtragen. Im Knast habe ich dann ein Zitat von Hermann Hesse gelesen, das meine Situation sehr gut beschrieb: Wenn man am Nullpunkt angekommen ist, dann hat man die Kraft aufzustehen.
Ein Gangster liest Hesse im Knast?
Ich habe sehr viel gelesen im Knast. Ich saß da ja dann drei Jahre wegen schwerer Körperverletzung. Vor allem für Psychologiebücher habe ich mich interessiert: Erkenne dich selbst, schau, wo deine Stärken liegen. Und ich habe angefangen zu rappen. Die Texte hatte ich eigentlich schon lange im Kopf. Aber aufgeschrieben habe ich sie erst in der Zelle.
Erinnern Sie sich, wie Sie Ihren ersten Text gerappt haben?
Im Knast gab es keine Beats, also habe ich das Radio laufen lassen und aufgedreht, wenn mal kein Sprecher geredet hat. Bei Werbejingles zum Beispiel. Dann habe ich versucht, Reime hinzukriegen, die auf diese Beats passten. Dabei habe ich mein Leben erzählt. Also zum Beispiel, dass ich eigentlich kaum Chancen hatte, etwas anderes als Gangster zu werden.
Was macht der Beat mit Ihnen?
Der Beat ist etwas Zauberhaftes. Jeder Beat hat eine andere Atmosphäre. Es gibt einen Beat, der gute Laune macht, andere Beats ziehen dich runter. Ich mag die melancholischen. Die bringen mich in eine andere Welt, in eine Art Trance.
Wie ging es dann weiter mit der Musik?
Nach dem Knast habe ich vor ungefähr fünf Jahren in einem Hinterhofstudio in Kreuzberg meinen ersten Song aufgenommen. Dort hab ich Kenan kennengelernt, der unter dem Namen Kane rappt und etwa zur gleichen Zeit angefangen hat wie ich. Er fand meine Songs richtig gut und ist mit eingestiegen. Seitdem rappen wir zusammen. Wir treten regelmäßig in Kreuzberg auf, zum Beispiel beim Myfest. Wir waren aber auch schon im türkischen Fernsehen auf Sendung. Bisher haben wir zwei Alben herausgebracht, aber wir veröffentlichen vor allem im Internet. Wir wollen nicht von einer Plattenfirma instrumentalisiert werden.
Welche Art Rap machen Sie?
Wir machen Conscious Rap. Unser Rap ist sozialkritisch, wir greifen die Politik an, weil die keine Präventionsarbeit leistet. Wir erzählen unser Leben und arbeiten die Vergangenheit auf. Das ist eigentlich das Ziel von Rap. Aber Gangsterrap hat den Conscious Rap fast ausgerottet.
Und gerade Sie machen keinen Gangsterrap?
Nein. Die Gangsterrapper markieren die übelsten Gangster sowieso nur – das ist alles erfunden. Die Plattenfirmen wollen Kohle machen und verderben dadurch die Kids. Aber seit vier Jahren zeige ich den Kids, wie man authentisch rappt: Ich unterrichte Rap und Breakdance im Jugendzentrum DTK-Wasserturm im Bergmannkiez, sogar meine Eltern sind stolz auf mich. Der Leiter, ein Bekannter meines Bruders, hatte mich gefragt, ob ich nicht Lust habe, den Kids aus Migrantenfamilien etwas von der Straße zu erzählen, aus meinem Leben. Jetzt schreiben sie mir ihre Fantasien und ihr Leben auf. Das ist phänomenal.
Was schreiben sie?
Einer, Ali, hat immer geschrieben, er sei der größte Stecher, der coolste Playboy. Dann habe ich ihm erklärt, dass das nur Show ist und ihn dazu angeregt, sein richtiges Leben aufzuschreiben. Die Texte, die er zwei Jahre später geschrieben hat, die haben mich umgehauen. Die waren total ehrlich.
Was ist aus Ali geworden?
Er hat eine Ausbildung gemacht und ist ruhiger geworden. Er ist mein ganzer Stolz. Ich hatte ziemliche Angst, dass er auf die schiefe Bahn kommt.
Warum?
Es ist auffällig, wenn jemand viel schläft, wenn er Tag und Nacht nicht mehr auseinanderhalten kann und wenn dann auch noch Drogen oder Alkohol dazukommen. Wenn einem das Leben egal ist, wenn einen sein Umfeld nicht mehr interessiert, dann kann das einfach kein gutes Ende nehmen.
Sie selbst haben die Kurve noch mal gekriegt?
Ja, ich hatte im Knast die Chance, an mir zu arbeiten. Die Zeit drinnen macht was mit dir. Du kannst schreien, aber niemand hört dich. Auch von den Jungs draußen kam nichts. Da habe ich bemerkt, dass ich mich jahrelang selbst belogen habe. Also habe ich mir überlegt, wie ich ein besserer Mensch werden kann – weil ich auch wusste, dass die Zeitspanne, in der ich das noch rumreißen kann, begrenzt ist.
Das klingt, als seien Sie froh, im Knast gelandet zu sein.
Während ich eingesperrt war, ist ein Freund von mir in einer Schießerei gestorben. Ich wusste: Wäre ich dabei gewesen, wäre ich auch gestorben.
Was haben Sie gemacht, als Sie wieder rauskamen?
Zu meinen alten Freunden habe ich den Kontakt abgebrochen. Stattdessen habe ich fast ein Jahr für die Polizei gearbeitet – die hatten mich noch im Knast gefragt, ob ich Präventionsarbeit für die Bezirkspolizei leisten will. Ich habe dann in deren Auftrag in Schulen über meine Vergangenheit erzählt. In der Schule lernen die Kinder nur Erdkunde und Mathe. Klar, das ist wichtig. Aber wer zeigt ihnen und warnt sie, wie es auf der Straße zugeht? Dafür bräuchte man auch ein Schulfach.
Arbeiten Sie immer noch mit der Polizei?
Nein, die Arbeit dort habe ich aufgegeben. Einige Polizisten fanden gut, was ich mache. Aber andere dachten, ich würde mich nie ändern. Das hat mich traurig gemacht. Und außerdem: Alle reden davon, dass die Hemmschwelle für Gewalttaten unter Jugendlichen gesunken ist. Aber niemand redet über die gesunkene Hemmschwelle der Polizei. Die haben gerade einen Jungen in Wedding erschossen! Bei so etwas bekomme ich eine Gänsehaut.
Wo würden Sie heute Ihre Ziele sehen?
Ich will eine Familie aufbauen und unabhängig leben. Ich will kein heiliger Mensch werden, aber mit meiner Vergangenheit im Reinen sein.
Fühlen Sie sich heute akzeptiert – als Mensch und als Berliner?
Auf jeden Fall eher als früher. Aber wenn ich eine Currywurst esse, dann fragen mich die Leute immer noch: Challa, du isst Schwein? Aber ich will einfach mein Leben genießen, in vollen Zügen.
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