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Monolog mit Arschkarte

■ Mit John von Düffels „Jenny“ sendet Radio Bremen ein ganz witziges Hörspiel im zehnten deutsch-deutschen Jubiläumsjahr

In diesem Jahr werden die MedienmacherInnen uns MedienkonsumentInnen zuschütten und vollhageln, denn dieses Jahr ist ein Jubiläumsjahr. „Unser Jahrtausend“, „mein Jahrhundert“, „2000 Jahre Christentum“ oder „Vier Millionen Jahre Mensch“ werden die Chroniken heißen. Der Jahrhundertbus und das Jahrtausendflugzeug werden gewiß bald auch in unsere Nähe kommen. Und als ob es mit diesen Rückblicksthemen noch nicht genug wäre, jähren sich ausgerechnet 1999/2000 der „Fall der Mauer“ und deutsch-deutsche Vereinigung zum zehnten Mal. Es wird also kesseln.

Wo schon so viel Anlaß zum Zurückgucken besteht, kann die Hörspiel-Abteilung von Radio Bremen nicht einfach die Augen schließen. Mit der Produktion von John von Düffels „Jenny“ hat deshalb auch sie jetzt einen Rückblick zum doppelten deutschen Jubiläumsjahr beigetragen. Allerdings finden der Ex-Schauspieldramaturg des Oldenburger Theaters und beim letzten Klagenfurter Lesewettbewerb mit dem dritten Preis ausgezeichnete John von Düffel und der Hörspiel-Regisseur Gottfried von Einem einen – wie man in JournalistInnenkreisen sagt – „anderen Dreh zum Thema“. Nämlich: die gute alte Selbstreferenz.

Auch wenn die Fernseh- und Radiosendeplätze und Zeitungsseiten zum gegebenen Anlaß garantiert mit Rückblicken gefüllt sind, müssen sie zuvor jedoch erstmal produziert werden. In von Düffels Stück „Jenny“ ist es ein namenloser freier Journalist, der – wie man in diesem Berufskreis auch sagt – die „Arschkarte zieht“. Kurz vor seinem Urlaubsflug auf die Malediven bittet ihn sein Redakteur um einen Text zum Thema „Ostdeutschland 1999“. Weil er als Freiberufler Aufträge nicht ablehnen kann, quengelt und quakt er zwar, aber sagt dann doch zu.

„Jenny“ ist ein Monolog am Telefon. Der Journalist vom Typ pflegebedürftige Edelfeder versucht sich in einem ersten Telefonat um den Auftrag herumzureden. Beim zweiten Anruf hat er das Redaktionslaptop schon in der Tasche und macht als lästermäuliger Besserwessi am Frankfurter Flughafen schon die ersten verwertbaren Beobachtungen, als eine Maschine aus Leipzig eintrifft. Schließlich läßt er den Redakteur wissen, daß er mit der 16jährigen Jenny die Franziska von Almsick des Badminton kennengelernt hat.

Unter der Regie Gottfried von Einems spielt Werner Wölbern diesen Monolog. Mit großem Gespür für Redeflüsse und Pausensetzung hat man beim Hören immer den Eindruck, tatsächlich Telefonate zu belauschen. Wölbern und von Einem zeichnen diesen Journalisten als Mischung aus Ekel Alfred und Woody Allen und werden damit der Stärke dieses Stückes gerecht. Denn die Zeichnung dieses Journalisten-Typus ist von Düffel so witzig wie treffend gelungen. Doch mit der Titelfigur Jenny driftet das Stück gegen Ende in klischeehafte Altherrenschwüle ab. Als kleine Blüte in der Flut der Chroniken ist diese vor allem in der ersten Hälfte sehr komische 35-Minuten-Produktion trotzdem hörenswert.

Christoph Köster

Ursendung „Jenny“: Dienstag, 30. März, 22.05 Uhr auf Radio Bremen 2

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