■ Kommentar: Monarchischer Gestus
Die Art, wie die Bundesregierung vom Herzen Berlins, von der Spreeinsel, Besitz ergreift, ist kennzeichnend für ihr Verständnis von demokratischer Teilhabe an politischen Prozessen. Schon der erste Akt des Dramas hätte stutzig machen müssen. Am 16. Januar weilte der Bundeskanzler in der frisch gekürten Hauptstadt und legte bei einem vierstündigen Spaziergang die Flächen fest, auf denen er und die seinen zukünftig residieren und regieren wollen. Die Spreeinsel schien ihm geeignet, Standort „wichtiger Ministerien“ zu sein, an Stelle des Palastes der Republik sah er bereits ein zukünftiges Konferenzzentrum des Bundes. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und sein Stadtentwicklungssenator nahmen seinerzeit Kohls Worte untertänigst und mit Dankbarkeit zur Kenntnis. Seitdem bestimmen des Kanzlers Ausführungen nachhaltiger die Berliner Stadtplanung als alle Stadtforen, die derweil gehalten wurden.
Kohls monarchisches Gehabe fand und findet seine Fortsetzung in den aktuellen Auseinandersetzungen um das ehemalige ZK- und das ehemalige Staatsratsgebäude. Während sich in Berlin Bezirks- und Landespolitiker noch darum streiten, wer denn nun mehr bei der Planung zu sagen habe, machen die Bonner Abrißpläne hinreichend deutlich, daß lediglich die persönlichen Vorlieben der jeweiligen Minister maßgeblich sind. Und die unterscheiden sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen in keinster Weise von ihrem Kabinettschef. Kinkel verlangte nach einem „würdigen“ Ambiente, deshalb sollte das Haus der Parlamentarier fallen. Möllemann wollte nicht ärmlicher hausen als Waigel, deshalb sollte das ehemalige Haus der Ministerien einem Neubau weichen. Daß solchermaßen nationalsozialistische und realsozialistische Geschichte gleichermaßen entsorgt wird, war noch nicht einmal eine Debatte wert. Daß die Gebäude unter Denkmalschutz stehen, wen scherte es. Da klingt es schon wie eine Ironie der Geschichte, daß der Bundeswirtschaftsminister genau an der Stelle seine neue Residenz bauen wollte, an der zuletzt die wirtschaftlichen Restbestände der ehemaligen DDR abgewickelt wurden. Daß das ehemalige Haus der Ministerien gerade mal ein paar Jahre vor seinem vermeintlichen Abriß in Detlev-Rohwedder-Haus umbenannt wurde, um den ehemaligen Treuhandchef zu ehren, scheint in den Bonner Amtsstuben noch nicht einmal jemandem aufgefallen zu sein.
Keinerlei Rolle scheint in den Überlegungen der Bonner Ministerialen der Bezug gespielt zu haben, den zumindest die Bürger und Bürgerinnen Ostberlins zu den Gebäuden haben. Keiner von ihnen stellte sich die Frage, ob sie (noch) entscheidend für die Identität dieses Teilstadtvolkes sind. Es war noch nicht einmal vorgesehen, ihre Meinung zu erfragen. Kein Anlaß zum Zögern war der Kabinettsrunde die öffentliche Wirkung ihres Tuns. Drei Minister leisten sich neue und wahrscheinlich teure Residenzen, dieweil sie das Volk zum Sparen und Teilen auffordern.
Es lassen sich auch für den Abriß des ehemaligen Staatsratsgebäudes sicher gute Gründe finden, doch sollte diese Entscheidung vorrangig Sache derjenigen sein, die unter diesem Staatsrat gelitten haben. Erschreckend am Vorgehen der Bundesregierung sind nicht nur die angestrebten Resultate, sondern vor allem die Art und Weise. Beschlüsse insgeheim und kurzfristig gefällt, das ist Standortpolitik nach Gutsherrenart. Dieter Rulff
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