: Moldavien-Krisensitzung im Kreml
■ Vorläufige Kompromißlinie: die Gagausen und die Dnejstr-Republik stornieren ihren Sezessionsbeschluß/ Moldavien setzt den Beschluß über Rumänisch als Staatssprache aus
Moskau (afp) — Nach dem Überfall moldavischer „Freiwilligenverbände“ auf einige Städte östlich des Dnjestr, bei dem es eine noch unbestimmte Zahl von Toten gegeben hat, hat sich die Lage laut 'Tass‘ etwas normalisiert. Die moldavischen Einheiten hatten versucht, über die Dnjestr-Brücken in das von Russen und Ukrainern bewohnte Gebiet vorzudringen, waren aber durch Barrikaden daran gehindert worden. Das moldavische Innenministerium hat bislang den Einsatz von Schußwaffen seitens moldavischer Milizen (= Polizei) strikt geleugnet. Moldaviens Parlament beschloß am Samstag, jetzt eigene reguläre Truppen aufzustellen, das Parlament lehnte zugleich die Entsendung von Sondertruppen des sowjetischen Innenministeriums nach Moldawien ab. Der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Ryschkow drohte mit harten Maßnahmen, falls die politische Führung in Moldawien nicht für Ordnung im eigenen Haus sorgen könne.
Unterdessen geriet Staatspräsident Michail Gorbatschow zunehmend in die Schußlinie der konservativen Gegner seiner Reformpolitik. Die Abgeordnetengruppe Sojus warf ihm vor, die Nationalitätenkonflikte in der Sowjetunion nicht in den Griff zu bekommen. Sie drohte mit einem Mißtrauensvotum gegen Gorbatschow, wenn „energische Maßnahmen“ zum Schutz der verfassungsmäßigen Rechte der Russen in den einzelnen Sowjetrepubliken ausbleiben sollten. Außerdem forderte die Gruppe die unverzügliche Absetzung des sowjetischen Innenministers Wadim Bakatin, den sie beschuldigte, die Bildung von Freiwilligenmilizen in Moldawien ermöglicht zu haben.
An einer Sondersitzung in Moskau zu den Unruhen in Moldavien nahmen Präsident Gorbatschow, Ministerpräsident Ryschkow, der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR, Anatoli Lukjanow, der moldawische Präsident Mirchea Snegur, der stellvertretende Vorsitzende des moldawischen Parlaments, Ion Chadyrke, sowie Vertreter der gagausischen und der russischsprachigen Minderheit Moldawiens teil. Die Teilnehmer an der Sondersitzung sprachen sich dafür aus, alle von den Konfliktparteien in der letzten Zeit gefaßten Beschlüssse, die zum Ausbruch der Unruhen geführt hatten, auszusetzen. Außerdem wurde laut 'Tass‘ die Auflösung der bewaffneten Freiwilligenverbände gefordert, die von den verschiedenen ethnischen Gruppen aufgestellt worden waren.
Um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, müsse die „territoriale Integrität Moldawiens innerhalb der UdSSR gewahrt bleiben“. Die gagausische und die russischsprachige Minderheit hatten im Süden und im Osten Moldawiens jeweils eigene Republiken ausgerufen. Snegur forderte am Sonntag während der im Fernsehen direktübertragenen Parlamentsdebatte, die Bildung eigener Republiken durch die Minoritäten auf dem Gebiet Moldawiens zurückzunehmen. Zugleich stellte er in Aussicht, daß Moldawisch nicht sofort Staatsprache werden sollte. Ein entsprechendes Gesetz hatte das Parlament in Kischinjow im August verabschiedet und damit die nachfolgenden Unruhen heraufbeschworen.
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