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■ Afrika ist viel rätselhafter und zugleich schlichter, als viele denken. Ein neues Reisebuch gibt darüber Aufschluß Von Dominic JohnsonMokele-Mbembe, Marx und Magie

„Kongofieber“ heißt das Buch des britischen Naturforschers Redmond O'Hanlon,

in dem er seine

Erfahrungen im Regenwald von Kongo- Brazzaville verarbeitet. Der Bericht aus dem tropischen Afrika ist zugleich das Protokoll einer Selbsterfahrung, in der sich die politische Krise der neunziger Jahre in seltener Unmittelbarkeit widerspiegelt.

Der letzte Dinosaurier der Welt heißt Mokele-Mbembe und lebt tief im afrikanischen Regenwald, in Lac Tele mitten in den urtümlichen Sumpfwäldern der Republik Kongo. Daß Mokele-Mbembe ein Dinosaurier ist, weiß man, weil die Leute der Gegend einen Dinosaurer in den Sand malen, wenn man sie nach Mokele-Mbembe fragt.

Mit dieser Information gerüstet, zieht der englische Naturforscher Redmond O'Hanlon zusammen mit einem US-amerikanischen Kollegen und einem kongolesischen Begleiter hinauf in den Urwald. Sein Reisebericht „Congo Journey“, 1996 in Großbritannien erschienen, ist jetzt als „Kongofieber“ – wenngleich mit der irreführenden Bezeichnung „Roman“ – auch auf Deutsch zu lesen. Zu einem Zeitpunkt also, in dem die politischen Umwälzungen auf beiden Ufern des Kongos auch hierzulande mediale Beachtung gefunden haben.

O'Hanlon machte seine Reise noch zu einem Zeitpunkt, als Kongo-Brazzaville eine marxistisch-leninistische Volksrepublik war und Präsident Denis Sassou- Nguesso unangefochten regierte. Vor den großen Umwälzungen der neunziger Jahre also, als die Einparteiensysteme Afrikas für überholt erklärt wurden und hundert Blumen der Demokratisierung blühten.

Insofern ist sie für den heutigen Leser auch eine Zeitreise, und je weiter O'Hanlon ins Unbekannte vordringt, desto schwieriger wird die Beantwortung der Frage, in welche vergangene oder zukünftige Zeit sie eigentlich führt. Denn Sassou-Nguessos Volksrepublik Kongo ist ein surrealistischer Ort.

Die trockenen historischen Tatsachen sind eingängig genug: Eine vom Marxismus beseelte „Arbeiterpartei“ regiert ein Land, das größtenteils aus unerschlossenem und kaum besiedeltem Urwald besteht. 80.000 der 1,5 Millionen Bewohner sind Staatsangestellte. Unter Berücksichtigung der Größe einer durchschnittlichen afrikanischen Familie und des Umstandes, daß einige Landesteile aus dem politischen Geschehen ausgeschlossen sind, bedeutet das, daß ganze Bevölkerungsgruppen direkt vom Staat alimentiert werden.

Sie werden natürlich in Wirklichkeit nicht vom Staat bezahlt, denn Sassou- Nguessos Staat lebt vom französischen Ölmulti Elf, der die Ölfelder der Küstenregion des Kongos ausbeutet und dessen Geldanweisungen die kongolesische Ökonomie ebenso dominieren wie der riesiege Glas-und-Beton-Turm von Elf die Skyline von Brazzaville. Einer der mächtigsten kapitalistischen Konzerne der Welt hält sich ein Militärregime, dessen Kommunismus er vermutlich genausowenig ernst nimmt wie hundert Jahre vorher die Kolonisatoren die Religionen der Eingeborenen.

Die Staatskommunisten von Brazzaville halten alle eigenständigen lokalen Kulturen ihres Landes ebenfalls für rückständig und abergläubisch. Und die Bewohner der Flußdörfer verachten ihrerseits die ursprünglichen Bewohner des Regenwaldes, die Pygmäen. Diese gelten – bis heute – nicht als Menschen, denn richtige Menschen wohnen nicht im Wald.

Man hält sie als Quasisklaven in Elendslagern, wo sie ihre erlernten Fähigkeiten zum Überleben im Regenwald vergessen und statt dessen in die Zivilisation eintreten sollen, wenn sie nicht schon vorher an Krankheiten oder Marginalisierung sterben. Das Leben in Kongo-Brazzaville ist hart und straff hierarchisiert, wie in vielen tropischen Staaten Afrikas, die als Nachfolger kolonialer Militärdistrikte entstanden und als postkoloniale Militärdiktaturen fortbestehen.

Vergangenheit oder Zukunft? Seit O'Hanlon seine Reise beendet, sich von seinen Tropenkrankheiten erholt und sein Buch fertig geschrieben hat, hat Kongo- Brazzaville eine Revolution erlebt, ganz nach dem klassischen Wortsinne einer kreisrunden Umkehrung. Erst kollabierte die Wirtschaft, dann fegte der Hunger nach Demokratie in Brazzaville Sassou- Nguessos groteske Volksrepublik davon, und es entstand ein parlamentarisches System, dessen neugewählter Präsident Pascal Lissouba sich als Mann der Bildung präsentierte.

Dann setzte in einem bankrott gegangenen Land der verzweifelte Kampf um die Verteilung der höchstens noch als Potential existierenden Ressourcen ein. Die Kontrahenten sammelten sich in Milizen statt in Parteien, die pluralistische Demokratie geriet zum Schlachtfeld.

Als schließlich 1997 der Donnergroll des politischen Umsturzes Kinshasa erreichte, jenen monströsen Sündenpfuhl gegenüber vom kleinen Brazzaville auf dem anderen Ufer des kilometerbreiten Kongo-Stroms, explodierte der nie vollendete Kampf um die Vorherrschaft in Brazzaville von neuem. Zwischen Juni und Oktober 1997 starben mehrere tausend Menschen, eine dreiviertel Million machte sich auf die Flucht. Der Sieger am Ende hieß Denis Sassou-Nguesso.

Alles ist wieder beim alten. Aber zugleich hat sich alles verändert. Brazzaville ist ein Schatten seiner selbst, die Republik Kongo ist ausgeblutet. Das von O'Hanlon bewunderte Asyl für verwaiste Gorillas in Brazzaville existiert nicht mehr. Seine Insassen, viel privilegierter als gewöhnliche Menschen, wurden zu Beginn des Bürgerkrieges von französischen Soldaten evakuiert. Die einst vitalste Kulturszene des tropischen frankophonen Afrika, die unter den Bedingungen des Surrealismus in der Volksrepublik Kongo eine beißend ironische Literatur hervorgebracht hatte, ist tot. Die bekannten Namen sind fort: Sony Labou Tansi ist an Aids gestorben; Henri Lopes als Vizedirektor der Unesco nach Paris gezogen; Emmanuel Dongala, der es am längsten in Brazzaville aushielt, schaffte unter abenteuerlichen Umständen im Sommer den Weg aus dem Bombenhagel in seiner Heimat ins US-amerikanische Exil. Das Verstummen der zeitgenössischen afrikanischen Literatur gehört zur traurigen Bilanz der neunziger Jahre – die Dekade, in der in Afrika alles anders werden sollte.

Man kann einige Facetten dessen, was die Veränderung zum Positiven so aussichtslos machte, bei O'Hanlon erahnen: die Unbarmherzigkeit der sozialen Schichtung, den Zug des schnellen Geldes, die höllische Verknüpfung von Ignoranz und Vorurteil, die Abgeschnittenheit der ländlichen Bevölkerung von den sie beherrschenden politischen Vorgängen, die niederschmetternde Macht der geographischen Distanz in einem unwegsamen Land, die Betörungskraft eines Zivilisationsmodells, in dem alles Vertraute wertlos erscheint und nur das erstrebt wird, was man nicht kennt.

Kongos berühmtester Schriftsteller, Sony Labou Tansi, gibt das Motto für diese Geisteshaltung – die arrogante Diktatoren und schießwütige Milizionäre, unterdrückte Bauern und paranoide Politiker verbindet – in seinem Roman „Die heillose Verfassung“: „Unsere allerheiligste Pflicht ist es, die Ambivalenz zu lösen, bevor die Ambivalenz uns auflöst. Wir sind wie von einem Fluch verfolgt in die Geschichte getreten.“

Dies ist die den afrikanischen Bedingungen der neunziger Jahre angepaßte Version des europäischen Fortschrittsgedankens. Es ist bemerkenswert, daß noch nie so viele Exmarxisten auf afrikanischen Präsidentensesseln saßen wie heute, da Demokratie und Marktwirtschaft in Afrika ihren Siegeszug vollbracht haben.

Die Hoffnungsträger Afrikas sind sich modernisierende Länder wie Südafrika und Uganda, Eritrea und Mosambik. Die Demokratische Republik Kongo strebt ebenso dorthin wie Angola, und alle diese Länder verbindet die Herrschaft ehemaliger linksgerichteter Guerillaführer, die zum Teil in dieselben Ausbildungscamps gingen und dieselben Utopien zuerst träumten und dann zerstörten.

Auch Sassou-Nguesso möchte zu dieser Welt der Mandelas und Kabilas und Musevenis gehören, wo sogar die USA des Lobes voll sind und Visionen vom vereinten Afrika geträumt werden dürfen. Dazugehören möchte auch der Kongolese Manou, der Redmond O'Hanlon gegen Schluß der Urwaldreise erklärt: „Wir sind nicht wie Ihr! Wir sind zivilisiert! Ich und Nze, wir gehen nicht aus lauter Übermut in den Wald. Dazu noch bei einem solchen Regen. Das können die Pygmäen machen. Wir sind das nicht gewöhnt. Wir leben in der Stadt. Wir haben ein Zuhause!“

Genau. Es waren ja schließlich die Europäer, die einst auf der Suche nach Kostbarkeiten nach Afrika kamen, nicht umgekehrt. Viele Afrikaner hielten die ersten europäischen Sklavenhändler für Kannibalen. Nur dies erklärte den scheinbar unersättlichen Menschenbedarf der weißen Fremden. Die Geschichte der europäisch- afrikanischen Begegnungen besteht aus Mißverständnissen, die in beide Richtungen fast identisch laufen.

Wenn endlich die Differenzen eingeebnet sind, ist alles gleichwertig. „Ihr seid doch reich“, erfährt O'Hanlon von einem seiner kongolesischen Waldführer, der zum Ärger des naturverliebten Briten gern seltene Menschenaffen jagt und verspeist. „Eure Wälder müssen voll von Gorillas sein!“ Es gibt in dieser Welt keine Wertunterschiede zwischen traditionellem Hexenglauben, Christentum, Marxismus und dem Fasziniertsein des Wissenschaftlers von Pflanzen. Sie fetischisieren einfach alle etwas anderes. Die Folge davon ist aber nicht die Mythisierung der Politik, sondern die Verwissenschaftlichung und Modernisierung traditioneller Denkstrukturen.

Wer heutzutage in den zentralafrikanischen Wäldern von Uganda bis zum Kongo eine erfolgreiche Buschrebellion starten will, greift eher zu Magie und Fetischglauben als zum Marxismus – weil dieser ja bekanntlich nicht richtig funktioniert und zugleich zur rhetorischen Verbrämung der Aufbauprojekte der Herrschenden verballhornt worden ist.

Der hexende Guerillachef, der seine Rebellen mit unverwundbar machendem Wasser motiviert, abstrahiert genauso wie der Naturwissenschaftler vom Alltagsgebrauch der Dinge, um die eigenen Klassifikationen in den Vordergrund zu stellen.

Vielleicht ist das ein Grund, weshalb Redmond O'Hanlon mit seiner Begeisterung für dunkle Wälder und ungemütliche Lebewesen im Verlauf seiner Reise so viel empfänglicher für Geister und Fetische wird als sogar einige seiner einheimischen Begleiter, die schlußfolgern, daß der Weiße wohl selber ein Zauberer ist.

O'Hanlons Regenwaldbeschreibungen sind eindringlich und liebevoll, erreichen aber niemals die emotionale Intensität afrikanischer Vorbilder wie zum Beispiel des Kameruners Samuel Mvolo, der in seinem Kitschroman „Les Amants du Grand Fleuve“ aus den siebziger Jahren zwischen banalen Liebesaffären wie nebenbei eine hinreißende, völlig unwissenschaftliche Waldodyssee hinzaubert.

Der Brite trifft so sehr genau den Ton der Entzauberung der afrikanischen Gegenwart. Wenige afrikanische Schriftsteller und vor allem kein Kongolese würde heute noch mit positiven Emotionen über seine Heimat schreiben – wenn überhaupt noch etwas geschrieben wird. Zuviel ist passiert.

Man kann, Kongo macht es vor, all die verschiedenen Denkrichtungen der europäisch-afrikanischen Moderne hierarchisieren – und zwischen ihnen wählen. Aber der verfluchten Ambivalenz entrinnt man damit nicht. Wissenschaftler und Hexen sind sich einig, daß Brazzaville nach dem blutigen Bürgerkrieg der Macht der Toten unterliegt: Die notdürftig begrabenen Leichen der Kriegsopfer sorgen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation dafür, daß das Grundwasser verseuchen wird.

Aber seitdem Sassou-Nguessos neue Regierung die Toten wieder ausgräbt, um sie richtig zu bestatten, ist die Trinkwasserversorgung der Hauptstadt zusammengebrochen. Es ist anzunehmen, daß niemand der amtlichen Erklärung, ein Stromausfall sei verantwortlich, Glauben schenkt. Wozu auch?

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