Mogadischu im Ersten: Die Opfer der Marionetten
"Mogadischu" (So., 20.15 Uhr, ARD) ist kein Täterfilm wie der "Baader-Meinhof-Komplex" und ihm künstlerisch überlegen. Ideologisch trennt beide Filme wenig.
"Ich bin ein Konservativer, mich interessieren die Täter überhaupt nicht", sagt Maurice Philip Remy, Drehbuchautor des TV-Films "Mogadischu", den die ARD am Sonntag zur besten Sendezeit zeigt. Wie Remy definieren sämtliche Macher ihre Arbeit an dem Großprojekt in Abgrenzung zum vermeintlich täterfixierten Kinofilm "Der Baader-Meinhof-Komplex". Während dort "die Opfer wie im Indianerfilm abgeschlachtet werden" (Remy), nehme der Film "Mogadischu", der von der Entführung der Lufthansamaschine Landshut durch die PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) erzählt, die "Perspektive der Opfer" ein, sagt Produzent Nico Hofmann. Somit sei der Film über die fünftägige Geiselnahme ein "Alternativentwurf" zum Werk von Uli Edel, Bernd Eichinger und Stefan Aust.
Das PR-Geklingel - wohl langfristig aufeinander abgestimmt, da die ARD-Produktionstochter Degeto an beiden Projekten beteiligt ist - täuscht darüber hinweg, dass von signifikanten ideologischen Unterschieden zwischen den Machern kaum die Rede sein kann. Nico Hofmann sagt, "Mogadischu" mache "deutlich, dass wir - ähnlich wie beim Nationalsozialismus - die Verantwortung haben, uns deutscher Geschichte als Thema immer wieder aufs Neue zu stellen". Hoppala! Ähnlich wie beim Nationalsozialismus? Und Stefan Aust sagte in einer Diskussionsrunde des Magazins Park Avenue zum Vergangenheitsboom im deutschen Film über die Verfilmung seines "Baader-Meinhof-Komplexes": "Da wird der Student Benno Ohnesorg erschossen, worüber man sich empört und wogegen man aufstehen will, und wo man auch versteht, dass es jemand tut - und dann erlebt man andererseits diese absurde Gewalt. Den gleichen Effekt gibt es beim Dritten Reich. Filme ermöglichen uns, in die Täter hineinzuschauen, was selbstverständlich viel schwerer ist. Aber nur so kann ich herausfinden, woher zum Beispiel dieser Judenhass kommt - und meine Schlüsse ziehen."
Sieht man einmal ab von solch geschichtsklitternden Verbaldribblings, fällt auf, dass "Mogadischu" dem "Baader-Meinhof-Komplex" künstlerisch weit überlegen ist. Das ist allerdings keine besondere Leistung, denn Letzterer ist ja kaum mehr als eine fast schon pornografische Aneinanderreihung von Action-Höhepunkten, die nach dramaturgischen Maßstäben kaum "Spielfilm" genannt werden kann. Regisseur Roland Suso Richter ("Dresden", "Das Wunder von Berlin") konzentriert sich in "Mogadischu" auf die immer wieder eskalierenden Geschehnisse an Bord der "Landshut". Der Film mutet teilweise - für die Prime-Time am Sonntag ungewöhnlich - dokumentarisch an.
Insgesamt hat die neue Großproduktion von Hofmanns Firma Teamworx auch mehr Substanz als der patriotische Propagandakitsch, den sein Haus sonst zu produzieren pflegt ("Dresden", "Die Flucht") - obwohl die Verklärung des nicht erpressbaren Krisenmanagers Helmut Schmidt, den Christian Berkel verkörpert, fast schon parodistische Züge hat. Die Stärke von "Mogadischu" besteht vor allem darin, dass der Spielfilm - wie auch eine am späteren Abend ausgestrahlte Dokumentation zum Thema - einen anderen Blick auf das Phänomen Deutscher Herbst ermöglicht: Maurice Philip Remy, der auch Regisseur der Doku ist, sagt, die RAF-Mitglieder seien "Marionetten" der PFLP gewesen.
"Das Herbst-Event im Ersten" (Eigenwerbung) hat eine außergewöhnlich lange Entstehungsgeschichte: Remy begann mit seinen Recherchen bereits vor zwölf Jahren. Als aufwendig stellten sich die Nachforschungen im Nahen Osten heraus, aber auch hierzulande waren sie teilweise nicht einfach. Bei den Recherchen zur "Landshut"-Entführung etwa fühlte sich Remy behindert. Das Kanzleramt habe "alle Akten der am Krisenstab beteiligten Ministerien ausnahmslos geblockt", sagt er. "Der Prozess der politischen Willensbildung ginge uns nichts an, hieß es." Sollte man sich in Berlin zur Transparenz durchringen, könnte also durchaus Stoff für eine weitere Dokumentation anfallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“