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Pop-DebatteMöwen zum Mitsummen

■ Heiß erwartet und schon umstritten: das 1. Album des Bremer TripHop-Duos „Czech“ / Ein Streitgespräch der Fachpresse

A.N.: Die CD von „Czech“, Bremens erstem TripHop-Projekt, ist endlich erschienen, und ich denke, die hohen Erwartungen waren voll gerechtfertigt. Gleich nach dem ersten Hören mußte ich sie hocherfreut noch einmal durchlaufen lassen.

L.R.: Trotzdem: Deutschlands TripHop-Hauptstadt wird Bremen mit diesem Album nicht. Als ich die Platte von „Portishead“ das erste Mal hörte, blieben mindestens drei Hits hängen. „Czech“ rotiert nun schon zum vierten Mal im Player und ich erkenne noch immer kaum etwas wieder. Beats und Elektrowabern und wenig Greifbares.

„I Do Believe“ empfand ich sofort als Ohrwurm. Der Refrain summte den ganzen Tag noch nach, und die Musik ist weitaus fröhlicher, als ich das vorher erwartet hatte. Aber TripHop muß für mich sowieso keine hitorientierte Musik sein.

Natürlich muß diese Art von Musik griffig sein, um gut zu sein. Sonst bist du bei den hallenden Keyboardakkorden und dem sphärischen Sausen ganz schnell bei Esoterik oder Kaufhausmusik. „Angel“ ist so ein Stück, wie es nicht passieren sollte.

Das ist mit den Möwen und dem Meeresrauschen natürlich ziemlich überfrachtet. Aber so konzentriert, daß es nicht langatmig wirkt. Ich finde diese Art von Kitsch zur Abwechslung mal äußerst unterhaltsam, wenn man das nicht unnötig in die Länge zieht.

Es soll ja gar kein Kitsch sein. Katharina Gorecki orientiert sich bei den Gesanglinien doch voll an dem Barjazz-Ding und ist bestimmt sauer, wenn man das als absichtlichen Kitsch auffaßt. Der entsteht unabsichtlich, weil die beiden an manchen Stellen der Platte etwas über das Ziel hinausschießen. Da hätte ein erfahrener Produzent her gemußt, der knallhart sagt: „Nee, Leute, nach so einer Brücke muß der Refrain aber etwas knackiger sein,“ bevor diese freien, meist ja auch gelungenen Harmonien ausufern.

Ich empfinde lediglich „Angel“ als kitschig. Diese Barjazz-Geschichte findet sich auf ganz anderen Songs, und da ist sie ehrlich gemeint und kommt auch so rüber. Die Platte ist halt sehr abwechslungsreich. Besonders schön ist, daß gerade ein Jazz-Stück wie „My Funny Valentine“ in der „Czech“-Bearbeitung überhaupt nicht nach Jazz klingt und zu reinem Trip-Hop wird. Eigenkompositionen wie „It's a shame“ dagegen kommen zwar aus dem Sampler, enden aber viel jazziger.

Die Gratwanderung, die Soundtüftler Gregor da veranstaltet, ist schon enorm: Elektroloops, blue notes, Streicher und der Drumcomputer werden waghalsig, aber nicht spielerisch genug verschmolzen. Den letzten Hauch eleganter Unbekümmertheit bringt sicher erst die nächste Platte. Die aber dann sicher ein Hammer wird.

Andreas Neuenkirchen & Lars Reppesgaard

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