Mörderischer Angriff: Doppelmord an Roma in Ungarn
Zwei Tote bei Brandanschlag und anschließender Schießerei im Osten des Landes. EU-Abgeordnete: rassistische Motive nicht auszuschließen. Polizei bildet Sonderermittlungsgruppe.
Zwei Roma sind in der Nacht auf Montag in der ostungarischen Ortschaft Nagycsécs ermordet worden. Bisher unbekannte Täter hatten Häuser mit Molotow-Cocktails beworfen. Eines davon fing Feuer. Als die Bewohner, zwei Männer, eine Frau und ein Kind, aus dem brennenden Gebäude eilten, kamen sie unter Beschuss von Schrotflinten. Ein 43-jähriger Mann und die 40-jährige Frau starben, der andere Mann erlitt Schussverletzungen. So weit die Fakten, die Montagabend von einem Polizeisprecher in der Bezirkshauptstadt Miskolc bestätigt wurden.
Die liberale Europa-Abgeordnete Viktória Mohácsi forderte die Behörden auf, "rassistische Motive nicht von Vornherein auszuschließen". Mohácsi gehört selbst der Minderheit der Roma an und ist über zunehmende rassistische Ausschreitungen besorgt. Justiz- und Polizeiminister Tibor Draskovics versprach, den "Fall von außerordentlicher Bedeutung" ernst zu nehmen. Beweis dafür ist die Bildung einer Sonderermittlungsgruppe durch die Polizei.
Ein rassistischer Hintergrund für den Doppelmord drängt sich auf. Vor allem in Ostungarn, dem ärmsten Teil des Landes, haben sich Attacken mit Brandsätzen auf Ansiedlungen der Roma gehäuft. Bei den Ermittlungen zeigte die Polizei bisher wenig Eifer, denn in der Gesellschaft herrscht eine rassistische Grundstimmung, die einige rechte Tageszeitungen noch schüren.
Das Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén, wo sich das Verbrechen ereignete, gehört zu den ärmsten. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Regionalpolitiker lassen sich stets neue legale Tricks einfallen, wie sie den Roma die Arbeitslosenhilfe oder das Kindergeld streichen können. Die weitere Verelendung der ohnehin ausgegrenzten Minderheit ist die Folge. Viele Bauern können vom Ertrag ihrer Äcker kaum leben und reagieren aggressiv auf die Roma, die regelmäßig Feldfrüchte stehlen. Ein Bauer, der kürzlich seinen Zaun unter Strom setzte und damit einen Rom tötete, genießt hohe Popularität.
Mit zwischen 5 und 7 Prozent der zehn Millionen Einwohner hat Ungarn eine der größten Roma-Gemeinden Europas. Die mit dem EU-Beitritt verstärkten Programme zur Förderung der Roma greifen kaum und verstärken noch das aggressive Klima in der Bevölkerung. Im vergangenen Juni waren drei Roma-Häuser in Patka westlich der Hauptstadt Budapest Ziel eines Brandanschlags. Im Juli wurden drei Häuser von Roma im Dorf Galgagyork nahe Budapest beschossen, wie die Nachrichtenagentur MIT meldete. Menschen kamen nicht zu Schaden.
Für die Morde in Nagycsécs gibt es eine zweite Erklärung, die Medien verbreiteten. Es könnte die Tat skrupelloser Geldverleiher gewesen sein, die sich an zahlungsunfähigen Klienten gerächt hätten. In der Gegend sind auch die meisten Ungarn zu arm, um an einen Bankkredit zu kommen. Für die Roma sind die Wucherer die einzige Finanzierungsquelle. Jedoch nehmen sie Zinsen von bis zu 250 Prozent monatlich, was illegal ist.
Um sich gegenüber der Polizei zu tarnen, geben sich die Geldverleiher als Wohltäter humanitärer Organisationen aus. Sie vergeben keine Kredite, sondern strecken Nahrungsmittel vor und kassieren später dafür exorbitante Preise. Dass die Wucherer beim Eintreiben ihrer Außenstände nicht zimperlich sind, ist bekannt. Sollte der Doppelmord auf ihr Konto gehen, wäre das eine neue Qualität rassistischer Kriminalität in Ungarn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag