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Mölbis — Perle unter Ruß

■ Unter der Abluftfahne des Industriekomplexes Espenhain liegt ein schmuckes Dorf

Mölbis war einst eine Perle des Sachsenlandes. Das Dorf, einige Kilometer im Süden von Leipzig gelegen, zierte ein Schloß, Schloßpark und viele Grünanlagen mit Teichen luden zu Spaziergängen ein. Seitdem die Nazis ihr Drittes Reich autark und von Ölimporten unahängig machen wollten, ist die Luft vön Mölbis mit Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, Kohlenmonoxid, Mercaptan und Kohlenstaub gesättigt. Vor dem Dorf ist eine über 15 Meter hohe Halde von teerhaltigen Rückständen aufgeschüttet. Dunkle Rauchfahnen aus unzähligen Kühltürmen und Schornsteinen des Industriekomplexes verdecken die Sonne auch dann, wenn sie so hoch steht, daß sie, der möglichen Luftlinie folgend, eigentlich über die Halde hinweg auf das Dorf scheinen müßte.

An 250 Tagen im Jahr liegt Mölbis in der Abluftfahne der Braunkohleverarbeitungs-Komplexes Espenhain. Die Wände der Häuser, jeder Gegenstand im Freien, der gesamte Boden ist mit einer leichten Rußschicht bedeckt. Dies ist noch heute so, obwohl die Schwelerei, das allerschlimmste Stück erst national- und dann realsozialistischer Industriepolitik, seit dem August 1990 abgeschaltet ist. „Dadurch hat das Dorf eine Überlebenschance“, sagt der Bürgermeister.

Die Lebenserwartung der Menschen liegt in Mölbis um sechs bis sieben Jahre unter dem Durchschnitt, jedes zweite Kind leidet unter einer Erkrankung der Atemwege. Unter Honecker gab's dafür hin und wieder eine Sonderration Bananen — Hoffnung auf Besserung gab's nicht. Das SED-Regime wollte die Bewohner einfach wegsiedeln, die Einwohnerzahl sank auf unter die Hälfte. Die Bewohner von Mölbis beteten in Umweltgottesdiensten und richteten eine Eingabe an Honecker: „Wir können mit dem Dreck nicht mehr leben.“ Weil die DDR insbesondere die Anlagen der Carbochemie auf Verschleiß fuhr und die Schwelerei in den vergangenen zwanzig Jahren kein einziges Mal dem Stand der Technik angepaßt wurde, griffen die Bürger von Mölbis, unterstützt durch das Umweltseminar Rötha, zu einer verzweifelt subversiven Idee: Sie sammelten „Eine Mark für Espenhain“ — „eine unter den damaligen Verhältnissen verbotene Unterschriften- und Geldsammlung“, wie sie heute zugeben. Angeblich sollte mit dem gesammelten Kleingeld das Braunkohleveredelungswerk rekonstruiert werden, aber die Sammlung bewies zwischen den Zeilen nur, daß die sozialistische Planwirtschaft der DDR unfähig war, ihren Bürgern ein Minimum von Gesundheitsschutz zu bieten. Die SED hatte Mölbis abgeschrieben. Da konnte einer Bürgermeister werden, der das Vertrauen der Gemeinde hatte, sie wählte ihn nach der Wende wieder.

Schon die Regierung Modrow hat sich mit dem Fall befaßt und Mölbis als nationales Problem akzeptiert, im Februar 1990 beschloß sie, die Sanierung des Dorfes zu finanzieren. Die Stillegung der Schwelerei im August hat die gesundheitliche Situation der Bevölkerung im Kreis noch nicht so gebessert, daß die Ärzte im Krankenhaus das spüren würden. Noch qualmen die Brikettfabrik und das Kraftwerk, die nach bundesdeutschen Gesetzen und Maßstäben ebenfalls sofort stillgelegt werden müßten. Die Übergangsfrist läuft Mitte der 90er Jahre aus.

Immerhin wurde bisher in Mölbis schon die Belastung des Bodens gemessen. Angeblich soll kein Handlungsbedarf für umfangreiche Bodensanierung bestehen, nach wie vor essen die Mölbiser die Früchte ihrer kleinen Gärten.

Dies gehört vielleicht auch zu dem „Projekt Hoffnung Mölbis“, in dem die Sanierungsprojekte zusammengefaßt sind. Am 22. November 1990 wandte sich der Bürgermeister, der gelernte Elektriker Dietmar Haym, an den Bundesumweltminister Töpfer in der Hoffnung, daß Bonn die finanzielle Verpflichtung der Regierung Modrow zur Sanierung des Dorfes übernehmen würde. Bis heute hat Mölbis keine Antwort. K.W.

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