■ Mögliche Orte: Selbstinstallationen
„Die Veränderungen, die der heutige Mensch an seinen Umständen vornimmt, sind fast ausnahmslos Veranstaltungen zweckhafter Art. Sind sie vollzogen, kann eine leichte Depression eintreten.“
Wenn man umzieht, bewirbt man sich neu um die Freundschaft der Dinge des täglichen Umgangs. Das ist recht schwer und eine endlose Aufgabe, bei der tausend Dinge beachtet werden wollen, will man nicht an der Unendlichkeit der Möglichkeiten, die Dinge zueinander zu stellen, verzweifeln.
Wenn das Schlafzimmer das Herz der Wohnung werden soll, verlangt es nach Fernseher, Musikanlage, Bücherregalen, Postern und anderen Sachen, die das Bett bejubeln sollen. Vieles spricht allerdings auch dafür, das Arbeitszimmer in den Mittelpunkt zu stellen. Oder den Wohnzimmertisch. Man könnte auch ganz auf ein Zentrum verzichten und die Möbel sozusagen antihierarchisch aufstellen, damit sich kein Stuhl mehr beschweren kann.
Ich entschied mich für den Schreibtisch als Zentrum. Kopf sagt Schreibtisch, der Bauch auch. Der Schreibtisch schaut nach draußen. Eine tolle Sache! Der Rest ordnet sich von selber, und wie interessant ist es doch, vom Schreibtisch zu beobachten, was draußen auf der Straße und in den Wohnungen gegenüber so geschieht.
Andererseits: Nach drei Wochen passiert nur noch selten Überraschendes. Manchmal ist das Aus-dem-Fenster-gucken sogar störend und tendiert ins Zwanghafte. Man muß immer hingucken, als stünde da ein Fernseher. Da kann man ja auch den Blick nicht von wenden. Deshalb haben einige Bekannte ihren Fernseher auf den Speicher gestellt. Nicht so sehr aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern weil sie da immer hingucken müssen. So geht es mir auch mit Videospielen oder der Straße und den Fenstern auf der anderen Seite. Gerade putzt da drüben jemand Fenster. Gleich fällt er bestimmt runter, und auf dem Bürgersteig gibt's eine Schweinerei.
Manchmal ist der Guckzwang auch peinlich, wenn die Leute zurückgucken. Vor allem vernachlässigt man beim Lebenzugucken häufig die Dinge, die man eigentlich am Schreibtisch tun wollte, sollte und in jedem Fall müßte, will man nicht als Penner enden. Außerdem führt der Blick nach außen dazu, daß man das Projekt einer angenehmen Inneneinrichtung aus den Augen verliert.
So wird der Schreibtisch plötzlich zum Übel. Wie er da krankhaft Gegend kontrollierend am Fenster steht, macht er die ganze Wohnung kaputt. Sein schlechter Einfluß macht sich selbst im Badezimmer noch geltend und mindert die Wirkung des Orangetons. Ein Schreibtisch, der ins Zimmer schaut, würde dagegen die Wohnung als gemütliches Zuhause betonen, in dem alle Tage schöne Dinge passieren könnten. Deshalb muß der Schreibtisch umgestellt werden. Sofort. Das Leben würde sich in permanentes Gelingen verwandeln, wenn der Schreibtisch an seiner richtigen Stelle stünde.
Doch der Schreibtisch ist viel zu schwer. Deshalb muß man ihn erst mal leerräumen. Kostbare Lebenszeit vergeht beim Ausräumen und Angucken der ausgeräumten Fotos, die im Schreibtisch herumlagen, als seien sie nichts wert. Und weil die Fotos so schön sind, muß man sie in ein Fotoalbum kleben. Und weil kein Fotoalbum zur Hand ist, geht man in den nächsten Trödelladen, um sich eines zu kaufen. Und weil das Album, das man erstanden hat, vollgeklebt ist mit alten Fotos, muß man die erst mal raustun. Und weil die Fotos so interessant sind, wäre es Sünde, sie wegzuwerfen. Deshalb deponiert man sie in der Schublade des Schreibtischs, den man nun endlich verrücken wird.
Das Glück, daß die Vorstellung der Schreibtischverrückung verspricht, ist so groß, daß es alle Bedenken wegwischt. Zum Beispiel, daß man dabei den zarten Holzboden zerkratzen wird, den man sich yuppiemäßig hatte abschleifen lassen. Natürlich zerkratzt man das blöde Parkett. Gerne zerkratzt man das Parkett. Hauptsache, der Schreibtisch steht an seiner richtigen Stelle. Jedes Möbel findet irgendwann seinen ihm angemessenen Platz. Das Blöde ist nur, daß man nun eigentlich auch die anderen Dinge verrücken müßte. Zum Beispiel das Bücherregal oder den Tisch und sowieso alles.
Anstatt nun die wichtigen Dinge des Lebens weiter engagiert zu verfolgen, zum Beispiel Geld verdienen oder für eine gerechte Sache zu kämpfen, oder sich unbeschwert zu amüsieren, hängt man, wenn man erst einmal mit den notwendigen Veränderungen begonnen hat, die ganze Zeit nur noch in seiner Wohnung herum und verrückt: Stühle, Sofa, Bücherregale, Bett, Lampen, Tische, Fernseher, Lautsprecherboxen, Musikanlage.
Irgendwie ist man depressiv- narzißtisch, umräum- und renovierungssüchtig geworden. Und das hört auch nicht auf. Wenn man sich morgens an den Schreibtisch setzt, sieht alles falsch aus. Der Blick fällt auf die Tür, die man neulich grad gestrichen hatte. Nasen gibt's da, Nasen! Zunächst ignoriert man sie. Doch sie bedrängen einen.
Oder der Türgriff. Wie sieht der nur aus! Weiße Farbe dran. Unter der weißen Farbe: beige Farbe. Unter der beigen Farbe: rote Farbe. Die wird dann einen Vormittag lang abgekratzt, um auf schickes Gold zu stoßen. Und dann war es wieder mittags. Eben grad war es noch morgens, schon war es wieder abends, und man hat wieder nichts geschafft. Was heißt „nichts geschafft“? Ein wenig hat sich die Umgebung verbessert. Ein wenig.
Auch wenn ich dann doch mal woanders war, dachte ich über das Wohnen nach; versank in Vorstellungen, wie ich meine Räume anstreichen wollte, während ich in Wien Literatur anhörte, einen Film anguckte oder grad im Tresor herumhüpfte.
Abends kamen Freunde. Die Freunde erzählten von Sachen, die ihnen oder gemeinsamen Bekannten zugestoßen waren; ich redete von meinen Versuchen, die Wohnung zu verbessern. Sie schauten mich an, als sei ich jetzt völlig durchgedreht. Vielleicht war ich es ja auch. Porno-, Hasch- und Kaufsucht, auch den Alkohol hatte ich hinter mir gelassen, um als Wohnsüchtiger zu enden. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen