piwik no script img

Archiv-Artikel

Moderne Rassismen

betr.: „Meschuggene unters Kopftuch“, taz vom 30. 6. 04

Der Text von Viola Roggenkamp ist einer der besten Texte, die ich bisher zu diesem Thema gelesen habe. Wahrscheinlich wird es jetzt eine Flut von Gutmenschen-Leserbriefen geben. Schade, dass Frau Roggenkamp sich aus dem Schlagloch zurückziehen will.

MARKUS TÖNNISHOFF, Bremen

Frau Roggenkamp scheint gar nicht zu merken, wie sie sich mit jedem Wort als eine Person von der Art präsentiert, auf eben die sie mit dem Finger zeigt: Eine notorische Sündenbockspäherin, die sich das Recht herausnimmt, über andere zu urteilen, nur weil sie anderer Überzeugung sind als sie selbst. Eine, die denkt, als Deutsche/r sei man aus der Schusslinie, wenn man sich nur umfassend genug mit allem, was jüdisch und/oder israelisch ist, identifiziert. Eine, die nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse zu kennen scheint, die Realität außen vor lassend.

[…] Natürlich hat sie andererseits ganz und gar Recht mit ihrer Forderung, die Vergangenheit nicht vergessen zu dürfen. Aber dazu gehört auch, sich an die eigene Nase zu packen. Dass das in Deutschland bis heute kaum funktioniert, lässt sich sehr gut an Zwischenfällen wie der ja noch nicht allzu lange zurückliegenden Hohmann-Affäre ablesen: Wenn sich von Zeit zu Zeit öffentlich jemand als Nazi zu erkennen gibt, freuen sich alle und zeigen eifrig (da ist er wieder, der Finger) mit ebendiesem auf die betreffende Person. Das ist unheimlich befreiend und entbindet von jeglicher eigener Verantwortung. Und gleichzeitig selber alle Kopftuchträgerinnen als zumindest Mittragende des Weltterrorismus und alle Israelis als arme, hilflose Opfer abstempeln – eine Haltung, über die man in Israel, gerade wenn sie von einem Deutschen an den Tag gelegt wird, doch nur milde lächelt. Das, liebe Frau Roggenkamp, kann keinem Israeli und/oder Juden genauso wenig wie einem Palästinenser und/oder Moslem entgegenkommen, denn Mitleid und/oder ein schlechtes Gewissen und/oder freiwillige Unterwerfung ohne den Versuch einer differenzierten Betrachtung ist despektierlich für jeden, dem sie entgegengebracht wird. Dass es in Deutschland mittlerweile einige Leute gibt, die sich mit der islamischen Kultur auseinander setzen, liegt doch angesichts der Tatsache, dass hier eben sehr viele Muslime leben, in der Natur der Sache und könnte sogar als Zeichen dafür gewertet werden, dass der Wille, sich nicht in Vorurteilen zu verlieren, relativ größer ist als noch vor sechzig Jahren.

Die einzige Möglichkeit, nicht zu vergessen, ist die, in einen konstruktiven, offenen Dialog zu treten, sowohl mit denen, die einem passen, als auch mit denen, die anders denken. […]

TANJA SAMED, Köln

Kein Schlagloch mehr von Viola Roggenkamp? Soll damit die letzte klare, kluge, feministische Stimme aus der taz verschwinden? Nur noch Kopftuch-FetischistInnen, die islamische Frauenverachtung als religiöse Toleranz verbrämen und doch von Toleranz nichts, aber auch gar nichts verstehen, weil sie nichts von Universalität, Aufklärung und Emanzipation verstehen? Als gebildeter und feministischer Mensch gehört man ja schon lange zum impliziten und expliziten Antipoden der taz-Mainstream-Boys-and-Girls, doch Viola Roggenkamp, wie in dem heutigen luziden Text über die Regeneration des Antisemitismus in Gestalt trendiger Islambegeisterung wieder zu sehen war, erinnert immer so wohltuend daran, dass es einen historischen Horizont auch vor dem Mauerfall und einen zukünftigen auch jenseits des nächsten Grand Prix gibt, dass journalistische, gesellschaftliche und ästhetische Werte außer Sexyness und unbedingter Affirmation denkbar und überhaupt Menschen, die ein kulturelles Gedächtnis über mehr als fünf Jahre pflegen, vorstellbar und ansprechbar sind. An pubertärem Geschwätz wie herrschaftstragendem Aufgeblase herrscht ja kein Mangel, an einer reflektierten Stimme, die Geschlecht als machtanalytische Kategorie anzuwenden weiß, umso mehr.[…] GABRIELE KÄMPER, Berlin

Während der Lektüre des Schlagloches von Viola Roggenkamp wandelte sich mein Gesichtsausdruck von Erstaunen über blankes Entsetzen bis hin zu Wut. Habt Ihr es wirklich nötig, Euer Blatt als Plattform für derart anmaßende Polemiken einer frustrierten Mittfünfzigerin missbrauchen zu lassen? Von einer Zeitung, die sich gern des Öfteren mit ihrem linken, weltoffenen und toleranten Stil brüstet, habe ich anderes erwartet.

Sich blind aller möglichen Vorurteile zu bedienen, einseitig und unausgewogen das Schicksal Israels zu beklagen – noch dazu von Israel als der einzigen Demokratie im Nahen Osten zu sprechen –, obendrein sich anzumaßen, über die Religion des Islam zu urteilen, während fundierte Sachkenntnisse ganz offensichtlich nicht vorhanden sind, noch dazu uns gläubige Musliminnen bewusst zu beleidigen – all dies ist eine unglaubliche Anmaßung – mit etwas emotionalem Abstand wahrscheinlich als schlichtweg armselig zu beurteilen. […] WIEBKE NOTZ-SHIABNA, Seevetal

Ich verfolge seit einiger Zeit Frau Roggenkamps seltsamen Versuch, einen veralteten Feminismus dadurch zu retten, dass sie ihn theoretisch an moderne Rassismen koppelt. Dies ist mir schon sehr häufig sauer aufgestoßen und scheint den Kern des Denkens von Frau Roggenkamp auszumachen.

Statt ihre Aussagen Satz für Satz zu widerlegen oder zumindest einzuschränken, was ich eigentlich vorgehabt hatte, möchte ich mich doch nicht auf das Niveau herablassen, Rassismen aufdecken zu müssen. Diese sind eindeutig! Sie richten sich, ganz up to date, gegen Muslime im Allgemeinen, gegen „Araber“ und Kopftuch tragende Frauen im Besonderen. Keine Nähe zu dieser Religion verspürend, ist dies für einen Antifaschisten nicht tolerierbar. […]

MARTIN HIMMEL, Hamburg

Die deutsche oder auch europäische öffentliche Debatte über „den“ Islam erweckt in mir mit schöner Regelmäßigkeit die Vision eines aztekischen Intellektuellenzirkels, der nach oberflächlicher Lektüre des Neuen Testamentes zu dem Schluss gelangt, vom Christentum gehe keinerlei Gefahr für die präkolumbianische Kultur und Welt aus. Derweil rückt Cortez auf Tenochtitlan zu …

ULRICH CH. BLORTZ, Köln

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.