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Moderne Heiligenbilder

■ Die Hamburger Deichtorhallen liefern ab dem 10. Februar einen breit gefächerten Überblick über den Pop-art-Künstler Roy Lichtenstein

Ein 37jähriger, mäßig erfolgreicher Künstler aus Ohio übertrug 1961 auf Wunsch seiner Kinder einen Donald Duck von einem Kaugummibildchen auf ein großes Ölbild. Mit dieser Anekdote beginnt die Geschichte der vielleicht wichtigsten und am besten bezahlten Position moderner amerikanischer Kunst.

Die Leo Castelli Gallery in New York zeigte 1962 erstmals die Gemälde aus der Comic-Welt mit ihren kräftigen Umrißlinien, klaren Farben und aus der Drucktechnik entlehnten Punkt- und Strichrastern. Sofort wird ihr Maler, Roy Lichtenstein, neben Andy Warhol, Jasper Johns, Robert Rauschenberg zum Hauptvertreter der neuentstandenen Pop-art erklärt.

Das New Yorker Guggenheim- Museum hat jetzt die bisher größte Retrospektive des zum Klassiker geadelten zusammengestellt. Nach Los Angeles, Montreal und München wird die spektakuläre, anläßlich seines 70. Geburtstages erstellte Schau in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt.

Seine Kunst versteht er als industriell und ganz ohne Utopie auf den realen Alltag bezogen. Im übrigen schätzte er, in einem Interview mit Artnews vor 32 Jahren, den Einfluß der Pop-art auf die universelle Kunst als eher gering ein. Inzwischen ist Pop die erfolgreichste Kunstrichtung der zweiten Jahrhunderthälfte, die Werke sind teure Einzelstücke geworden. Die in den 60ern als Gegensatz zur subjektiven malerischen Expression als „real“ deklarierte Alltagskultur wird inzwischen selbst als nur eine unter vielen historischen Bildsystemen gesehen.

Roy Lichtenstein bezog sich seit den 70er Jahren statt auf Comics und Werbung auf die Bildwelten von Malern der klassischen Moderne und zitierte deren Meisterwerke ganz und im Detail. Wie schon bei den Comics geht es ihm dabei nicht um Kopien, nicht um die Bildmotive, sondern um die Dimensionen unserer Wahrnehmung. Wenn Kritiker wegen zitierter Kriegsszenen den Vorwurf der Faschismus-Verherrlichung erheben, verwechseln sie Dargestelltes und Darstellung. Gemalte Gewaltzitate sind keine Handlungsanweisung und ein schablonierter Dali keine Kopie. Und von Anfang an sind die Umsetzungen Roy Lichtensteins nicht identisch, sondern in vielen Details kreativ verändert, sind notwendig erkennbares Zitat und eindeutig Eigenes zugleich. Das Zitieren ist bei Roy Lichtenstein älter als sein Pop-art-Stil. Schon in den fünfziger Jahren hatte sich der Künstler in den wenig bekannten, halbwegs kubistisch gemalten Bildern mit Sujets aus dem wilden Westen auf populäre Bilder der amerikanischen Geschichte bezogen. Einige Arbeiten aus diesem expressiven Frühwerk ergänzen den europäischen Teil der aktuellen Retrospektive.

Statt kunstgeschichtlichem Zitat, statt des Pop-Verweises auf Alltagskultur, gelten seine Bilder nun dem verpopten Kunstbetrieb als Ganzes. Erwirbt doch Kunst heute nicht breite Aufmerksamkeit, weil sie ein besonderes Thema behandelt, sondern wesentlich durch den Namen eines großen Kunststars. Da braucht es Gemälde nur noch als Zeichen ihrer selbst. Schon 1965 symbolisierte Roy Lichtenstein den markigen Pinselschlag des abgelegten Action Painting der 50er Jahre mit seiner Schablonen-Methode zur Ikone. Heute findet er in komplexeren Zusammenstellungen ähnliche Reduktionen für alle großen Meister der Moderne. Was da als Gemälde nach einer Reproduktion eines Bildes von Picasso, van Gogh, Matisse, Miro, Carra oder Leger zu sehen ist, ist plakative Oberfläche und modernes Heiligenbild zugleich. Roy Lichtenstein baut in seiner speziellen Umformung ein postmodernes Bildlexikon, für das alle historischen Bildentwürfe recycelt, gereinigt und internationalisiert werden. Er hebt sie so im populären Gedächtnis auf, mordet die Aura der Meister und macht sie zugleich unsterblich – und sich noch gleich mit dazu.

Hajo Schiff

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