: Modell Gemütlichkeit
■ Nach der Brit-Art jetzt die Swiss Art: Lori Hersberger in der Galerie Der Raum
Als ob irgendjemand wüßte, wo es so etwas wie Heimat noch gibt, prangt an der Wand der Galerie der Schriftzug „Coming Home“. Ringsherum laden Strohballen zum Lagern. Doch der 34jährige Schweizer Künstler Lori Hersberger ist nicht von akuten Heimwehanfällen geplagt. Ihm geht es um Orte der Erinnerung, gruppenspezielle Sentimentalitäten vom Veteranenverein bis zum Partykeller. Popidol, historische Kanone und Hobbyraum sind in schwarzweißen Acrylbildern herbeizitiert, und auf einem Schlagzeug sind wenig rosige Aussichten notiert: „I'll join with black despair and to myself becoming an enemy“.
Doch ganz so schlimm kann es nicht sein. Im Multiple „Hallo Bonsai“ wird mit Miniaturbäumchen und schrillem Teppich das Versprechen von modellhafter Gemütlichkeit zwar ironisch gebrochen, aber nicht völlig negiert. Diese Bagatelle bezieht sich auf größere Arbeiten, in denen Lori Hersberger beispielsweise den Innenhof der Akademie der Künste in Berlin mit einem labyrinthischen Muster aus scheußlichen 70er-Jahre Bodenbelägen bemustert hat: Eine großartige Übertreibung, die an Kinderspiel, trivialisierte Formenideale der Moderne und persönliches Scheitern am Stilanspruch der Eltern erinnert.
Kunst aus der Schweiz ist nach der Brit-Art das nächste Feld besonderen Interesses des Kunstmarkts. Große Ausstellungen in Berlin, Zürich und Frankfurt nehmen sich einer Szene an, die seit des überragenden Erfolges der Videokünstlerin Pipilotti Rist als innovativ und lustig gilt. Mit Hilfe nationaler Förderung tut sich ein weiteres Spielfeld von Kunst auf, die eigentlich nationalen Grenzen längst entwachsen ist: Überall zeigt die jüngere Generation jenen kriterienfrei in die mediale Gegenwart gesetzten Alltag und Kunst, die nur noch mühsam Erfahrungen objektivieren kann.
Daß das dennoch von Interesse sein kann, zeigt die hohe Besucherzahl mancher als hip ausgerufener Kunstevents. Eigene Erfahrungen werden im medialen Zerrspiegel zurückgeworfen. Wenn der aktuelle Kunstdiskurs dann zu sehr nervt, kann sich der Besucher ins Stroh fallen lassen und träumen – bis die Ruhe gestört wird durch den terroristischen Trucker aus Spielbergs Duell, eine Video-Dokumentation einer Doppelprojektion mit Schlagzeug von Lori Hersberger aus Basel.
Hajo Schiff
Galerie Cato Jans Der Raum, Klosterwall 13, Di – Fr 10 – 12 + 14 – 18 Uhr, bis 30. Oktober
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen