: Modell DDR: Erst mal ohne Spitzel
■ Modrow verzichtet nach heftiger Debatte auf Einrichtung eines Verfassungsschutzes vor den Wahlen / Regierungskoalition stabilisiert / SED-PDS gegen Verbot der Parteienfinanzierung / Stasi-Konkursverwalter Peter Koch wurde „wegen Unfähigkeit“ abgelöst
Ost-Berlin (dpa/taz) - Im Gegensatz zur Bundesregierung verzichtet die Regierung der DDR erst einmal auf die Installierung eines Verfassungsschutzes, der ursprünglich als Stasi-Nachfolgeorganisation gegründet werden sollte. Mit diesem Rückzug, der nach heftigen Protesten der Opposition und der ehemaligen Blockparteien erfolgte, hat DDR -Ministerpräsident Hans Modrow (SED-PDS) ein drohendes Auseinanderbrechen seiner Koalitionsregierung verhindert. Am Ende der Aussprache über seine Regierungserklärung kündigte der SED-Politiker an, bis zum 6. Mai würden „keine neuen Ämter gebildet“. Die Regierung werde die Volkskammersitzung gründlich auswerten, sagte Modrow. „Darin wird einbezogen sein, daß wir die Entscheidungen, die zu einem Amt für staatliche Sicherheit getroffen sind, aufheben werden.“ Gleichzeitig gehöre dazu, daß „alle Schritte der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit“ (Stasi) vollzogen werden. Der „Bespitzelungsdienst muß mit aller Entschiedenheit beseitigt werden“.
Zuvor hatten Politiker der Koalitionsparteien Modrow mit dem Verlassen der Regierung gedroht, falls er nicht auf den Verfassungsschutzplan verzichte, stärker gegen Restaurationsbestrebungen seiner Partei vorgehe und die Wirtschaftsreform entschiedener betreibe. In scharfer Form forderte ihn der Fraktionschef der Liberaldemokraten (LDPD), Hans-Dieter Raspe, auf, „schleunigst Abschied von allen Übeln der alten Ordnung“ zu nehmen. Die Kompromißfähigkeit seiner Partei ende an der Reformunfähigkeit der SED. „Hier stellt sich für uns die Koalitionsfrage.“
Der CDU-Fraktionschef Adolf Niggemeier kaprizierte sich vor allem auf den Abschied von jeglicher Form der Planwirtschaft. Die CDU werde die Regierung verlassen, wenn die SED ihr dort vorhandenes Übergewicht zur Restauration alter Machtstrukturen mißbrauchen sollte. Der Einfluß der alten Apparate und des alten Denkens werde wieder zunehmend spürbar. Nach der Sitzung sagte CDU-Chef de Maiziere, er gehe davon aus, daß seine Partei entgegen den Empfehlungen der Bonner CDU nun doch in der Regierung bleibe.
Die restlose Entflechtung von SED und Staat forderte auch Günther Hartmann von den Nationaldemokraten (NDPD). Politiker aller Parteien, einschließlich der neuen SED-PDS -Fraktionsvorsitzenden Käthe Niederkirchner, unterstrichen die Bereitschaft und die Notwendigkeit zu einer engen Zusammenarbeit mit den Oppositionsgruppen am runden Tisch.
Modrow zeigte sich in seinem Schlußwort davon überzeugt, daß die Regierungsfähigkeit nach der Aussprache über seine Erklärung gewahrt sei und die Koalition ihre Arbeit fortsetzen werde. Die Prioritäten müßten jetzt aber noch einmal überprüft und zum Teil neu bestimmt werden. Wichtigste Aufgabe sei die Wirtschaftsreform bei gleichzeitiger Stabilisierung von Wirtschaft und Versorgung. Die Regierung werde der Volkskammer am 29. Januar eine grundlegende Analyse der volkswirtschaftlichen Situation vorlegen. Anfang Februar seien die Grundzüge der Konzeption für eine Wirtschaftsreform erarbeitet. In ihre Diskussion werde auch der runde Tisch einbezogen.
Modrow unterstrich, daß die Bürger ein Recht auf ein Leben in Sicherheit hätten. Daher müßten jetzt im Konsens aller politischen Kräfte Maßnahmen ergriffen werden, damit die Volkspolizei zusätzliche Aufgaben bei der Abwehr von Terrorismus und Gewalt übernehmen könne. Eine Sonderabteilung der Volkspolizei solle sich um die bisherigen Aufgaben der Stasi kümmern. Jede Form von Bespitzelung müsse aber mit aller Entschiedenheit verhindert werden. Der Regierungsbeauftragte für die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, Peter Koch, wird wegen „Unfähigkeit und Inkompetenz“ abgelöst. In einem Interview bot Modrow der Opposition an, Mitarbeiter als Minister -Stellvertreter zu benennen.
Die SED-PDS hat sich laut 'adn‘ dafür ausgesprochen, daß nur Parteien zur Wahl zugelassen werden sollen, sowie gegen ein Verbot finanzieller Unterstützung aus dem Ausland votiert.
Die Parlamentssitzung war erneut von Warnstreiks und Demonstrationen gegen den Machterhalt der SED und des Sicherheitsapparates begleitet. Hunderte bedrängten am Morgen Modrow auf seinem Weg in den Palast der Republik. Er stellte sich den Bürgern und äußerte auch Verständnis für ihre Ängste vor neuer Bespitzelung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen