: „Moby Dick“ gegen „Pacific Pintail“
Das Greenpeace-Schiff im Hafen von Cherbourg im Einsatz gegen Atommülltransporte nach Japan ■ Von Bord Dorothea Hahn
Das graue Schlauchboot ist kaum merklich an Steg D geglitten. Die Norwegerin am Steuerruder hat das Hafenbecken ohne Licht durchquert – sie hat keine Welle geschlagen und kein Geräusch gemacht. Um halb eins trifft sie nun letzte Vorbereitungen für die Aktion, die Greenpeace in dieser Nacht in dem nordfranzösischen Hafen Cherbourg vorhat. Und sie holt noch drei Teilnehmer ab. Bibbernd vor Kälte steigen die in das wankende Schlauchboot. „Psst“, zischt ihnen ein Zurückbleibender aus dem Dunkel hinterher, „hier ist alles voller Flics.“
Die „Flics“ (umgangssprachliches Französisch für Polizisten) haben Cherbourg in dieser Nacht zum Donnerstag fest im Griff. Sie patrouillieren überall – zu Lande und zu Wasser. Sie sollen die ungestörte Hafeneinfahrt und Beladung der Pacific Pintail sicherstellen, jenes britischen Schiffs, das 28 Glascontainer voller Atommüll nach Japan transportieren soll. Sie ist eines von drei Schiffen der BNFL (British Nuclear Fuels), die eigens für den Atommülltransport konstruiert wurden – mit doppeltem Boden und Kühlanlagen für die strahlenden Glascontainer. Mit einer Fernüberwachung per Satellit und ständigem Kontakt zu einer Spezialtruppe, die sich rund um die Uhr für einen Notfalleinsatz an jedem beliebigen Punkt der Weltmeere bereithält. Dabei weiß niemand, wie das Schiff bei einer Kollision reagieren würde, wie lange die Glascontainer einem Brand standhalten könnten und was bei einer Atomkatastrophe auf hoher See passieren würde. Fest steht nur, daß laut einem zwei Jahrzehnte alten Vertrag noch mehr als hundert weitere Atommülltransporte von Europa nach Japan gehen sollen – Abfälle aus japanischen AKWs, die in Frankreich und Großbritannien wiederaufbereitet wurden.
Greenpeace kämpft in dieser Nacht zu Wasser und zu Lande gegen den Transport. Auf dem Kai schlagen in weiße Overalls gekleidete Umweltschützer seit Stunden auf Blechtonnen ein. Der dumpfe metallische Klang übertönt das Klingeln der Segelmasten im Hafen. Die Trommelschläge dringen bis in die Mitte des Hafenbeckens, wo im Dunkel der Nacht die Moby Dick auf ihren Einsatz wartet. Das graue Schlauchboot schmiegt sich jetzt an die Bordwand des großen Schiffes. Von Deck strecken sich den Neuankömmlingen helfende Hände entgegen, und die Mahnung: „Steigt schnell aus und geht in die Messe. Bloß keine auffälligen Bewegungen an Bord.“
Die kleine Messe im Bauch des Schiffs ist hell erleuchtet. Auf dem Tisch dampft eine große Kanne Kaffee, daneben stehen Cornflakes und Milch. In den Kojen rund um den holzgetäfelten Raum schlafen Aktivisten von Greenpeace ihrem Einsatz entgegen.
Um drei Uhr zehn gibt Kapitän Pelle Pettersson das Startsignal. Seelenruhig steigen neun Frauen und Männer aus ihren Kojen und schlüpfen in wasserfeste rote Anzüge. Ein Brite bestimmt die Position der Moby Dick. Ein Hamburger bemerkt trocken: „Es tut sich wohl was.“
Die Aktivisten kommen aus aller Welt. Sie arbeiten in „bürgerlichen“ Berufen, studieren oder sind bei den nationalen Sektionen von Greenpeace angestellt. Der 34jährige Kapitän Pettersson diente einst bei der schwedischen Navy und in der Industrie, bevor er zu Greenpeace stieß. Der vollbärtige Engländer Luke ist seit Anfang der 80er Jahre beinahe ununterbrochen auf See. Meist in privater Sache, aber wenn Greenpeace ihn ruft, ist er stets bereit, seine nautischen Künste in den Dienst der Organisation zu stellen.
Was in dieser Nacht auf sie zukommt, weiß niemand an Bord der Moby Dick. „Das sind ganz hartgesottene Burschen“, sagen die Leute von Greenpeace über die französischen Marinesoldaten, die seit Tagen im Hafengebiet von Cherbourg kreuzen. Außerdem ist es ziemlich genau zehn Jahre her, daß französische Geheimdienstagenten ein anderes Greenpeace- Boot sprengten, das gegen die Atomtests im Pazifik protestierte. Bei dem Attentat auf die „Rainbow Warrior“ kam ein Fotograf ums Leben.
Die Moby Dick setzt sich in dieser Nacht nicht allein in Bewegung. Nach der bewährten Greenpeace- Methode haben sich die Frauen und Männer in den wasserfesten Anzügen auf drei Schlauchboote verteilt, die jetzt wie Satelliten um das Mutterschiff kreisen. Sekunden später durchflutet grelles Leuchten das nächtliche Hafenbecken von Cherbourg. Lichtsirenen umgeben die Moby Dick und ihre Satelliten von allen Seiten. Wo vorher Dunkelheit und stilles Wasser war, zischen Militärboote aus allen Ecken des Hafenbeckens. Von der offenen See kommen ihnen Lotsen entgegen. Sie haben der Pacific Pintail den Weg gewiesen.
„Bitte fahren Sie zum Quai zurück“, ertönt es über Megaphon von dem grauen Schiff, das parallel zur Moby Dick aufgeholt hat. Im Scheinwerferlicht der Kameraleute an Bord des Greenpeace- Schiffes tauchen die Besatzungsmitglieder des Militärbootes auf, das exakt die Größe der Moby Dick hat. In einer Reihe aufgestellt, blicken sie den Greenpeacern entgegen. Sie gucken ernst, aber nicht feindlich.
Wie Fliegen das Licht umzingeln die unbeleuchteten drei Greenpeace-Schlauchboote das Militärschiff. Sie zischen zwischen den beiden großen Schiffen hindurch, legen sich quer, fahren von vorn unter den Bug. Die Militärs lassen sich nicht beeindrucken. Immer näher schieben sie ihr Schiff an das von Greenpeace heran. Im Wasser quietscht es laut. Da, wo die Rümpfe schmaler werden, ist ein Schlauchboot zusammengequetscht worden. Einen Moment lang ist es nicht mehr zu sehen, dann surrt der Motor, und es kommt wieder zum Vorschein.
Nur noch wenige Zentimeter trennen das Militärschiff von der Moby Dick. Wie bei einer chirurgischen Operation gucken die Besatzungen der beiden feindlichen Schiffe auf den Spalt zwischen ihnen, der immer schmaler wird. Ein kurzes, hämisches Lachen vom anderen Boot unterbricht das Schweigen. Das Militärschiff hat einen kleinen Ruck nach hinten getan und den Außenbordmotor eines der Schlauchboote aufgespießt.
Wenig später rammt das Militärboot die Moby Dick. Erst vorne, dann hinten, dann auf der ganzen Länge. „Vorsicht“, ruft Kapitän Pettersson ärgerlich durch die Nachtluft, „das ist gefährlich, ich habe den Anker geworfen.“ Während er schimpft, taucht vor ihm die Pacific Pintail auf, um die es bei der Seeschlacht eigentlich geht. Noch ist sie unbeladen. „Wenn erst der Atommüll an Bord ist, wäre es viel zu gefährlich, eine solche Aktion zu machen“, sagen die Umweltschützer. Der über hundert Meter lange Atommülltransporter manövriert schwerfällig um die ineinander verkeilten Schiffe am Hafeneingang von Cherbourg herum.
Ein paar hundert Meter von dem Greenpeace-Boot entfernt ist inzwischen auch die zweite Protestgruppe in die Fänge der französischen Marine gegangen. Die Leute von Mother Earth sind mit einem winzig kleinen Boot, aber demselben Ziel wie ihre technisch gut ausgestatteten Öko-Konkurrenten von Greenpeace in See gestochen. Jetzt hängen sie im Schlepptau eines anderen Schiffs.
Gegen vier Uhr entern Froschmänner die Moby Dick. Sie tragen hautenge grüne Gummikleidung, schwarze Lederhelme und für jedes Gelände geeignete Gummischuhe. Jeder von ihnen hat einen Stöpsel im Ohr und ein kleines Mikrophon vor dem Mund. Die Zentrale der Froschmänner – „Fumacos“ (Marineschützen zur See) – scheint weit entfernt und allmächtig zu sein. Sie tun keinen Schritt, ohne Rücksprache zu halten. Kleine Antennen überragen ihre behelmten Köpfe.
Der Rest der nächtlichen Operation zeigt Routine auf beiden Seiten. Die unversehrten Schlauchboote surren ab, um die Ladearbeiten an der Pacific Pintail zu behindern. Auf dem Greenpeace-Schiff schweißen französische Militärs den Anker ab. Der Kapitän verlangt einen kompetenten Gesprächspartner, der ihm sagen kann, ob er verhaftet ist. Und die ganze ineinander verkeilte Bootspartie wird von dem Militärschiff zu einem Ponton in Richtung offene See geschoben.
Greenpeace betont seine Gewaltlosigkeit, und die französischen Militärs benehmen sich auf dem geenterten Schiff wie Gentlemen. Wenn sie jemandem bei ihrer Arbeit körperlich nahe kommen, sagen sie „pardon“ und schenken ihm ein kleines Lächeln. Richtig kompliziert wird die Lage, als die Franzosen Verhandlungen mit dem Kapitän des Greenpeace- Schiffes versuchen: Es gibt keine gemeinsame Sprache. Ein junger Froschmann mit englischen Grundkenntnissen übernimmt die Übersetzung. Jeden Satz gibt er über Mikro an die Zentrale durch.
„Bin ich verhaftet?“ fragt Kapitän Pettersson immer wieder. Niemand gibt ihm eine Antwort. Greenpeace hat mit der nächtlichen Aktion gegen einen Gerichtsentscheid vom Vortag verstoßen, wonach der Organisation jede Annäherung an den Atommülltransport unter Strafe von bis zu 300.000 Francs (ca 90.000 Mark) verboten ist. Doch niemand erwähnt dieses Demonstrationsverbot. Frankreich zeigt sich von seiner freundlichen Seite.
In den frühen Morgenstunden wird es eng in der Messe der Moby Dick. Junge Froschmänner, ältere Militärgendarme, der Greenpeace-Kapitän und mehrere Kamerateams drängen sich um den Holztisch in der Mitte. „Warum sind Sie nicht zurückgefahren, als wir Sie dazu aufgefordert haben“, will ein Militär wissen. „Die Atommülltransporte sind gefährlich, sie müssen eingestellt werden“, erwidert der Kapitän.
Das Gespräch wird am Vormittag in dem ausgedehnten Miltärhafen von Cherbourg weitergeführt, direkt neben der Werft, auf der gerade zwei atombetriebene U-Boote für die französische Marine gebaut werden. Die weitere Verfolgung des Atommüllschiffes in Richtung Japan übernehmen andere Greenpeacer, die bereits auf hoher See auf ihren Einsatz warten. Sie wollen auch die Anrainerstaaten auf der immer noch geheimgehaltenen Reiseroute über die Gefahr informieren.
Die weitere Betreuung der Journalisten aus dem Greenpeace- Geleit übernimmt am Hafen von Cherbourg ein PR-Offizier der französischen Marine. Auf einem Militärboot fährt er sie ganz nah an die Pacific Pintail heran. „Welche Route das Schiff von Cherbourg aus nimmt, wissen wir nicht“, sagt der freundliche junge Offizier, „das ist ja auch nicht mehr in unseren Hoheitsgewässern.“
Stunden vor dem eigentlichen Termin läuft die Pacific Pintail am Vormittag aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen