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Mittler zum Dach der Welt

Der Panchen Lama ist in Tibet gestorben / Chinesische Führung verliert mit dem religiösen Führer einen Verbündeten / Zuletzt hat er sich für mehr Autonomie seines Landes eingesetzt  ■ P O R T R A I T

Von Klemens Ludwig

Mit dem plötzlichen Tod des Panchen Lama am Sonntag verliert die chinesische Führung ihren wichtigsten Verbündeten innerhalb der traditionellen buddhistischen Hierarchie Tibets. Der 1938 als Chökyi Gyaltsen geborene Panchen Lama entstammte einer Bauernfamilie im nordosttibetischen Amdo, der heutigen Provinz Quinghai. Vor der endgültigen chinesischen Machtübernahme im März 1959 residierte er in Shigatse, der zweitgrößten Stadt des Landes.

Im Gegensatz zum tibetischen Oberhaupt, dem Dalai Lama, hat der Panchen Lama die Zusammengehörigkeit Tibets mit China nie in Frage gestellt. Deshalb blieb er im Land, als der Dalai Lama vor 30 Jahren nach Indien floh. Die Chinesen wußten ihm dies zunächst auch zu danken. Während der „demokratischen Reform“ - so nannten sie ihren Vernichtungsfeldzug gegen das traditionelle Tibet, der im März 1959 begann - beriefen sie ihn zum stellvertretenden Vorsitzenden des Volkskongresses in Peking sowie zum amtierenden Präsidenten eines vorbereitenden Komitees für die autonome Region Tibet.

Als sich jedoch die chinesische Unterdrückung in Tibet verschärfte, blieb auch der Panchen Lama nicht verschont. Bereits im Vorfeld der Kulturrevolution forderte die chinesische Führung ihn mehrfach auf, den Dalai Lama als Verräter zu denunzieren. Als er sich weigerte, enthob ihn Chou Enlai am 21.Dezember 1964 aller seiner Ämter.

Kurz zuvor hatte der Panchen Lama eine bis heute unveröffentlichte Anklageschrift an die chinesische Regierung verfaßt, in der er Ungerechtigkeiten bei der Erneuerung Tibets aufdeckte. So viel Eigenständigkeit wurde im China der sechziger Jahre nicht geduldet, und so mußte er 1966 nach Peking übersiedeln, wo er über ein Jahrzehnt im Gefängnis und unter Hausarrest verbrachte.

1980 verkündete die Regierung eine neue liberale Tibet -Politik. Anlaß war der Besuch des damaligen KP -Generalsekretärs Hu Yaobang auf dem Dach der Welt, der von dem Ausmaß der Zerstörungen offenbar selbst überrascht war. Bei dem Versuch, neues Vertrauen in Tibet zu gewinnen, besann sich Peking auf seinen alten Freund, den Panchen Lama.

Noch 1980 wurde er rehabilitiert und mit - wenig einflußreichen - Ehrenämtern ausgestattet. So erhielt er seine alte Stellung als stellvertretender Vorsitzender des Volkskongresses zurück und wurde zudem Vorsitzender des „Tibetan Development Fund“ sowie Ehrenvorsitzender der „Altchinesischen Buddhistischen Vereinigung“. Seinen Wohnsitz behielt er in Peking, allerdings konnte er etwa einmal im Jahr seine Heimat aufsuchen. Daß den 50jährigen der Tod ausgerechnet anläßlich eines solchen Besuches ereilt hat, wird sein ramponiertes Ansehen unter manchen Tibetern aufpolieren.

In den jüngsten Stellungnahmen - zuletzt vier Tage vor seinem Tod - hat er sich für mehr Autonomie und die Respektierung der Menschenrechte eingesetzt. Gleichzeitig hat er jedoch bis zum Schluß allen Bestrebungen nach Unabhängigkeit für Tibet eine deutliche Absage erteilt.

Historisch geht die Institution des Panchen Lama ins 17.Jahrhundert zurück. Er gilt als Verkörperung des Buddha Amitabha, des Buddha des Unendlichen Lichts. Damit steht er, streng theologisch betrachtet, sogar über dem Dalai Lama, der nur als Verkörperung eines Bodhisattva, eines Wesens unmittelbar vor der Erleuchtung, gilt. Dennoch konnte der Panchen Lama nie denselben Einfluß ausüben wie der Dalai Lama.

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