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Mittelalter in der Stadt

■ Historischer Markt neben der Liebfrauenkirche / Kostüme des 16. Jahrhunderts

So farbenfroh und heiter hätte ich mir das düstere Mittelalter nicht vorgestellt. Schon von weitem hört man den orientalichen Klang der Drehleier und die kräftigen Stimmen der Spielleut. Die Gruppe „Orwitzel“ bietet auf dem historischen Markt neben der Liebfrauenkirche „Auserlesen Musica wieder die Langweil“.

In Samtwams und Glockenbesetztem Lederschuhwerk spielt man zum Springtanz auf, werden Spottlieder über die Schrecknisse der Reinlichkeit und das Leben in

hier bitte das

Korbmacher-Foto

Aus Weidenruten wird der Korb

der Schenke zum Besten gegeben. „Bist du voll dann leg dich nieder, stehst du auf dann füll dich wieder“, heißt es in einem mittelalterlichen Sauflied.

Groß und Klein sind begeistert von der Gaukelkunst. „Wieviele verschiedene Instrumente die haben“, flüstert ein kleiner Junge seiner Schwester ins Ohr. Die Kinder sitzen auf dem Pflaster und können sich kaum satt sehen. Flöten, Trommeln, Krummhörner, Minnehörner und Sackpfei

geflochten

fen, das hatten die beiden noch nicht gesehen.

Gegenüber der Bühne schreit ein Schankwirt in Leinen, lockt die „Zecher zum Trunke“. Eine stattliche Zahl von Recken hat er schon um sich versammelt, der Rest steift noch über den Markt erfreut sich der Handwerkskunst.

Da gibt es den Drechsler, der Kinderspielzeug, Stoffstempel und die verschiedensten Figuren herstellt. Nicht weit von ihm sitzt ein Korbmacher in rotem Samtrock auf einem Holzschemel. Vor ihm auf einem schrägen Gestell halbfertiges Korbgeflecht. Flink biegen seine Hände die braunen Weidenruten. Um ihn herum, nebeneinander oder aufgestapelt, die Früchte seiner Arbeit: Kleine große runde eckige helle dunkle Körbe.

Ein Till-Eulenspiegel-Kostüm in gelb-grün-rot schlendert vorüber, gefolgt von einer „holden Maid“ im Sametkleide. Geschwind ist der Taler hervorgeholt und in Schmalzkuchen umgesetzt. Dann verweilt man noch etwas bei der Glasbläserin und dem Silberschmied.

Das neue Konzept des historischen Marktes, wieder mehr Wert auf die Historie zu legen, macht sich bemerkbar. Alle Stände bestehen aus mit Leinen bezogenen Holzgerüsten. Es gibt keine grelle Beleuchtung, keine Colabüchsen, kaum billigen Kommerz. Fast alle Handwerker, die teilnehmen, tragen mittelalterliche Kostüme.

„Entweder haben die Leute ihre Kleidung noch von früheren historischen Märkten oder sie wurden ihnen zur Verfügung gestellt“, erklärt Johannes Faget, Mitorganisator und Spielmann von Orwitzel. Er nimmt bereits zum sechsten Mal am historischen Markt zu Bremen teil. „Alle, die sich den Bedingungen nicht anpaßten, wurden diesmal konsequent abgewiesen.“ Prämisse war, daß Stände, Kostüme und Kulturprogramm der Zeit bis 1650 entsprechen.

Warum gerade das Mittelalter für die Menschen von heute interesant sein soll? „Ich habe festgestellt, daß das Mittelalter uns näher ist, als wir meist denken“, sagt Faget. „Die Strukturen der Zeit wiederholen sich ständig. Auch damals fürchteten die Menschen Krankheiten und Weltuntergang. Damals war es die Pest, heute ist es Aids. Das ist der Unterschied.“ Moderne Musik zu machen, käme für ihn nicht mehr in Frage. Und die Texte, wo sind die her? „Die haben wir gemeinsam mit Kunst- und Musikforschern und dem Verein Krämerzunft und Kurzweil zusammengestellt“.

Für das nächste Wochenende, das gibt mir Johannes Faget noch als Geheimtip auf den Weg, ist ein „Ritterliches Kulturprogram“ angesagt. bz

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