: Mitte der Gesellschaft
Der Verein Zentrum Automobil, vor allem im Daimler-Werk Untertürkheim aktiv, hat Verbindungen zu einer Menge rechtsextremer Organisationen. Die treten nun rund um den Prozess um zwei Antifas in Erscheinung, die Zentrums-Mitglieder verprügelt haben sollen.
Von Anna Hunger↓
Vormittags saß Andreas Ziegler noch im Gericht und antwortete auf die Frage, wo er sich politisch positionieren würde, mit den Worten: „In der Mitte, ganz klar.“ Am Abend des selben Tages postete Marina Djonovic, NPD-Kandidatin zur Bundestagswahl des Kreisverband Ostalb und Vorständin des Rings nationaler Frauen, bei Facebook Fotos von einer gemeinsamen Feier. Mittendrin Andreas Ziegler, Mitglied des rechten Vereins Zentrum Automobil, der am Rande einer Corona-Demo im Mai des vergangenen Jahres verprügelt wurde. Der Fall wird derzeit vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt.
Entstanden sind sie in der Herrenberger Kneipe „Hüttengaudi“, hinterm Tresen steht Janus Nowak und hebt den Daumen. Der ehemalige NPD-Landesvorsitzende war zuletzt in den Medien als Bierbrauer der Marke „Polsterbräu“, mit der er eigenen Angaben zufolge politische Arbeit finanzieren möchte.
Prost, möchte man da sagen. Ein Prosit auf die Mitte der Gesellschaft, die sich da in der vergangenen Woche zum Bier traf. Und auf das Zentrum Automobil, das sich, so steht es auf der Homepage, nicht als „rechte Gewerkschaft“ sieht, das „entspricht nicht unserem Selbstbild. Wir bezeichnen uns als alternative Gewerkschaft.“
NPD unterstützt mit
Ein Teil des Unterstützernetzwerks für die drei Verletzten steht an fast jedem Prozesstag vor dem Gericht in Stammheim – Djornovic war bisher fast immer dabei, außerdem Vater und Sohn Lobstedt von der AfD. Seit an Seit mit den Nationalen, die teils in „Deutsche helfen Deutschen“-Shirts auftreten. Das ist die Spendenkampagne, mit der die NPD „notleidende Deutsche“ unterstützen möchte. Meistens steht die Gruppe draußen, weil, so sagt es der Opferanwalt und Ex-AfD-Ultrarechtsaußen Dubravco Mandic an einem Prozesstag mit überbordender Stimme, sie sich „nicht reintrauen“ würden – zu viel Antifa sei vor dem Gericht und im Saal.
Der Plot dieser Verhandlung: Am Rande einer „Querdenker“-Demo sollen Linksextremisten drei Mitglieder des rechten Vereins Zentrum Automobil (ZA) mit Flaschen, Tritten und Pfefferspray traktiert haben, einer davon, Andreas Ziegler, lag danach im Koma. Eine Tierabwehrpistole wurde gefunden, die einer der Linken einem der Rechten an den Kopf gehalten haben soll, diverse Glasreste, zwei Schlagringe, einer von ihnen soll der von Ziegler gewesen sein, so sagte es auch eine Zeugin aus, eine ältere Dame, die mit ihrer Tochter zufällig vor Ort gewesen war und Ziegler erste Hilfe geleistet hatte. Den Schlagring habe sie ihm abziehen wollte, um „den Mann zu entlasten“. Ging aber nicht, plötzlich sei jemand gekommen, habe ihn abgenommen und sei verschwunden.
Ziegler selbst sagt, er habe keinen Schlagring dabei gehabt. Am vorvergangenen Montag, am Tag des Kneipenbesuchs, sagt er vor Gericht aus. Über seine Verletzungen, Monate der Rekonvaleszenz, über seine Wiedereingliederung in den Job bei Daimler nach 35 Jahren Arbeit dort. Immer wieder fällt auf, wie wichtig zu sein scheint, dass die drei geschädigten Zentrums-Männer Beziehungen zu Migranten haben. 50 Nationen, sagt Ziegler, würden bei Daimler arbeiten mit denen er keine Probleme habe, er habe „mit einem Halbrussen“ in einem Krankenhauszimmer gelegen, er habe schon kroatisch gelernt, türkisch und kurdisch lerne er nebenher, durch Unterhaltungen mit Kollegen.
Beschützer für Oliver Hilburger
Früher war Ziegler bei der IG Metall, hat zur christlichen Gewerkschaft CGM gewechselt, 2009 dann das ZA mitgegründet. Auf die Frage, warum er denn auf dem Weg zur „Querdenker“-Demo Protektoren unter der Kleidung getragen habe, sagt er, er sei als Beschützer für ZA-Chef Oliver Hilburger dabei gewesen, „ich rechne damit, dass man immer angegriffen wird“. Demoerfahren ist er jedenfalls, auf den flüchtlingsfeindlichen Demos in Kandel war er mit Kollegen dabei, bei Dieseldemos hat er Dudelsack gespielt. Auf die Frage, wer ihn denn angreifen wolle, sagt er: „Linke Terroristen.“ Später spricht er von „schwarzen Kackbratzen“. Und weil die Polizei seine Protektoren einbehalten hat, habe er sich schon neue gekauft.
Was ihn zum Personenschützer befähige, fragt einer der Strafverteidiger. „Schwertkampf“, mittelalterlicher, „ich kann mich wehren“, sagt Ziegler und berichtet, wie er auf einem Event in Belgien die Schlacht von Waterloo nachgespielt habe.
Und dann also die Frage wie er sich politisch einordnet. „Sie rechnen sich der politischen Mitte zu. Würden Sie auch andere vom Zentrum Automobil wie Oliver Hilburger der politischen Mitte zurechnen?“ Ziegler sagt: „Ja, natürlich.“ Auslegungssache, könnte man sagen. Denn bei diversem Personal des Zentrum ist die Zurechnung zur politischen Mitte gelinde gesagt gewagt und das wird einmal mehr an diesem Prozesstag deutlich.
Es ist das erste Mal, dass viele Zentrums-Leute im Zuschauerraum sitzen. Auch Oliver Hilburger ist da, er sitzt links außen. Hilburger, Musiker der früheren Neonazi-Kultband „Noie Werte“, ist heute Heilpraktiker, Impfgegner und beteiligt daran, dass die „Querdenker“-Demos in Stuttgart als rechtsoffen bezeichnet werden konnten. Weil die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit zwei Liedern der Rechtsrocker eine Version ihres Bekennervideos unterlegt hatten, musste Hilburger 2017 vor dem NSU-Ausschuss im Landtag aussagen. Dort befragt zu seiner Band sagte er: „Für mich war primär die Musik im Vordergrund“, Hitlergrüße im Publikum, behauptete er, habe er von der Bühne aus nicht gesehen, weil die Scheinwerfer so blendeten.
Hilburger und sein ZA versuchen seit Jahren, und nachdem die AfD es schon in den Bundestag und alle Landtage geschafft hat, den rechten Rand auch in die Betriebe zu tragen. Und das verstärkt mit offensiver Öffentlichkeitsarbeit seit 2018 – unterstützt durch das rechtsextreme „Compact“-Magazin (vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt) und die rechtsextreme Kampagnen-Plattform „Ein Prozent“ (vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt) um den neurechten Vordenker Götz Kubitschek eng vernetzt mit dem „Flügel“ der AfD, der offiziell aufgelöst wurde, weil er vom Verfassungsschutz als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft wurde.
Da sitzt er nun also, weil an diesem Tag seine Zentrums-Kollegen aussagen, die mit dabei waren auf dem Weg zur „Querdenker“-Demo im Mai 2020.
Hans Jaus beispielsweise sitzt im Zeugenstand. Jaus, Typ Schwabe und Listenplatz 3 der ZA-Liste zur Betriebsratswahl 2018, war in der Vergangenheit Bundesschatzmeister der mittlerweile verbotenen „Wiking Jugend“. Die Mitgliedschaft zu deren neonazistischer Nachfolgeorganisation „Heimattreue Deutsche Jugend“ hatte vor nicht allzu langer Zeit den langjährigen brandenburgischen AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz aus der AfD befördert.
Zudem ist Rico Heise als Zeuge geladen, von Anfang an beim ZA dabei und 2018 Listenplatz 78 zur Betriebsratswahl. Auch er musste vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aussagen. „Die Gästeliste seiner jährlichen Geburtstagsfeiern liest sich wie ein VIP-Liste der deutschen Neonazi-Szene“, schrieben damals die „Stuttgarter Nachrichten“. „Zu den Partys stießen auch Neonazis aus Chemnitz, Potsdam und Berlin. Zudem lernte H.s frühere Lebensgefährtin die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kennen, als das Duo in den Neunziger Jahren Ludwigsburg besuchte.“
In Stammheim berichtet Heise im Zeugenstand, dass er eigentlich nur wenig beitragen kann. Ein bulliger Typ, kurzärmelig, auch seinen Ellenbogen ziert eine handtellergroße schwarze Sonne mit Sonnenbrand drauf, ein Symbol, das die SS verwendete.
Auch Simon Kaupert sagt am Montag aus, Filmemacher für „Ein Prozent“ und für das ZA. 2015 ist er als Initiator des Würzburger Pegida-Ablegers „Wügida“ bekannt geworden, 2017 war er für „Ein Prozent“ gemeinsam mit Mitgliedern der verfassungsschutzbeobachteten „Identitären Bewegung“ im Mittelmeer unterwegs zur Mission Defend Europe gegen „Linke Migrationsextremisten“ und um Seenotrettung zu verhindern. Kaupert, vor Gericht ein glatter, nahezu serviler Typ, hatte zur „Querdenker“-Demo seine Kamera dabei und versuchte draufzuhalten, als einige Antifas vorbeirannten. Allerdings kam die Kamera beim Schärfeziehen nicht mit und so kann Kaupert nur verschwommene Bilder zeigen.
Beifall und Stinkefinger
Immer wieder kommt es im Gericht zu denkwürdigen Szenen. Vor allem Rechtsanwalt Mandic greift gerne Richter Steinbach an, er sei nicht neutral. Dabei gilt der unter Kennern als gerecht und fair. Selten lässt er sich ein auf die Ausfälle von Mandic, der auch einen angeklagten mutmaßlichen Rechtsterroristen im aktuellen Prozess um die Gruppe S. vertritt.
Dauerhafter Streitpunkt: Antifas im Publikum sind anfangs und noch bevor der Richter den Saal betreten hatte, aufgestanden und haben geklatscht, als der Inhaftierte Diyar A. in Handschellen hereingeführt wurde. Nach diversen Wutanfällen von Mandic drohte Richter Steinbach schließlich mit 100 Euro Ordnungsgeld für jeden Klatschenden. Mittlerweile kommt der Richter vor dem Häftling rein und die Antifas zeigen nur noch vereinzelt das Victory-Zeichen wenn keiner kuckt, was Mandic regelmäßig laut werden lässt. Richter Steinbach seinerseits befand am vergangenen Montag, dass sich auch jemand mit einem Shirt im Zuschauerraum befinde, auf dem „NSDA“ zu lesen sei, „das geht garnicht“ und das toleriere er ja auch. Andreas Ziegler, der Schwerverletzte, starrt indes wiederholt drohend JournalistInnen und zwei junge Kurden im Publikum an und zeigt hinterrücks den Stinkefinger. Zumindest der rechten Seite des Zuschauerraums, links sitzt ja die selbst ernannte Mitte der Gesellschaft.
Die hatte sich vor kurzem auch zu einer Unterstützer-Kundgebung für ZA-Mann Ziegler getroffen. Organisiert, so schreibt es die NPD auf ihrer Homepage, von Andreas Zieglers Freundin. Sie habe darum gebeten, „breit und in alle Richtungen zu mobilisieren. Parteifarben seien an diesem Tag Nebensache.“
Und so fanden sich Mitte Mai, mit Bannern und Buttons ausgestattet, Leute der rechtsextreme Kleinstpartei Dritter Weg, der NPD, der Identitären und Personal der AfD zur solidarischen Unterstützung ein. Nicht ganz ohne Diskussion, denn Demo-Redner Dirk Spaniel, früherer Daimler-Manager, verkehrspolitischer Sprecher der AfD im Bundestag und eng verbunden mit dem ZA, störte sich an der Anwesenheit des Dritten Wegs. Er habe nicht sprechen wollen, schreibt die NPD, „solange sich Personen einer rechten Partei auf dem Platz befinden“, was an sich schon ein denkwürdiger Satz ist. Spaniel, der Flügel-Mann, ist ja nicht blöd. Allein seine engen Kontakte zum Zentrum hatten ihm bereits in der Vergangenheit massiven Ärger beschert, denn die AfD hatte die Zusammenarbeit mit dem ZA und seiner rechtsextremen Führungsriege untersagt – aus Angst vor Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Das Zentrum selbst hat derweil keine Berührungsängste. Auf Nachfrage, wie das ZA sich verhält zum Schulterschluss mit all den rechtsextremistischen Organisationen rund um den Stammheimer Prozess, schreibt Zeuge Kaupert vom ZA-„Medienteam“: „Bei der Vielzahl von Prozessbesuchern mehrheitlich linksextremistischer Tätersympathisanten … sehen wir keinerlei Veranlassung dazu, normale Prozessbesucher und Interessenten am Geschehen dort auch noch nach Gruppenzugehörigkeit und Mitgliedschaften zu befragen.“
Im Gericht ist derweil Pause. Draußen vor dem Gebäude stehen eine Menge Polizei, Rechte und Linke zwischen Hamburger Gittern. Die Antifa spielt an ihrem dauerpräsenten Solidaritäts-Stand zur Untermalung dieser Frühsommerszene lautstark die Internationale.
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