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Mitreisende Fans bei der Fußball-EMFreibier mit Fahne

Beim Turnier in England fällt zweierlei auf: Präsent sind vor allem schwedische Fans. Und je wichtiger die Spiele, desto mehr schwindet der Anhang. Warum?

Flagge zeigen: schwedische Fans vor der Partie gegen England in Sheffield Foto: Isaac Parkin/dpa

I n ihrer Rekordmail ist die Uefa an einer Stelle etwas im Ungefähren geblieben. Alles haben die Angestellten des europäischen Fußballverbands genau gezählt. So will man fast 100.000 Kinder in den EM-Stadien gesehen haben. So viel wie noch nie, weil ja überall Bestmarken erzielt wurden. 47 Prozent des Publikums, heißt es, waren weiblich. Und Zehntausende internationale Fans hätten ihr Team in England begleitet. Zehntausende? Geht es nicht bitte etwas genauer, liebe Uefa?

Männerfußballturniere sind ja ein Segen für die Reisebranche. Im russischen Nischni Nowgorod sind mir im Jahr 2018 mindestens 20.000 argentinische Anhänger begegnet. Die Uefa würde vielleicht von Zehntausenden sprechen. Aber wie ist es um die Reiseaktivitäten bei den Turnieren der Frauen genau bestellt?

Ich höre mich bei den Verbänden um. Denn auffällig sind sie ja schon gewesen, diese kleinen Stimmungsinseln in England – beispielsweise aus Österreich, den Niederlanden und Schweden. Letztere haben im Vergleich zu allen anderen auch die Nase leicht vorn. Rekordbesuch gab es gleich im ersten Spiel gegen die Niederlande mit 2.700 schwedischen Fans. Die Gegnerinnen wurden immerhin von 2.500 orange gewandeten Menschen unterstützt, die so eine große Vorliebe für Massenchoreografien zu Blasmusik haben.

Was wirklich interessant ist: Je länger diese beiden so beliebten Teams im Turnier verblieben, desto mehr schwand ihre Anhängerschaft. Im Viertelfinale gegen Belgien wurde Schweden nur noch von 500 Landsleuten angetrieben, bei den Niederlanden waren gegen Frankreich lediglich noch 650 dabei.

Gesponserte deutsche Fankultur

Wie das zu erklären ist? Beim schwedischen Verband sieht man die Hauptursache darin, dass die Uefa bei diesem Turnier keine „follow my team tickets“ angeboten hat. Bei den Niederländern verweist man auf das vornehmliche Familienpublikum in den eigenen Reihen, das lieber auf Sicherheit in der Gruppenphase und nicht auf K.-o.-Spiele baut sowie auf die teuren Flugpreise. Auch bei Ös­ter­rei­che­r:in­nen waren im Viertelfinale gegen Deutschland (300) wesentlich weniger in London als noch bei den Vorrundenpartien in Southampton und Brighton (800).

Der Deutsche Fußball-Bund bleibt wie die Uefa im Ungefähren. Lediglich eine Zahl rückte man vor dem Halbfinale heraus. Man rechne gegen Frankreich mit 1.200 Fans aus Deutschland. Vergleichszahlen zu anderen Turnieren oder der Vorrunde werden nicht genannt.

Der Fan Club Nationalmannschaft, teilt der DFB mit, sei deutlich aktiver und präsenter als bisher. Aha. Im Anhang eine Auflistung dessen, was diese von einem großen Getränkehersteller gesponserte Organisation alles zuwege bringt für eine lebendige deutsche Fankultur.

Pubabende mit einem Freigetränk für die Mitglieder des Fan Club Nationalmannschaft, Gewinnspiele, Bustouren durch London. Und neben diesem einen Freibier für Mitglieder gab es Spieltags-Pins und Deutschlandfahnen gar für alle. Organisation ist einfach alles.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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2 Kommentare

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  • Die EM hat prima das Sommerloch gefüllt. Doch an den vollen Stadien bei den parallel (!) zum EM-Endspiel angesetzten Pokalspielen der Männer konnte man erkennen, dass die übergroße Sympathie hierzulande dem angestammten Männer-Fußball gilt. Ohne weitere, konsequente Vermarktung des Frauen-Fußballs insbesondere durch regelmäßige TV-Übertragungen werden die Zuschauerzahlen keine nenneswerte Größe erreichen.

  • Das ist sogar relativ einfach zu erklären. Mitreißend sind im Stadion eigentlich nur die englischen Fans gewesen. Aus dem einfachen Grund, dass es eine Heim WM ist. Die schwedischen Fans sind deshalb präsenter, weil Frauenfußball dort schon länger eine größere Bedeutung hat, als in anderen Nationen.

    Es ist sichtlich einiges passiert im Frauenfußball. Die Qualität ist (teilweise) auffallend besser, die Aufmerksamkeit und die Vermarktung so groß wie noch nie. Doch das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in erster Linie dieses gepushte Event und eben das dazugehörige Marketing sind, die das momentan tragen. Das kann emotionale Bindung, nicht esrsetzen und erklärt übrigens auch die miesen Zuschauerzahlen bei der Herrennationalelf abseits der großen Turniere und den Mangel an Stimmung gegenüber dem Fankultur auf Vereinsebene.

    Welche Auswirkungen das auf den Frauenfußball nach dem Turnier hat, wird man an den Zuschauerzahlen in den Ligen ablesen können. Die WM 2012 in Deutschland hat dem Sport hierzulande einen Schub gegeben, aber der große Durchbruch blieb aus.

    Die ständigen Vergleiche mit dem Männerfußball sind allerdings auch unsinnig. Der hat deshalb so viel Bedeutung, weil sich Kultur und Tradition über mehr als 100 Jahre gebildet haben. Das kann und wird der Frauenfussball auf absehbare Zeit nie erreichen, auch keine andere Sportart, egal wie wie sehr sie medial gehypt werden.