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■ Mit undichten Pipelines auf du und duLecks ohne Statistik

Berlin (taz/AP/AFP) – Alle paar Monate wird wieder eine Pipeline in Rußland oder einem der Nachbarstaaten leck. Vier Wochen vor der Gasexplosion in der russischen Republik Komi liefen 2.000 Tonnen Kerosin in den Karasee in der Nähe der Arktis. Kurz zuvor, im November 94, berichtete Greenpeace, daß mindestens 13.000 Tonnen Rohöl in der Nähe von Usinsk aus einer gebrochenen Pipeline gesickert sind. Doch die meisten solcher Katastrophen werden gar nicht erst bekannt – eine offizielle Statistik über Öl- und Erdgas- Unfälle wird von den russischen Behörden vorsichtshalber nicht veröffentlicht.

Deshalb gibt es unter westlichen Experten heftige Diskussionen, wie groß die Lecks und die Verluste tatsächlich sind. Gerade beim Erdgas kursieren die unterschiedlichsten Zahlen. So geistert seit gut zwei Jahren die „Tatsache“ durch die Medien, daß „25 bis 50 Prozent der gesamten Erdgasförderung“ der GUS in die Atmosphäre entweichen würden. Das entspricht bei einer Jahresproduktion von 600 Milliarden Kubikmetern einer riesigen Ressourcenverschwendung und einer klimapolitischen Katastrophe. Denn Erdgas (CH4) ist extrem treibhauswirksam, wenn es unverbrannt in die Atmosphäre gelangt.

Diese Horrorzahl erhielt den Anschein der Zuverlässigkeit durch den Text eines TÜV-Mitarbeiters im Handelsblatt vor gut zwei Jahren. Doch dahinter stand nicht etwa eine Studie des TÜV-Rheinland, sondern ein Artikel der Zeitschrift Energie. Die wiederum beruft sich auf Forbes, das ohne Beleg den Ex- Außenminister Eduard Schewardnadse zitiert: „Die Hälfte des Gases, ein Drittel des Öls gehen unterwegs verloren.“

Genaue Nachweise oder Studien? Fehlanzeige. Oder in den Worten von Felix Matthes vom Öko-Institut: „Fahrlässiger Umgang mit Daten.“ Skepsis ist also angebracht, und sorgfältigere Analysen der Erdgasverluste kommen auf Werte unter zehn Prozent. Trotzdem bleiben Erdgas- und vor allem Erdöl- Unfälle ein Umweltrisiko: Nach Angaben von Greenpeace sind etwa drei Viertel der russischen Pipelines über zehn Jahre alt – und werden deshalb, so die Experten, extrem häufig undicht.

Gleichzeitig bleibt Rußland von der Öl- und Gasförderung wirtschaftlich abhängig: Allein der Gasprom-Konzern, mit etwa 320.000 Mitarbeitern größtes Unternehmen des Landes, erwirtschaftet ungefähr die Hälfte der Deviseneinnahmen Rußlands.

Nach einem neuen Plan der Regierung soll nun sogar ab dem Jahr 2003 auf dem Eis der Barentssee nach Erdgas gebohrt werden. Darunter vermuten russische Experten 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Attraktiv erscheint neben der Menge die Nähe zu europäischen Märkten – was die größten Erdgasproduzenten Europas, die Norweger, bereits in Unruhe versetzt hat. Neben ökonomischen Verlusten fürchten sie den Aufbau einer umweltverschmutzenden Industrie in der empfindlichen Arktisregion. Felix Berth/Reinhard Wolff

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