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Mit solcher Kaltschnäuzigkeit wurde nicht gerechnet

„Mit solcher Kaltschnäuzigkeit wurde nicht gerechnet“

Für Innensenator Kewenig und den Leiter des Statistischen Landesamtes Prof. Appel stand bereits im Dezember letzten Jahres fest, daß die Durchführung der Volkszählung 1987 erfolgreich verlaufen ist. (...) Ein Jahr nach dem Stichtag kann auch die Berliner Volkszählungsboykott-Bewegung ein Resümee ziehen.

(...) Sicherlich traf die VoBo-Bewegung auf eine gegenüber der staatlichen Datensammelwut bereits sensibilisierte Öffentlichkeit. Damit war eine wesentliche Bedingung für ein Erblühen der VoBo-Bewegung erfüllt. Doch erst der Arbeit der VoBo-AktivistInnen ist es zu verdanken, daß die Volkszählung über Monate hinweg das herrschende Thema in der Öffentlichkeit war, und die Beratungsstellen der VoBo -Initiativen zu einem Treffpunkt unzähliger Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten wurden. (...) Einigkeit herrschte relativ schnell über die Strategie des Boykotts, die eigenen Daten schlicht für sich zu behalten, um damit dem Erfassungsstaat Grenzen zu setzen oder zumindest einen Berg von Denkzetteln zu verpassen. Innerhalb der VoBo-Initiativen gab es kaum grundsätzliche politische Auseinandersetzungen über die Strategie und Ziele des Boykotts, so daß dort Menschen unterschiedlichster politischer Herkunft zusammenarbeiteten. Die VoBo-Bewegung konnte sich unbehelligt von politischen Grabenkämpfen auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren. (...) Die VoBO -Bewegung kann zwar nicht mit stolzer Brust behaupten, dieDurchführug der Volkszählung verhindert zu haben. Doch von einem unproblematischen oder erfolgreichen Verlauf dieser Mammutzählung kann keine Rede sein. (...) Während die Bürokratie ihre Zwangsmittel wirken ließ und Schritt für Schritt den Boykottberg abbaute, beschränkte sich die VoBo -Bewegung darauf, den Boykott so gut es ging zu verwalten und propagierte den Rechtsweg, den allerdings nicht viele befolgten, da sie in juristischen Auseinandersetzungen nicht geübt waren oder den Aufwand für zu groß erachteten. Hier ist die VoBo-Bewegung einigen vorhersehbaren Fehleinschätzugnen aufgesessen. Die VoBo-Bewegung war davon ausgegangen, daß mensch durch Beschreiten des Rechtswegs genügend Sand ins staatliche Getriebe streuen könnte, um den Staat an einer massenhafte Anwendung seiner Zwangsmittel zu hindern. Doch der Staat war nicht bereit, einen rechtskonformen zivilen Ungehorsam hinzunehmen. Die Verwaltungsgerichte erwiesen sich als willfähriger Teil des Staatsapparates und setzten das rechtsstaatliche Prinzip der Einzelfallprüfung zugunsten der Staatsraison außer Kraft. Zwar war die VoBo-Bewegung nicht der Illusion verfallen, die Volkszählung auf gerichtlichem Wege zu Fall zu bringen, mit einer derartigen Kaltschnäuzigkeit hatten jedoch die Rechtsstaatsgläubigen unter den BoykotteurInnen nicht gerechnet.

Zum anderen wurde die Beharrlichkeit und Effektivität der Bürokratie unterschätzt. Zwar befanden sich das StaLa und die Ämter für Volkszählung in einem heillosen Chaos, doch gelang es ihnen, der leider immer kleiner werdenden Gemeinde der BoykotteurInnen mit ihren Zwangsmitteln zuzusetzen. Das zeitverschobene Eintreffen der Zwangsbescheide und die sich auf individueller Ebene abspielende Konfrontation mit dem Staatsapparat vestärkte bei den BoykotteurInnen das Gefühl der Vereinzelung. Mensch fühlte sich nicht mehr als Teil einer politischen Bewegung, die solidarisch dem Staat trotzte. Die VoBo-Initiativen waren mangels Potential, da viele AktivistInnen sich nach der Sommerpause bereits anderen Projekten zuwendeten, nicht in der Lage, über die Ebene des individuellen Beistandes hinaus eine gemeinsame und solidarische Vorgehensweise zu entwikkeln. Zudem waren die AktivistInnen ungenügend darauf vorbereitet, die VoBo -Kampagne über einen längeren Zeitraum zu führen.

Die VoBo-Bewegung hätte bereits zu Anfang der VoBo-Kampagne auf den viel Zeit und Energie verschlingenden Rechtsweg verzichten sollen. Eine frühzeitige Orientierung auf die letztendlich entscheidenden Zwangsmittel - nämlich die Beitreibung der Zwangsgelder durch die Finanzämter - wäre erfolgversprechender gewesen. Denn viele Boykotteure haben sich durch die bedrohlich klingenden Bescheide wie Aufforderungsbescheid, Zwangsgeldfestsetzung, Zahlungsaufforderung verängstigen lassen, weil sie sich einer Auseinandersetzung mit der Bürokratie nicht gewachsen sahen oder um ihren Geldbeutel fürchteten. Dafür war jedoch kein Grund vorhanden, denn erst mit Erscheinen des Vollstreckungsbeamten bestand für den/die einzelnen die Gefahr des Verlustes von 500,-DM, die immer noch durch Abgabe der Fragebogen abgewendet werden konnten. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte mensch den staatlichen Zwangsapparat zappeln lassen können, ohne selbst größere Aktivitäten an den Tag legen zu müssen.

Die VoBo-Bewegung hätte also die Gefahrlosigkeit des Boykotts bis zum oben genannten Zeitpunkt aufzeigen und den Menschen die Angst vor staatlichen Maßnahmen nehmen müssen und zum anderen den Boykott mit politischen Motivationen speisen müssen. (...) Zum anderen konnte der Staat auf ideologischem Gebiet seine Hegemonieansprüche nicht durchsetzen, da trotz einer massiven Überzeugungsarbeit die BürgerInnen nicht zu einer freiwilligen Mitarbeit bei der Volkszählung bereit waren. Es ist für eine Bürgerrechtsbewegung mit staatskritischen Ansätzen positiv zu bewerten, daß die BürgerInnen sich erst nach Drohungen und Einsatz von Zwangsmitteln dem Herrschaftsanspruch des Staates gebeugt haben. Und hier auch nur insofern, als daß sie ihre Fragebögen ausfüllten, allerdings versehen mit phantasievollen Antworten.Hans Ulrich Pieper

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