Mit der deutschen Delegation in Nordkorea: Im Land der Generäle
Hochbetrieb auf den Reisfeldern, Soldaten im Einsatz für die Landwirtschaft - von der außenpolitischen Krise ist in Nordkorea selbst und in seiner Hauptstadt nichts zu spüren.
Samstagmorgen kurz vor acht am Stadtrand von Pjöngjang: Die Fahrbahn ist leer, kaum ein Auto zu sehen, nur ein paar Radfahrer und Fußgänger mit dicken Bündeln auf dem Rücken sind unterwegs. Es nieselt leise. Auf den Reisfeldern zu beiden Seiten herrscht Hochbetrieb: Männer und Frauen mit bunten Tüchern auf dem Kopf stehen gebückt und knöcheltief im Wasser, stecken Reihe um Reihe hellgrüner Setzlinge in den Boden.
Hier und da flattern rote Fähnchen. Transparente mit weißen Schriftzeichen rufen zu noch größeren Anstrengungen für eine gute Ernte auf. Lange Kolonnen von Soldaten in khakibrauner Uniform wandern vorbei. Jeder trägt einen Spaten über der Schulter, im Einsatz für die Landwirtschaft.
Die friedliche Szene an der Flughafenstraße verrät nichts von den Spannungen dieser Tage auf der koreanischen Halbinsel: Seitdem die Regierung in Seoul am 20. Mai Nordkorea vorwarf, ihre Korvette "Cheonan" mit einem Torpedo versenkt zu haben, wächst in der Region die Angst vor einem Krieg. Werden sich die Südkoreaner rächen? Könnte eine unbedachte Handlung eines Soldaten an der Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad der Zündfunke für eine Explosion sein? In Südkorea, wo sich an diesem Wochenende die Regierungschefs aus Seoul, Peking und Tokio treffen, beschwört Chinas Premier Wen Jiabao alle Seiten, Ruhe zu bewahren.
Der Bundestagsabgeordnete Johannes Pflug, SPD, ist Vizevorsitzender der deutsch-koreanischen Freundschaftsgruppe im Parlament. Mit einer Gruppe von SPD-Politikern und Mitarbeitern der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung besuchte er vom 24. bis 29. Mai Pjöngjang. Man solle
gerade in schwierigen Zeiten den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, begründete er seine Entscheidung, trotz der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel nach Nordkorea zu reisen. Die Funktionäre dort seien weiterhin sehr interessiert daran, engen Kontakt sowohl mit Deutschland als auch mit anderen europäischen Ländern zu halten. Pflug legte eine Namensliste von Nordkoreanern vor, deren Kinder in Deutschland ohne Nachricht über das Schicksal ihrer Väter sind. Mit den Kontakten zu Nordkorea wolle er versuchen, das Land "in die Völkergemeinschaft einzubinden". Bisher reagiere Nordkorea oft überzogen auf Kritik von außen. Pflug: "Wir haben gesagt, dass ihre scharfe Rhetorik große Sorge bereitet. Es ist nötig, sie aus ihrer selbst gewählten Isolation herauszuholen." (JL)
Jene Landsleute im Norden, die Seoul anklagt, für den Tod von 46 Seeleuten verantwortlich zu sein, haben zuvor ungewöhnlich reagiert: Das mächtigste Gremium des Landes, die Nationale Verteidigungskommission, an deren Spitze kein Geringerer als Kim Jong Il steht, entschließt sich am vorigen Freitag zum Schritt an die Öffentlichkeit. Es ruft ausländische Diplomaten und die knappe Handvoll internationaler Journalisten in der Hauptstadt zu einer Pressekonferenz. Das ist eine Premiere.
Es geht die Marmortreppen des Kulturamtes in Pjöngjang hinauf, hinter den Mikrofonen sitzen drei ernste Offiziere in grünbraunen Uniformen. Über ihnen hängen die Porträts von Staatsgründer Kim Il Sung und seinem Sohn Kim Jong Il.
Generalmajor Ban Rim Su, ein Mann Mitte fünfzig, führt das Wort, und seine Botschaft lautet: "Nordkorea ist das Opfer einer großen Verschwörung." Das, verkündet er, werde man sich nicht gefallen lassen.
Auf den Tischen stehen Flaschen mit Mineralwasser und Apfelsaft, Ban trägt acht Ordensspangen, darüber eine rote Fahne mit dem Porträt Kim Il Sungs. Einen Moment lang erinnert die Szene an eine Pressekonferenz in anderen Ländern. Doch die grimmige Rhetorik und die Tatsache, dass die Information der Generäle bereits am Vortag in der Presse zu lesen war, lassen vermuten, dass die Militärs das Prinzip einer "Pressekonferenz" noch nicht ganz verstanden haben. Das nationale Fernsehen mit seinen zwei TV-Programmen strahlt das Ereignis am Abend aus.
Draußen ist von den internationalen Spannungen nichts zu spüren. Die Straßen sind belebt. Die wenigen Autos sind an den Nummernschildern überwiegend als Dienstwagen zu erkennen, sie gehören der Armee, den Behörden und Staatsfirmen. In letzter Zeit dürfen auch Privatleute ein Auto besitzen; unklar ist allerdings, wer sich eines leisten kann. Da rollen Liebhaberstücke wie alte Mercedes 200 neben der in Nordkorea gebauten Version der chinesischen Marke Brillance sowie Luxuslimousinen aus Deutschland und Japan durch die Stadt. Sogar ein amerikanischer Hummer ist zu sehen, offensichtlich kam er aus China.
Bunte Propagandaplakate zeigen heldenhafte Soldaten und Arbeiter im Kampf gegen amerikanische Imperialisten und für eine Zukunft Nordkoreas mit Raketen und modernen Fabriken. Parolen erinnern an die kommenden Paraden zum 65. Geburtstag der Arbeiterpartei in diesem Sommer und fordern zum Kampf für Landwirtschaft und Leichtindustrie auf, um bis 2012 ein "aufblühendes und wohlhabendes Nordkorea" zu erarbeiten. Bis dahin sollen 100.000 Wohnungen gebaut werden, berichten Pjöngjanger Funktionäre. Einige neue Straßenlaternen und Ampeln mit Solarzellen sind bereits aufgestellt. Das lange als Bauruine verlassene Pyramidenhotel "Stadt der Weiden" mit über hundert Stockwerken ist inzwischen teilweise verglast worden. Auf einigen Baustellen wird sogar nachts durchgearbeitet. Aus den Lautsprechern am Bahnhof ertönen zu jeder vollen Stunde revolutionäre und patriotische Weisen, Tag und Nacht, ohne Pause.
In dieser spannenden Zeit besuchen deutsche Parlamentarier, SPD-Politiker und Angehörige der Friedrich-Ebert-Stiftung Pjöngjang. Sie haben Warnungen des Auswärtigen Amts davor, in dieser heiklen Situation ins Reich der Kims zu fahren, in den Wind geschlagen. Es sei wichtig, sich "vor Ort ein Bild zu machen", sagt Delegationsleiter Johannes Pflug. Die Nordkoreaner haben auch zwei Journalisten, darunter die Korrespondentin dieser Zeitung, die Einreise erlaubt.
Die Gastgeber geben sich flexibler als sonst. War es Journalisten früher in der Regel verboten, außerhalb des offiziellen Programms auch nur das Hotel zu verlassen, so laden die Begleiter dieses Mal zum Spaziergang ein. Sie präsentieren den Gästen unter anderem eine in diesen Breiten ungewöhnliche Vogelart. In einer blitzsauberen Farm werden rund 10.000 Strauße gezüchtet. Die Anlage sei die drittgrößte der Welt, berichten die Funktionäre. Die Strauße sollen Fleisch liefern, denn die Ernährungslage ist immer noch sehr angespannt, wie ausländische Entwicklungshelfer berichten. Weil der Winter besonders lang und kalt war, fürchten die Bauern um die nächste Ernte. Staatsangestellte werden freitags als Helfer aufs Land geschickt. "Wer Reis essen will, muss auch dafür arbeiten", sagt Parteifunktionär Ri Yong Chol.
Aber der "General", wie Kim Jong Il inzwischen nur noch genannt wird, und seine Militärs haben in den letzten Monaten alle Versuche gestoppt, mehr Marktwirtschaft zu erlauben. Mit der jüngsten Währungsreform wollte er die privaten Händler treffen, er nahm ihnen die Ersparnisse. "Wir halten an der Planwirtschaft fest und bauen auf unsere eigenen Kräfte", zitiert ein Funktionär die offizielle Linie. "Für uns ist China kein Vorbild."
Im Jahr 2012 wäre der Staatsgründer und "Präsident auf Ewigkeit", Kim Il Sung, hundert Jahre alt geworden; dieses Ereignis will sein Sohn ganz groß feiern. Das allein, so erklären nordkoreanische Regierungsbeamte, zeige, dass der Angriff auf das südkoreanische Schiff nicht im Interesse des Nordens liegen konnte.
Für die wirtschaftliche Entwicklung "brauchen wir eine friedliche Atmosphäre", sagt der 79-jährige Professor Ri Jong Hyok von der Korea-Deutschen Parlamentarischen Freundschaftsgruppe. Er hat einst in der DDR studiert. "Wie könnte man in einer solchen Situation ein Kriegsschiff versenken?"
Das fragt sich derzeit auch der Rest der Welt. Eines wird in diesen Tagen deutlich: Die Pjöngjanger werden derzeit nicht für den Kriegsfall mobilisiert, sondern so wie jedes Jahr für große Feiern und Paraden zu Ehren der Partei, des Militärs und der "drei Generäle", wie die Kim-Familie genannt wird. Von Jong Un, dem dritten Sohn Kims, der die Dynastie weiterführen soll, ist in den Gesprächen dieser Woche keine Rede, eher schon von der Beteiligung Nordkoreas an der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika.
Auf den Plätzen versammeln sich jeden Tag am späten Nachmittag Kinder und Erwachsene zum Training für die Paraden und das Arirang-Massenspektakel im August, manche mit Hula-Hoop-Reifen. Die Alten sitzen mit ihren Angeln unter den Weiden am Taedong-Fluss, das trübe Wasser schreckt sie nicht ab.
Gegen sechs Uhr abends bilden sich vor den Bushaltestationen lange Schlangen. Es sind Schüler in weißblauer Kleidung mit rotem Pioniertuch, Männer und Frauen mit Akten- oder Einkaufstaschen, die nach Hause zurückkehren.
Zehntausende von Einwohnern machen sich zu Fuß auf den Weg, viele schleppen schwere Bündel. Fahrräder sind in Pjöngjang nach wie vor rar, im Zentrum sind sie ganz verboten, Frauen dürfen in der Hauptstadt nicht auf den Sattel, das hält der "General" für unschicklich oder zu unsicher, je nachdem, wen man fragt.
In den staatlichen Läden langweilen sich die Angestellten vor den paar Konservendosen und Flaschen, die ihre Regale schmücken. Obwohl einige der freien Märkte, die nach der Währungsreform im Winter geschlossen waren, wieder geöffnet sind, ist das Angebot dünn: Wer allerdings Euros, Dollars oder chinesischen Yuans besitzt, darf wieder in den Devisenläden einkaufen; das war Anfang des Jahres für einige Wochen verboten.
Im Zentrum sind viele der kleinen Verkaufsstände verschwunden, die einst Saft und Obst anboten. Nun sind Eiskrem und Kunstblumen zu haben. Pjöngjanger, die in die Nähe des internationalen Koryo-Hotels kommen, können allerdings etwas Besonders kaufen: Obst und Honigpfannkuchen.
Mit der beharrlichen Weigerung, sich zu reformieren, haben Pjöngjangs Mächtige ihr Land, das früher einmal reicher war als Südkorea, in den vergangenen zwei Jahrzehnten in den Bankrott getrieben. Für die Bewohner, die sich so sehr ein leichteres Leben wünschen und Kontakt zur Außenwelt, ist es eine Tragödie. Die Militärs jedenfalls werden, wenn es nicht klappen sollte, ihr Land bis 2012 zum "Aufblühen und Prosperieren" zu bringen, sicher wissen, wer die Schuldigen sind: Südkorea, die USA und alle Ausländer, die sich immer wieder gegen ihr Land verschwören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt