piwik no script img

■ Mit der Rubelkrise auf du und duBankerfahrungen

Moskau (taz) – Man weiß nie genau, was passiert. Und vor allem wann. Vor der Filiale der Mostbank in der Moskauer Innenstadt stehen noch gegen 18 Uhr etwa 100 Leute im Regen. Mittags sind Rubel angekommen. Aber die Menge wartet auf US-Dollar. Falls sie böse würde, wäre der Security-Mann an der Tür hilflos.

Vor sechs Tagen habe ich mich in eine Liste eingeschrieben, um hier auf meine Kreditkarte 500 US-Dollar zu bekommen. Gestern habe ich meiner Putzfrau Tiefkühlkost aus meinen Vorräten gegeben. Sie hatte zu Hause nichts mehr zu essen. Deshalb bin ich jetzt auch bereit, Rubel zu nehmen – auf eine ausländische Kreditkarte. Und darf hinein.

Viele RussInnen sitzen im Urlaub in Westeuropa fest. American-Express und Visa haben auch dort die Geldausgabe für Karten einiger russischer Banken gestoppt. Noch vor vier Jahren wußte in Moskau kaum jemand, wie eine Kreditkarte funktioniert. Jetzt verfolgen die Leute fassungslos, wie sich die Kärtchen in wertlose Plastikschnipsel verwandeln.

In einem Ledersessel rutscht eine Rentnerin hin und her. Sie hebt etappenweise ihr Sparkonto ab. Gestern hat sie 2.000 US-Dollar bekommen. Insgesamt besaß sie 6.000 und konnte praktisch von den Zinsen leben – 86 Dollar im Monat. Bankerfahrungen werden ausgetauscht. „Gab's heute etwas bei der Imprial?“

Um 21 Uhr kündigen Lautsprecher die Inkassatoren an. Die Schalterhalle füllt sich. Die Angestellten, lauter junge Frauen, führen zwei Wartelisten. Von den Kontoinhabern bekommen heute dreißig Leute bis zu 2.000 Dollar. Wir Kreditkarteninhaber bekommen je 200 Dollar und sind auch glücklich. Das Xeroxgerät spuckt Dokumente mit der Geschwindigkeit einer Rotationspresse aus. Dollarnoten fliegen durch die Luft. Einen Moment lang blickt eine erschöpfte rotblonde Schalterangestellte mit Grübchen auf die Schlange. Dann belebt sie sich: „Haltet die Ohren steif, Leute“, strahlt sie. „Du auch, Mädel“, ruft ein junger Mann zurück: „Du kannst sicher sein: Dich vergessen wir im Leben nicht.“ Barbara Kerneck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen