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Mit der Geschichte auf du auf du„Er verhandelte“

■ Eine Million Juden gegen 10.000 LKW

Geschichte ist absurd. Geschichte ist „völlig, völlig, völlig unlogisch“. Nein. So hat Yehuda Bauer das nicht gesagt. Der Historiker hat erzählt. In der vergangenen Woche als Redner zum Gedenken des Holocaust im Bundestag. Und am Montag in der jüdischen Gemeinde. Zum Beispiel von den Treffen zwischen dem schweizer Bankier Saly Mayer und dem deutschen Obersturmbannführer Kurt A. Becher Herbst 1944/Frühjahr 1945.

Es ging um einen fürchterlichen Deal: Das Leben von einer Million Juden gegen 10.000 LKW für die Nazis. „Saly Mayer“, sagt der israelische Historiker Yehuda Bauer, „war ein unmöglicher Mensch. Sturzkonservativ“. Im Auftrag der amerikanischen Juden führte er die Verhandlungen mit der SS. Alle wußten davon, die Amis, die Franzosen, die Engländer; Churchills Order war klar: „Unterbindet die Sache!“Separatverhandlungen mit den Nazis seien, um die Russen nicht vor den Kopf zu stoßen, völlig unmöglich. Aber: „Saly Mayer hat sie alle ausgetrickst.“Er verhandelte. Und verhandelte. Und schickte ein paar Traktoren aus der Schweiz. Und verhandelte. Und auf der Gegenseite, Kurt A. Becher, der SS-Mann, verhandelte mit, weil die Nazi-Herrschaft zu Ende und es um seinen Kopf ging, sagt Yehuda Bauer. 200.000 Menschen aus Budapest wurden „dank dieser Verhandlungen nicht nach Auschwitz geschickt“.

Ausgetrickst wurde dabei nicht zuletzt Becher. Der glaubte wie Himmler, wie Eichmann, an das Fantasma der „jüdischen Weltverschwörung“und wähnte sich in dem politisch total isolierten Saly Mayer einem ihrer mächtigen Vertreter gegenüber. Mayer hingegen hatte nichts zu bieten außer ein paar Dollars und die Macht der Rede. Becher aber – noch so eine „völlig, völlig, völlig unlogische“Konsequenz der Geschichte – kam wahrscheinlich auf Grund seines Fantasmas nach dem Krieg um den Henker herum. In Bremen wurde er Getreide-Großhändler und in den 80er Jahren wurde um ihn (auch in der taz) der Streit ausgefochten, ob er wohl Massenmörder war oder ein verkappter Oskar Schindler.

Das war eine von vielen Geschichten, die Yehuda Bauer vor einem dichtbesetzten Saal frei redend und Hände wedelnd aus dem Ärmel schüttelte. Eine so unglaublich wie die andere. Alle glaublich, wenn man sie in seinem Buch nachliest: „Freikauf von Juden?“, gar nicht staub-, wohl aber historikergetrocknet berichtet. ritz

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