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Mit den Nazis arrangiert

Heute positioniert sich der FC St. Pauli eindeutig gegen rechts. Dass das nicht immer so war, zeigt die Ausstellung „FC St. Pauli: Lebenswege 1933–1945“ in Hamburg

Von René Martens

Der 3. November 1991 hat auf dem weiten Feld zwischen Fußball und Politik einen durchaus historischen Charakter. Beim Zweitligaspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem FC Remscheid galt an jenem Tag erstmals ein neuer Stadionordnungsparagraf. Seitdem werden am Hamburger Millerntor rechtsradikale Parolen und das Mitführen entsprechender Fahnen mit Hausverbot geahndet. Eine solche Regelung hatte es bis dahin im deutschen Fußball nicht gegeben.

Einem Mitglied des FC St. Pauli kann diese Neuerung damals kaum gefallen haben: Otto Wolff, Ligaspieler am Millerntor Ende der 1920er- und während der 1930er-Jahre, war einer der übelsten Nazis in der Geschichte der Stadt. Der Akademiker, der in der Nachkriegszeit in der Versicherungsbranche reüssierte, spielte eine zentrale Rolle bei der Arisierung in Hamburg und bei der Organisation der Zwangsarbeit.

Wolff hatte, wie seine Anwälte anlässlich eines Berufungsverfahrens vor dem Spruchgericht Bergedorf Anfang 1949 betonten, in der NS-Zeit eine „Stellung mit Minister-Befugnissen“ inne. Wollte man es filmreif interpretieren, hat die Ergänzung der Stadionordnung Wolff folgenschwer zugesetzt: Er starb fünf Tage nach dem Spiel gegen Remscheid.

Seine Geschichte ist ein Thema in der Ausstellung „FC St. Pauli: Lebenswege 1933–45“, die das Museum des FC St. Pauli derzeit in der St.-Pauli-Kirche in Hamburg zeigt. Kurator Christoph Nagel sagt, gerade für einen Verein, der sich heute gegen rechts positioniere, sei es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dies in der Geschichte nicht immer so gewesen sei.

Die Ausstellung greift einen Nachruf auf Wolff auf, der Anfang 1992 in St. Paulis Vereinszeitung erschien: „Während des Krieges“ habe dieser „in exponierter Stellung für unser Land, für unsere braun/weißen Farben segensreich gewirkt“, heißt es da. Medienberichte über die linke Fankultur am Millerntor waren damals längst gang und gäbe, die Restbestände vorgestrigen Denkens waren im Verein zu dem Zeitpunkt aber noch nicht verschwunden.

Die „Lebenswege“ sind eine Weiterentwicklung von „Fußball in Trümmern. Der FC St. Pauli im ‚Dritten Reich‘“ (2017). Ewald Lie­nen, Technischer Direktor und sogenannter Wertebotschafter des Vereins, betonte bei der Eröffnung der neuen Ausstellung, es gehe nicht „ums Gedenken allein“. Angesichts dessen, dass „Leute wie Höcke“ gewählt werden, der eine „Inkarnation der Dummheit“ sei beziehungsweise „eine Schande für unser Land“, gehe es vielmehr darum, „klar zu machen, dass wir jetzt etwas tun müssen“, also „bevor wir hier wieder ein totalitäres Regime haben“. Denn: So ein Regime sei „lebensbedrohlich für jeden, der sich dagegen zu Wehr setzen will“.

In der NS-Zeit sei der FC St. Pauli „mitgeschwommen im Sinne der Selbsterhaltung“, sagt Christoph Nagel. In einigen Biografien der in der Ausstellung vorgestellten Personen gibt es zumindest kleine Brüche: Wilhelm Koch etwa, sogenannter Vereinsführer und Mitglied der NSDAP, hatte gute Beziehungen zu den Mächtigen der Stadt, bremste aber zumindest kurzzeitig den Jugendleiter Walter Koehler aus, der den Verein noch mehr auf NS-Linie bringen wollte.

Zumindest ein Propagandwerkzeug der Nazis war St. Paulis langjähriger Außenverteidiger Karl Miller – jedenfalls in seiner Eigenschaft als Nationalspieler. Er lief zwischen 1940 und 1942, als er für den Dresdner SC und den Luftwaffensportverein Hamburg spielte, zwölfmal für den DFB auf.

Der Teil der Ausstellung, der ihm gewidmet ist, ist mit der Frage überschrieben: „Ist Mitspielen auch Mitmachen?“ Miller war Flak-Kanonier, und er genoss, wie auch andere Nationalspieler, Privilegien. 1940 etwa wird das Tribünendach im Stadion des Dresdner SC sein „Arbeitsplatz“: Genau dort wird sein Flak-Geschütz in Stellung gebracht.

Später profitiert der FC St. Pauli von den Verbindungen, die Miller in der NS-Zeit vor allem in Dresden knüpfte. Er lockt zahlreiche Spitzenspieler nach Hamburg. Christoph Nagel sagt, ihm sei bei der Gestaltung der Ausstellung klar geworden, dass die erfolgreichste Phase in der Geschichte des Vereins – 1948 erreichte St. Pauli mit diversen Stars das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft – kaum möglich gewesen wäre, wenn sich Miller nicht vorher mit den nationalsozialistischen Machthabern arrangiert hätte.

Im Alltag des FC St. Pauli ist die NS-Zeit heute gewissermaßen latent präsent. Auf dem Areal des heutigen Trainingszentrums in Niendorf war von 1933 bis 1938 der jüdische Sportverein Schild Hamburg beheimatet. Nachdem die bürgerlichen Sportvereine jüdische Sportler ausgeschlossen hatten, gründeten einige der Verbannten eigene Vereine. 1938 wurden sie verboten.

Spuren Otto Wolffs sind ebenfalls noch sichtbar, wenn auch nicht beim FC St. Pauli. Seine alte Firma, die „Dr. Otto Wolff Vermittlungsgesellschaft für Versicherungen“, existiert bis heute, eine Zweigstelle sitzt in Winterhude. Dass ein Mann, der in der NS-Zeit „Minister-Befugnisse“ hatte, heute noch einer Firma als Namensgeber dient, gehört zu den bizarrsten Anekdoten in der post-nationalsozialistischen Bundesrepublik.

Ausstellung „FC St. Pauli: Lebenswege 1933–45“: bis 1. 3., Hamburg, St.-Pauli-Kirche, Infos: stpaulikirche.de

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