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Mit dem Zug nach Bali (Teil VI)Chinas Schicksalsfluss - eine Müllkippe

Nach 9.200 Kilometern in Zug und Bus erreicht der taz-Reporter Zentralchina, die Wiege der chinesischen Kultur. Der Gelbe Fluss ist krank - doch es regt sich Widerstand.

Wang Yajun und Luo Wen Zhang sammeln Unterschriften. Bild: nick reimer

ZENTRALCHINA taz Den Sonntag in Lanzhou erkennt man daran, dass die Sonne scheint. Nicht dass sie von Montag bis Samstag nicht auch scheinen würde. Aber dann rauchen auch die Schornsteine der 3-Millionen-Metropole in Zentralchina. Und weil Lanzhou, die Hauptstadt der Provinz Gansu, im Talkessel des Gelben Flusses liegt, sieht man die Sonne in der Woche vor lauter Smog nicht.

Dagegen regt sich Widerstand: "Tun Sie etwas für unsere Umwelt: Unterschreiben Sie!" Wang Yajun steht an diesem Sonntag an der Zhongshan-Brücke über den Gelben Fluss. Vor ihr liegt ein rotes Spruchband mit weißen Schriftzeichen. Zusammen mit 100 anderen jungen Leuten versucht die Studentin, Passanten zu einer Unterschrift auf das Spruchband zu bewegen. "Der Gelbe Fluss ist die Mutter Chinas. Und wenn es der Mutter Chinas nicht gut geht, dann ist ganz China krank", sagt die 21-Jährige.

Bild: taz

Nick Reimer ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz. Zum Welklimagipfel im Dezember hat er sich mit dem Zug Richtung Bali aufgemacht.

Immer seltener erreicht das Wasser des Gelben Flusses tatsächlich noch das Meer. In der letzten Dekade gab es Jahre, in denen der Huang He, wie der Gelbe Fluss auf Chinesisch heißt, gerade mal noch an 35 Tagen das Meer erreichte, an 330 Tagen war sein Unterlauf ganz ausgetrocknet. Mehr als 50 Städte mit 140 Millionen Menschen versorgt der Gelbe Fluss. Im Mittellauf wird immer mehr Wasser für die Bewässerung der Felder abgezweigt. Die Industrien der Provinzen Henan, Ganso oder Shaanxi saugen gierig an dem Fluss. Und auf dem größten Ölfeld Chinas, in der Inneren Mongolei, wird das Wasser des Flusses dazu genutzt, Öl zu fördern.

"Anfangs hat uns die Polizei vertrieben", sagt Luo Wen Zhang, einer der Aktivisten in Lanzhou. Ihre Versammlung sei nicht registriert gewesen, so die Begründung seinerzeit. "Wir haben uns aber nicht einschüchtern lassen und sind am nächsten Sonntag wiedergekommen", sagt der 22-Jährige. Wiederkommen, vertrieben werden, wiederkommen - eine ganze Weile sei das so gegangen, "bis die Polizei einlenkte und uns gewähren ließ". Seitdem wird der Protest geduldet.

In Dreierreihen sind sie heute angetreten, auf dem Kopf rote Basecaps, mit Besen und großen Tüten bewaffnet, die ersten drei tragen Fahnen. Es geht ans Flussufer, Müll aufsammeln. Ein großes Problem in Lanzhou ist, dass die städtische Müllentsorgung einfach nicht richtig funktionieren will. Der Unrat, der sich am Flussufer türmt, verrät, dass hier auch wesentlich schädlichere Zivilisations- und Produktionsreste eingeleitet werden. Trinkwasser sollte in China allenfalls abgekocht getrunken werden.

Der 5.660 Kilometer lange Huang He ist der Schicksalsfluss der Chinesen. Seit Alters her verursacht er gigantische Überschwemmungen. Nur durch Großeinsätze mit tausenden von Menschen gelang es, das Flussbett einzudämmen. Im Einzugsgebiet des Flusses entstand die "Gelbe Kultur", die Grundlage der chinesischen Zivilisation. Tatsächlich ist das Wasser ockergelblich. Jährlich schwemmt der Fluss 1,6 Milliarden Tonnen lehmige Sedimente von West nach Ost. Das macht das zeitweise Austrocknen besonders gefährlich: Wenn die Sedimente das Gelbe Meer nicht mehr erreichen, lagern sie sich anderswo ab. Immer wieder muss das Flussbett ausgebaggert werden, was aber nicht verhindern kann, dass es immer weiter steigt. Vielerorts liegt das Flussbett heute sogar höher als das Land drum herum. Das macht den Fluss so gefährlich: Jeder überdurchschnittlicher Regenfall im Ober- oder Mittellauf lässt die Menschen weiter unten zittern.

Große Aufmerksamkeit bekommen die Umweltschützer an diesem Sonntag nicht. Zwar haben einige hundert Passanten das Spruchband unterschrieben, das nun an die Provinzregierung übergeben werden soll. "Von der Zeitung ist aber wieder niemand gekommen", sagt Wang Yajun. Dabei haben die Demonstranten sogar einen Fahrdienst angeboten.

"Echten Auftrieb bekäme unsere Aktion, wenn die Medien darüber berichten würden." Zwar hat die Führung in Peking die Medien ausdrücklich dazu aufgerufen, Missstände aufzudecken, "die lokalen Medien sind aber nach wie vor mit den Provinzregierungen verwoben", sagt Yajun. Wird wirklich einmal über einen Umweltskandal berichtet, dann von einer Zeitung aus der Nachbarprovinz.

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