: Mit dem Tenno stirbt in Japan eine Epoche
Kaiser Hirohito liegt schon seit Wochen im Sterben / Ganz Japan im Bann ärztlicher Bulletins / Diskussionen um Nachfolger und Rituale / Selbstmordrate steigt wie auch die Papierpreise / Welche Losung gibt der Nachfolger für die neue Epoche aus? ■ Aus Tokio Jürgen Kremb
Jeden Abend starrt ganz Japan wie gebannt auf eine Autofahrt von wenigen hundert Metern. Es hat schon fast etwas Sakrales an sich, wenn die weiße Limousine mit den täglichen Blutspenden für den sterbenden Tenno auf das Palasttor zurollt. Ein Polizeibeamter fragt nach den Papieren, dann verschwindet der Wagen hinter den Mauern des Chrysanthementhrons im Herzen Tokios.
Seit dem 19.September liegt der 87jährige Kaiser Hirohito schon im Sterben. Daß die Öffentlichkeit so wenig über den krebskranken Patienten und sein Magenbluten erfährt, scheint die Reporter noch nervöser zu machen. Offenbar schweren Herzens, hat der japanische Ministerpräsident Noburo Takashita zugestimmt, daß der Hundertschaft Medienbedienstete vor dem Palast ein Zelt errichtet wird. Da sitzen die Reporter mit ihren dicken Daunenjacken nun tagein tagaus vor Sendewagen mit riesigen Parabolantennen.
Das Monopol auf die Berichterstattung über den Abgang des Vertreters des Sonnenthrons aus dieser Welt hat die 'Kaiserliche Haus-Agentur‘. Wie die 1.000köpfige Behörde das Leben des japanischen Staatsoberhaupts seit 1945 von der Außenwelt abgeschirmt hat, so regelt sie nun das Sterben des Kaisers. Täglich zweimal zu genau festgelegten Zeiten lädt Kenji Maeda zur Pressekonferenz. Der Sprecher verkündet dann die Körpertemperatur, Puls, Blutdruck und Atemfrequenz des Kaisers, gemessen um 8.30 Uhr morgens und 5.30 Uhr abends.
Für die meisten Tageszeitungen ist diese „kaiserliche Gesundheitswetterkarte“ schon seit Wochen Bestandteil des täglichen Aufmachers. Wie könnte es in Japan anders sein, die Form muß dabei immer gewahrt werden.
Im Land der aufgehenden Sonne werden derweil die Stimmen lauter, die fragen: „Warum läßt man den alten Mann nicht in Ruhe sterben?“ Eine berechtigte Frage, wenn man bedenkt, daß die Blutmenge, die dem Tenno transfusioniert wurde, schon 18 Liter übersteigt. Das ist die dreifache Menge, die ein nicht blaublütiger Mensch im Körper hat. Doch nach Ansicht der Ärzte ist dies der einzige Weg, dem Kaiser noch Medikamente zu verabreichen, die sein Leben verlängern. „Irgendwas führt die Haushaltsagentur im Schilde“, spekuliert ein japanischer Kollege, „doch niemand kann sich was erklären.“
Da in den nächsten Tagen wohl die erste Thronfolge ins Haus steht, seit Japan 1945 zur Demokratie wurde, sind die Diskussionen über Zukunft und Sinn des Kaiserhauses in Japan aufgeflammt. Dabei steht die Frage nach der Losung, unter der Prinz Akihito (54) sein Amt antreten soll, und damit, wie Japans nächste Epoche überschrieben wird, im Vordergrund. Ferner streiten die Politiker darüber, wer die auf 200 Mio. US-Dollar geschätzte Feier, die sich über zwei Jahre erstrecken, bezahlen soll.
Das sorgt für viel mehr politischen Zündstoff, als im Westen ersichtlich ist. „Politik und Kaiserhaus sind in der Verfassung getrennt“, sagen sozialistische und kommunistische Partei, die darauf bestehen, daß die Mittel nicht aus dem Regierungshaushalt bestritten werden. Für die konservativen Parteien scheint jedoch der baldige Tod des 87jährigen Tenno gerade recht zu kommen, um Japans innen und vor allem außenpolitische Rolle neu zu umschreiben.
Vielen Vertretern der alten Garde sitzt der Komplex aus dem verlorenen Krieg und der erzwungenen militärischen Enthaltsamkeit mit einer „nur“ Selbstverteidigungsarmee immer noch tief in den Knochen. Eine entsprechende Losung des Kaisers, die in Japan fortan auf allen Kalendern und Dokumenten steht, und also Epochenbezeichnung dient, könnte als psychologischer Rückhalt dienen, um die wirtschaftliche Supermacht Japan auch zur militärischen „Superpower“ zu machen.
„Es ist zu befürchten“, sagt ein Professor der Elite -Hochschule Tokio-Universität, „daß am persönlichen Verhalten der letzten Wochen in Zukunft gemessen wird, wer ein guter und wer ein schlechter Japaner ist.“ Seit die Nachricht vom möglichen Sterben des Kaisers die japanische Öffentlichkeit erreichte, wurden vor den Toren der Palastanlagen im Zentrum der asiatischen Finanzmetropole Listen ausgelegt. Täglich stehen hier nun hunderte und an Sonntagen tausende Japaner Schlange, um ihre Namen einzutragen und dem Kaiser gute Besserung zu wünschen.
Die Tokioer Polizei hat dieser Tage zu einem Sonderseminar eingeladen. Wie einer ihrer Sprecher erklärte, sei man besonders auf der Hut davor, daß Terroristen von „links und rechts“ den Tod des Kaisers benutzen. Die japanische „Rote Armee“ hat mit Anschlägen nach dem Tod des Kaisers gedroht. Ein Polizeisprecher teilte vorgestern mit, die „Rote Armee“ habe in einer Erklärung angekündigt, der Kampf gegen die Monarchie werde am Tag des Todes von Hirohito beginnen. Das japanische Volk wird in der Erklärung aufgerufen, sich zu erheben und „das System des Kaisers mit allen Mitteln zu Fall zu bringen“.
Was wohl niemand verhindern kann, so Beobachter, sei eine Serie von rituellen Selbstmorden (Harakiri) vor dem Palast, sobald die Nachricht vom Tod des Monarchen bekannt wird.
Nicht ganz so grausam wird es die japanische Wirtschaft treffen. Lediglich die Seidenindustrie und die Fabriken zur Verarbeitung von roten Bohnen haben über einen Umsatzrückgang von 25 Prozent zu klagen. „Da viele Feste aus Trauer über die Krankheit des Kaisers abgesagt werden“, sagt ein Vertreter eines großen Handelshauses, „gingen unsere Geschäfte in Seide und Kokons um ein Viertel zurück.“ Es werden weniger Kimonos gekauft.
„Eine Seidenregion klagt sogar über einen Umsatzverlust von 500 Millionen Yen (7 Millionen Mark) in diesem Jahr,“ klagt ein Börsenhändler. „Wenn die Krankheit des Kaisers noch länger dauert, wird das der Wirtschaft einen heftigen Dämpfer versetzen,“ meint ein anderer Broker. „Das ist wirklich unsere größte Sorge in diesen Tagen.“
Da ist freilich nichts zu befürchten. Wie die 'Kaiserliche Haushalts-Agentur‘ verkündete, „ist eine Verschlechterung im Gesundheitszustand des Monarchen nicht zu verkennen.“ Sein Enkel Prinz Aya hat sein Studium in Oxford abgebrochen und ist Mitte der Woche nach Tokio zurückgekehrt. Mit dem Ende einer Epoche wird in Japan zum Wochenende gerechnet.
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