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■ Die Nacht, ein ständiger AlptraumMit dem Rücktritt von Premier Malek hat der Dialog zwischen Algeriens Regierung und den Islamisten zwar wieder eine Chance. Aber die Algerier verarmen zusehends und haben Angst

Die Nacht, ein ständiger Alptraum

Hau ab, oder ich bring' dich um.“ Wütend verpaßt der Mann seiner Rivalin einen Fußtritt – einer schwarzen Katze, die zwar mit ängstlichem Miauen zurückweicht, aber keine Anstalten macht aufzugeben: Der Kampf gilt dem kleinen Haufen Essenreste vor einem geschlossenen Restaurant an der Didusch-Murad-Straße im Zentrum von Algier.

Zwar ist es erst sieben Uhr abends, aber die Straßen sind fast menschenleer. Die Geschäfte haben schon vor einer Stunde zugemacht. An einigen Stellen des Luxusboulevards machen sich Obdachlose einen Schlafplatz zurecht; einer hat ein paar alte Zeitungen gesammelt, um sie als Decke zu benutzen, ein anderer ist glücklicher Besitzer eines schäbigen Mantels, mit dem er sich zudecken kann. In einer Häuserecke schließlich eine ganze Familie: Vater, Mutter und drei Kinder. Die nächtlichen Straßen sind ihr Königreich – nicht mal die Polizeistreifen interessieren sich für sie, die während der Nacht zumindest in den wohlhabenden Vierteln patrouillieren.

„Die Zahl der Obdachlosen hat in den vergangenen zwei Jahren massiv zugenommen“, erklärt der Angestellte einer städtischen Behörde. „Nichts funktioniert mehr, die meisten Fabriken sind geschlossen, die Landwirtschaft ist ruiniert, die Zahl der Arbeitslosen ist dramatisch angestiegen. Die Bauern ziehen in die Stadt, um etwas zu Essen zu finden. Alte Leute leben auf der Straße, die Jüngeren gehen in die Berge, um sich den Einheiten der Islamisten anzuschließen.“

Für viele Algerier ist die Nacht ein ständiger Alptraum: Nach Sonnenuntergang können sich die bewaffneten Islamisten fast im gesamten Stadtgebiet frei bewegen, sie kontrollieren vor allem die Armenviertel. „Wenn du nach acht Uhr abends jemanden besuchen willst, wird dir wahrscheinlich nicht geöffnet“, sagt Djamal, ein Schriftsteller, der in ständiger Todesangst lebt. Vor allem die Intellektuellen Algeriens sind den militanten Islamisten ein Dorn im Auge. „Zuerst entführen sie einen Nachbarn ihres Opfers. Ihn zwingen sie, an die Tür zu klopfen und seinen Besuch anzukündigen. Sollte der Mann daraufhin öffnen, ist es schon um ihn geschehen“, beschreibt Djamal das Vorgehen der islamistischen Kommandos.

In Algier blüht darum ein neues Geschäft: Die Herstellung von Stahl- und Eisentüren. Doch es hat sich in vielen Fällen gezeigt, daß auch das neue Sicherheitsequipment verängstigten Algeriern wenig nützt, wenn sie einmal als „Anschlagsziel“ eines der FIS-Militanten ausgewählt worden sind. Nach Berichten von Bürgern kommen die mit dem passenden Gerät und sprengen solche Türen einfach weg. Kürzlich habe es einen Universitätsprofessor erwischt. Das Todeskommando brauchte zwar fast eine halbe Stunde, um seine eiserne Haustür zu zerstören, doch nutzte keiner der verängstigten Nachbarn die kostbare Zeit, um Hilfe herbeizurufen. Das Telephon konnten sie auch nicht benutzen, denn die Islamisten hatten die Leitungen im ganzen Viertel vorher durchtrennt. Auch bei anschließenden Untersuchungen der Polizei wagen Zeugen im allgemeinen nicht, Informationen weiterzugeben. Jede(r) rechnet damit, dann womöglich Opfer des nächsten Anschlages zu werden. Vor allem die Intellektuellen entscheiden sich immer häufiger für die Emigration. Mittlerweile hätten etwa tausend Akademiker in Frankreich um Asyl gebeten, heißt es offiziell in Algier.

Die FIS-Kommandos sind überall und nirgends. Niemand kann ihre Stärke einschätzen. Manche sprechen von Tausenden, andere von Zehntausenden. Ein algerischer Beamter erklärte, dem Geheimdienst lägen derzeit die Listen mit 22.000 Namen gesuchter FIS- Leute vor.

Am nächsten Morgen ist die Didusch-Murad-Straße voller gutgekleideter Menschen. Dazwischen hocken diejenigen, die hier übernachtet haben, und betteln. Auf beiden Straßenseiten patrouillieren auch jetzt Soldaten. Plötzlich kreisen sie einen jungen Mann ein – mit vorgehaltener Maschinenpistole. Sie wollen den Inhalt seiner Plastiktüte sehen. Dann lassen sie ihn laufen. Es gehört zu den Methoden der Islamisten, Pistolen in Plastiktüten zu tragen, auf jemanden zu schießen, um dann im Gedränge zu verschwinden. Wenn die Islamisten einen Menschen töten, der bekanntermaßen in den Diensten der Regierung oder des Militärs stand, so bekunden manche Hauptstadtbewohner ihre Sympathie. Auch das ein Zeichen der allgemeinen Brutalisierung im Land. „Es war seine gerechte Strafe“, heißt es dann. „Solche Leute sind schuld an unserer Lage“, sagen andere. Und wieder andere mutmaßen, daß nicht nur die Islamisten, sondern auch der algerische Geheimdienst Attentate verübt. In einem Armenviertel tanzen junge Leute und Kinder auf einer Straße. Sie haben gerade erfahren, daß der Führer einer kleineren Partei, Allalou, ermordet wurde. „Der Geheimdienst hat seine Partei unterstützt“, so die lakonische Begründung für ihre Freude.

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