■ Mit dem Reaktor Garching auf du und du: Aberwitziges Richtfest
Berlin/München (taz/AP/ dpa) – Die Redner des gestrigen Reaktorrichtfests in Garching kriegten sich nicht mehr ein. Ein „Meilenstein“ für die Neutronenforschung, jubelte Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München. Eine „Quelle für hochqualifizierte Arbeitsplätze“, rief Bayerns Regierungschef Edmung Stoiber. Ganz anders die Gegner des Forschungsreaktors: Das Projekt, schimpften sie, sei ein „Lügengebäude, wie Deutschland es selten erlebt hat“.
Der Streit um den Forschungsreaktor in Garching dauert schon seit 1993, als die Genehmigung beantragt wurde. Zorn erregt das Projekt vor allem, weil es mit hochangereichertem und damit waffentauglichem Uran betrieben werden soll: „Damit können sogar Studenten eine Atombombe bauen, die ausreicht, eine Stadt von der Größe Münchens zu zerstören“, erklärte gestern der Bund Naturschutz. Mißtrauen erregt zudem der Vorgänger- Reaktor aus dem Jahr 1957: Das sogenannte „Atom-Ei“, meinen Anwohner, habe durch einen jahrzehntelang undichten Abwasserkanal Boden und Grundwasser verstrahlt.
Indes verbindet die Münchner TU große Pläne mit dem neuen Forschungsmeiler, der nach CSU-Schätzungen mehr als 900 Millionen Mark kostet und von der Siemens-Tochter KWU gebaut wird. Ziel der TU ist es, in der Neutronenforschung einen Spitzenplatz zu übernehmen. Neutronen sind Grundbausteine der Materie, die keine elektrische Ladung tragen und deshalb relativ weit in andere Materie eindringen können – in der Wissenschaft können sie deshalb als Meßinstrument eingesetzt werden. Sie werden in der Materialforschung, der Umweltanalytik und den Biowissenschaften eingesetzt.
Um besonders starke Neutronenstrahlen zu erzeugen, meint die TU, den Reaktor mit hochangereichertem Uran betreiben zu müssen. Während Gegner dieses Verfahren für risikoreich und überdies für ersetzbar halten, argumentieren die TU-Forscher, eine Kernschmelze sei in dem Forschungsreaktor aus physikalischen Gründen unmöglich.
Freilich sehen Kritiker nicht nur Risiken, die vom Reaktor selbst ausgehen. Sie befürchten, daß die weltweiten Bemühungen, den Handel mit waffenfähigem Uran zu stoppen, durch den Garchinger Meiler unterlaufen werden. Die Vereinigten Staaten verhängten 1992 einen Exportstopp für hochangereichertes Uran, kein Wunder, daß die US-Regierung die bayerischen Pläne schon mehrfach mißbilligte.
Die Garching-Fans beeindruckte dies bisher wenig. Zu behaupten, die Bundesrepublik unterlaufe den Atomwaffensperrvertrag, sagte gestern Ministerpräsident Stoiber, sei „geradezu aberwitzig“. Zu seiner Freude waren die Gegner mit einer Klage gegen die erste Teilgenehmigung im Juli vor dem Bundesverwaltungsgericht gescheitert. Zum Garchinger Glück fehlte dem wahlkämpfenden Landesvater gestern nur noch eine gelungene Festrede. Doch die mußte unterbrochen werden – wegen Stromausfalls. löw
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