: Mit dem Bus zum Leistungskurs
Politik im Alltag: Schulstart beginnt mit rappelvollen Kursen. Vielerorts wurden Klassen aufgelöst und neu gemischt. Englisch mit 33 Schülern, Leistungskurse finden jahrgangsübergreifend oder in einem anderen Stadtteil statt
von KAIJA KUTTER
„So hat Hamburg früher nicht Schule gemacht“, klagt ein Lehrer des Gymnasiums Corveystraße. Für die Siebtklässler der Lokstedter Schule begann das neue Schuljahr dramatisch. Schon am Mittwoch wurde ihnen auf einer Versammlung mitgeteilt, dass aus vier Klassen drei mit jeweils 31 Schülern werden. Auf Zetteln durften sie schreiben, mit wem sie zusammenbleiben wollen. Ein Lehrer: „Da bleiben Tränen nicht aus.“
Kein Einzelfall. Die Sparverpflichtung für die Gymnasien – drei Prozent der Lehrerstellen –führt allerorts zu vollen Klassen und Kursen. So wurden auch am Heinrich Heine Gymnasium in Poppenbüttel die 7. und 8. Klassen je von vier auf drei Klassen zusammengelegt. „Jetzt haben wir dort 32 Schüler. In einem Alter, in dem die Kinder besonders viel Aufmerksamkeit brauchen, machen wir die Klassen größer“, bedauert Schulleiterin Dagmar Wagener. Die Sparverpflichtung gehe „richtig ans Eingemachte“. Größere Klassen würden naturwissenschaftliche Experimente und Gespräche im Unterricht erschweren, berichtet die Vorsitzende der Hamburger Gymnasialschulleiter. Auch würde es schwieriger, „Exotenfächer“ wie einen Leistungskurs Physik zu halten. Am Corvey-Gymnasium wurden in der Not gar Grund- und Leistungskurse in Chemie und Physik zusammengelegt.
„Klassenzusammenlegungen haben wir nicht gemacht, da wären wir auf über 40 gekommen“, berichtet der Schulleiter Hans Kaufmann vom Wandsbeker Charlotte-Paulsen-Gymnasium (CPG). Die Sparwelle habe sich auch dort vor allem auf die Oberstufe ausgewirkt. So würden Schüler der 12. und 13. Klassen in den Fächern Musik, Französisch und Informatik gemeinsam unterrichtet. Kaufmann: „Eine Notmaßnahme, die nicht dem Ideal entspricht.“ Im Leistungskurs Englisch sind 23 Schüler statt der empfohlenen 12. Für die Leistungskurse in Gemeinschaftskunde, Physik und Kunst müssen CPG-Schüler sogar vom Wandsbeker Markt zu Kooperationsschulen in Horn und Billstedt fahren. Kaufmann: „Es sind weite Wege. Aber da fährt ein Bus.“
Weil der Sportlehrer fehlte, hat Kaufmann auch nur für eine 8. Klasse die dritte Sportstunde eingeführt. Für die anderen Klassen würden als Ersatz „sportlich geprägte Wandertage und Schulfahrten“ geplant.
„Für die dritte Sportstunde hätten wir sonst die Förderstunden streichen müssen“, sagt Kaufmann. Das lehne er ab. Seine Jenfelder Kollegin Renate Wiegand von der Otto-Hahn-Gesamtschule hatte da gar keine andere Wahl. Sie musste 10,3 Prozent der Stunden sparen. „Von 20 Förderwochenstunden bleiben uns noch zwei für 500 Schüler“, bedauert sie. Ebenso gravierend sei die Kürzung der Teilungsstunden: „In den Fächern Mathe, Englisch und Deutsch können wir statt sechs nur noch fünf Kurse pro Jahrgang anbieten.“ Die Folge: „Fast alle Schüler finden sich in neuen Lerngruppen wieder.“ Die größeren Kurse habe man bei den Leistungsstärkeren gebildet. So gibt es in Klasse 10 einen Englischkurs mit 33 Schülern. Das Neigungsangebot für den Nachmittag – beispielsweise Jugend forscht – hat der Senat den Gesamtschulen ganz gestrichen. Das Wahlpflichtprogramm wurde zwar erhalten, aber auch hier gibt es größere Kurse und daraus resultierende Probleme. Wiegand: „In unseren EDV-Kursen haben wir jetzt 24 Schüler und nur 18 PCs.“
„Die Organisation steht, aber das heißt nicht, dass die Situation eine gute ist“, sagt auch Frieder Bachteler von der Geschwister-Scholl-Gesamtschule. Auch an seiner Schule, die seit neuestem Ganztagsschule ist, mussten fast alle Lerngruppen neu gebildet werden. Der Eppendorfer Schulleiter, der den „Gesamtschulauftrag unter Druck“ sieht, steht vor einer kuriosen Situation: Als Ganztagsschule hat er weniger Stunden als vor den Ferien, weil den Gesamtschulen mehr gestrichen wurde, als Ganztagsschulen hinzubekommen.
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