■ Mit Versicherungsvertretern auf du und du: Schlechter Rat lohnt sich
Hamburg (taz) – Wer sich von einem Versicherungsvertreter beraten läßt, ist oft schlecht beraten. Jedenfalls meint das die Stiftung Warentest in Berlin. Sie hatte 200 Scheinkunden losgeschickt, um die deutsche Assekuranz und ihre meist freiberuflich arbeitenden Außendienstmitarbeiter zu testen. Nach durchschnittlich einer Stunde waren die Interessenten vom Vertreter abgefertigt – trotz komplizierter Steuerfragen. Test-Urteil: „Die Beratungsqualität ist dürftig.“
Der Beratungsmangel hat gute Gründe. Einer ist die fehlende Ausbildungsqualität. Während angehende Malerinnen erst nach einer dreijährigen Lehrzeit anstreichen und Textilverkäufer nach ebenso langer Zeit Anzüge an den Mann bringen dürfen, benötigen Finanzverkäufer keine Berufsausbildung. Sie brauchen auch keine staatliche Zulassung und nicht einmal eine Registrierung, um Lebensversicherungen mit dreißigjähriger Laufzeit oder millionenschwere Anlagemodelle zu vermitteln. Die Bundesregierung weigert sich standhaft, wenigstens solide Mindeststandards für Ausbildung und Beraterqualität zu schaffen. Eine diesbezügliche EU-Richtlinie aus dem Dezember 1991 harrt weiterhin ihrer Eindeutschung (92/48/EWG).
Die Assekuranz verweist derweil auf ihre/n „Versicherungsfachmann/-fachfrau“, einen Berufsstatus, der vor allem auf Drängen der Gewerkschaften eingeführt worden ist. Voraussetzung ist eine einjährige, firmeninterne „Grundausbildung“ – ein bescheidener Qualitätsnachweis. So geschult sind zudem nur die etwa 100.000 hauptberuflichen, meist „freien“ Außendienstler. Für die Nebenberufler gibt es meist nur eine Anlernphase.
Aber selbst eine dreijährige Ausbildungspflicht, wie in der Kreditwirtschaft, könnte nicht sämtliche Beratungsübel beseitigen: Der Versicherungsmarkt wächst kaum noch, Banken und Direktanbieter dringen in die angestammten Pfründen ein, und obendrein ist Deutschland inzwischen von Vertretern übersättigt. So fürchten die Assekuranzverkäufer um ihren Umsatz und sehen sich zugleich eingezwängt in hausinterne Produktvorgaben. Vorschub für Falschberatung leistet zudem das weitverbreitete Provisionsunwesen. Die Mehrzahl der Finanz- und Policenverkäufer lebt von den prozentualen Erfolgsprämien: je teurer das Versicherungsprodukt, desto höher die Provision. Zwischen zwei und fünf Prozent der Versicherungssumme wird beispielsweise für den Abschluß einer Lebensversicherung vom Vermittler kassiert, das sind schnell mehrere tausend Mark. Wer mag da noch auf Kundenbedürfnisse Rücksicht nehmen? Hermannus Pfeiffer
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