: Mit Sicherheit in den Wahlkampf
CDU-Parteitag setzt Startschuß für Bundestagswahlkampf / Innere Sicherheit im Mittelpunkt / Personalfragen stehen nicht zur Debatte / Kohl-Kritiker ziehen Köpfe ein ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Bis zum Wahljahr 1994 sind es noch knapp vier Monate, bis zur Bundestagswahl vergeht noch ein ganzes Jahr. Aber spätestens morgen beginnt der Wahlkampf. „Wir sichern Deutschlands Zukunft“, unter diesem plakatierbaren Motto steht der CDU-Parteitag, zu dem sich von Sonntag bis Dienstag 1.000 Delegierte in Berlin versammeln werden. Entscheidungen wichtiger innerparteilicher Streitfragen stehen nicht auf dem Programm, ebensowenig Personalentscheidungen. Von den Delegierten wird lediglich eins verlangt: Sie sollen sich hinter dem Kampfbanner versammeln, mit dem die Union in die Wahlschlacht des Jahres 1994 ziehen will.
„Sicherheit“ ist das Zauberwort, mit dem die Wahlkampfplaner im Bonner Konrad-Adenauer- Haus den verdrossenen Bürgern die Stimmabgabe für die CDU schmackhaft machen wollen. Der Leitantrag zur „Inneren Sicherheit“, den der Parteitag verabschieden soll, läßt kaum eine der Forderungen aus, die die Union seit langem erhebt: Die Einführung des Lauschangriffs, schärfere Strafen für Gewalttäter und größere Rechte für Polizei und Verfassungsschutz.
Neu ist nur eine Idee, die der Landesverband Hessen beigetragen hat und den die Bundes-CDU nach den Worten ihres Generalsekretärs Peter Hintze übernehmen will: Ein freiwilliger Polizeidienst, offenbar nach dem Vorbild der ins Zwielicht geratenen Freiwilligen Polizeireserve in Berlin. Die Delegierten wird da mehr interessieren, ob es außer dem konservativen Sachsen Steffen Heitmann auch freiwillige Reservekandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gibt. Eine Debatte oder Abstimmung über den auch bei den Christdemokraten nicht unumstrittenen Steffen Heitmann, dessen Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten am Donnerstag von der CDU beschlossen wurde, steht in Berlin jedoch nicht auf der Tagesordnung.
Die „Verunsicherung“, die Hintze den Bürgern nehmen will, hat inzwischen allerdings auch einige Christdemokraten erfaßt. So entschlossen, wie sie ihre Wunschliste zur Verbrechensbekämpfung vortragen, so unsicher ist unter manchen der Ihren inzwischen, ob Hintzes Wahlkampfstrategie zieht. Nach Björn Engholms Rücktritt konnten sich die CDU-Strategen zunächst die Hände reiben. Jetzt droht ihre Kampagne ins Leere zu laufen, weil Engholms Nachfolger Rudolf Scharping den Streit um den Lauschangriff verweigert. Als Sparringspartner bleibt für die Union da nur noch der eigene Koalitionspartner übrig – die FDP.
Heiner Geißler, Hintzes 1989 von Helmut Kohl geschaßter Vorgänger, warnte seine Parteifreunde bereits öffentlich vor dem neuen Herausforderer. Scharping wolle „die CDU aus der politischen Mitte drängen“ und betreibe „eine ,Christdemokratisierung‘ der SPD, um sie mehrheitsfähig zu machen“, analysierte Geißler in einem langen Interview mit zwei Zeit-Korrespondenten, das dieser Tage als Buch veröffentlicht wurde. Die CDU sollte sich hüten, einen rechten Wahlkampf zu betreiben und „Tagesfragen“ wie die Innere Sicherheit ins Zentrum der Wahlauseinandersetzung zu rücken, mahnte der Dissident.
Das Hauptthema im Wahlkampf werde vielmehr die Arbeitslosigkeit werden – das wiederholte Geißler zuletzt am Mittwoch abend bei der Vorstellung seines Buches in Bonn.
Ernsthaften Widerstand gegen die Unionsstrategie für den Wahlkampf, die Hintze in Berlin öffentlich darlegen will, ist dennoch nicht zu erwarten. Der sächsische Ministerpräsident und Kohl-Gegner Kurt Biedenkopf hat ihm vom Spiegel nachgesagte Putschgelüste glaubhaft dementiert. Selbst Geißler, der wie Biedenkopf in Kohls Union weitgehend isoliert ist, vermeidet bei aller Kritik an der CDU direkte Attacken auf den Kanzler. Nur indirekt wandte er sich gegen dessen Alleinherrschaft: „Die Zukunft gehört nicht den monolithisch geführten Parteien, sondern den interessanten Parteien.“
Ganz monolithisch ging es dennoch auch am Mittwoch abend in der Sitzung des CDU-Präsidiums zu, in der die Unionsspitzen den Parteitag vorbesprachen. Dort war es ausgerechnet Biedenkopfs sächsischer Landesverband, der die Aufgabe zu übernehmen hatte, den Kohl-Mann Heitmann vorzuschlagen. Von dem Dresdner Regierungschef ist zwar bekannt, daß er seinen Justizminister nicht als den bestmöglichen aller denkbaren Weizsäcker-Nachfolger ansieht – doch öffentlich säte er dieser Tage nur ganz leise Zweifel, ob der Mann die richtige Wahl wäre. Biedenkopfs Vorschlag, bei der Präsidentenkür in der Bundesversammlung den Fraktionszwang aufzuheben, macht jedenfalls bei einer Kandidatur Heitmanns für die CDU wenig Sinn – es sei denn, man wollte einigen Unionisten ermöglichen, gegen Heitmann und für den SPD-Mann Johannes Rau zu stimmen.
Vielleicht helfen den Christdemokraten ja die Leitsätze weiter, die sie am Dienstag in einem umfangreichen Antrag zur Bildungspolitik beschließen wollen. Nicht nur für „Ehrfurcht vor Gott“, Patriotismus und Weltoffenheit, Kritikfähigkeit und regelmäßigen Schulsport plädiert die Union da tapfer, sondern auch für die „Verteidigung oft in Frage gestellter Tugenden wie Pünktlichkeit, Ordnung, Ausdauer, Belastbarkeit und Höflichkeit“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen