■ Mit Rußlands Industrie auf du und du: Öl gegen Video
Berlin (taz) – Im Moment ist Rußlands Regierung wieder flüssig. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die monatliche Kreditrate von 330 Millionen Dollar freigegeben, die er im Juli offiziell wegen unbefriedigender Steuereinnahmen Rußlands einbehalten hatte. Die IWF-Delegation gab sich „beruhigt, daß die Regierung alle erforderlichen Haushaltsmaßnahmen getroffen hat“ und die Steuern wie geplant fließen werden.
Doch große Teile der russischen Industrie bringen dem Staat nach wie vor kein Geld. Zwar hat sich der Produktionsrückgang im letzten Jahr stark verlangsamt – doch noch immer zeigt die Kurve nach unten. 1995 wurden drei Prozent weniger Waren hergestellt als 1994. Damit ist der Ausstoß der russischen Industrie seit 1989 um die Hälfte zurückgegangen. Das schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer gestern veröffentlichten Studie.
Ganz fatal sieht es im Maschinenbau aus: Trecker und Laster sind kaum noch abzusetzen, langlebige Konsumgüter wie Fernseher fest in der Hand ausländischer Produzenten. „Bei Videogeräten liegt der Marktanteil von Importerzeugnissen bei 97 Prozent... Dieses dürfte das Aus für die heimische Produktion bedeuten“, schreibt das DIW. Auch andere heimische Konsumgüter lassen die RussInnen in den Regalen liegen. 70 Prozent der Männer entscheiden sich im Schuhladen für Importware, und 65 Prozent der Frauen bevorzugen Blusen aus dem Ausland.
Während das verarbeitende Gewerbe in Rußland nach wie vor schrumpft, wächst die Herstellung von Grundstoffen wieder. Dies geht vor allem auf eine gesteigerte Nachfrage aus dem Ausland zurück. Die chemische Industrie hat sich darauf in den letzten Jahren bereits eingestellt und produziert mehr Grundstoffe, Plastik und Chemiefasern. Reifen, Medikamente, Filme und andere Güter, bei denen die internationale Konkurrenz groß ist, erlitten dagegen starke Einbußen. Auch die Eisen- und Stahlindustrie verzeichnete eine rege internationale Nachfrage nach Vorprodukten. Doch sinkende Weltmarktpreise, die reale Aufwertung des Rubels und gestiegene Energie- und Transportkosten führten dazu, daß durch die Ausfuhr häufig nicht soviel Geld in die Kasse kam, wie die Fabriken für die Herstellung eingesetzt hatten. Die Löhne aber sind an dieser Entwicklung nicht schuld: Sie stiegen deutlich weniger als die Erzeugerpreise.
Insgesamt konnte Rußland seine Exporte 1995 um etwa 18 Prozent steigern: Für 77,3 Milliarden US-Dollar (115 Milliarden Mark) kauften internationale KundInnen ein, während die RussInnen umgekehrt nur Waren für 46,4 Milliarden Dollar orderten. Doch die Struktur des Warenaustausches verschiebt sich immer mehr dahin, daß Rußland wenig Verarbeitetes liefert und dafür Konsumgüter und Hochtechnik einkauft. Annette Jensen
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