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Mit Porsche und Bauch „Rezzo“

DER taz-SOMMERROMAN (II): Dr. Heinrich (45, Die Grünen) ist neu in Berlin als Ministerialrat im Umweltministerium. Er wuchs mit Joschka auf und findet Ludger furchtbar wie einen Bruder. Vor allem braucht er eine Frau. Kriegt er die neurotische Künstlerin rum?

Meist kommt man nicht vorbei an den Galerie-Openings in Mitte. Das läuft ja unter Kultur. Gerade als Grüner muss man das gut finden, zudem beginnen die Partys erst später. Man sortiert schon mal das Frauenangebot, was kann so schlecht daran sein? Nichts Menschliches sei uns fremd, forderte Goethe.

Immer wieder Auguststraße, es ödet halt doch. Bonn, Frau, die Kinder: das war noch richtig öd, ein anderer Planet, aber hier: nee. Kleinwüchsige MittdreißigerInnen mit kurzen Haaren, Minirock, Piercing, uncool Bairisch sprechend.

Gewiss, ich bin dick. Ich bin ein Grüner, der Porsche fährt: wenigstens ein Widerspruch. Wo ist der Widerspruch bei diesen Frauen? Waren eigentlich Künstlerfrauen auch in den 20er-Jahren so hässlich (Fotos legen es nahe)? Doch dann: Es ist kaum zu beschreiben, das Gefühl, wenn man nach über zwei Stunden das erste hübsche Gesicht entdeckt.

Natürlich die Künstlerin selbst. Sie trug zwei Unterhemden übereinander (sodass man viel Haut sah) und hatte einen herrlichen Rundbusen, wenn ich das einmal so sagen darf. Diese Frau hatte noch Körpergefühl! Hohe Stirn, schlankes Gesicht, freche Grübchen, wehende Haare, har har, mit der musste ich mal anständig über Kunst und Kommerz diskutieren ... ich pirschte mich heran, mit Weinglas und Hängebauch. Wirklich schöne Frauen störten sich nicht an dicken Männern, das war dann second order, wie Luhmann erklärte, Mann war prominent, bedeutungstechnisch gesehen. Da heißt der Bauch nicht „unattraktiv“, sondern „Rezzo“.

Nun war aber auch Ludger gekommen, und ich musste mit ihm natürlich ein paar Worte wechseln. Er war mir wie ein Bruder, obwohl ich ihn irgendwie furchtbar fand. Warum, weiß ich nicht. Dabei war ich mit ihm keinesfalls aufgewachsen.

Mit Joschka war ich aufgewachsen. Wir kommen aus demselben kleinen Dorf. Da war der Ludger noch auf Schalke (ist er heute noch). Ich fragte ihn also nach der Künstlerin, ob sie zu haben sei. „Finger weg, Porsche. Die ist doch in ganz Mitte bekannt für ihre Berührungsneurose.“

Das fand ich nun erst recht spannend. Ich sprach sie an. Sie legte sofort los (klar doch!) und bezeichnete sich als intelligente, bewusst mit den Markt- und Distributionsgesetzen umgehende Künstlerin. Sie arbeite mit Logo, Marke, Corporate Identity, bla. „Der Markt hemmt ja so die Kreativität“, schloss sie, und ich nippte am Weißweinglas und fragte, ob sie wirklich eine waschechte Berührungsneurose habe, das fände ich verstörend, ich hätte zu diesem Punkt eine sehr persönliche Einstellung.

Sie wollte darüber nicht reden, aber ich hatte so Feuer gefangen, dass ich schnell auf Wowereit zu sprechen kam. Darüber sprachen ja alle gern. „Ich kenne einen Schwulen, der TRÄUMT von seinem Klaus: der träumt, wie er auf offiziellen Bällen und Staatsempfängen von Wowereit vorgestellt wird: „Und dies ist mein Mann!“

Wie erwartet stieg sie voll auf das Thema ein, machte Schwulenwitze, wurde dann ernst, Wahlkampf und so, sie sah in mir ja keinen Witzbold. Schließlich wollte sie schöntun und erzählte von ihren Heldentaten aus der Schulzeit. Aufgestanden gegen rechte Lehrer, schwache Schüler verteidigt, bla. Dann ging sie ins Badezimmer. Ich ging hinterher, drängte mich durch die Tür. Sie war irritiert, zog aber ihren Rock aus, eine Übersprungshandlung.

Ich sagte: „Heute ist der Frontverlauf an den Schulen genau umgekehrt. Nicht mehr schwache Schüler werden von Schweinelehrern drangsaliert, sondern schwache Lehrer von gewaltbereiten Nazischülern.“

Sie hatte die schönsten Beine, wirklich. Ganz lang und wohl geformt, man sah nicht einmal das Knie. Seltsame Frau.

Ich fasste ganz behutsam ihre rechte Wange. Wie Ludger gesagt hatte, zuckte sie wie unter einem 220-Volt-Schlag zusammen. Sie hatte tatsächlich eine Berührungsneurose. Ich sagte: „Weißt du, dass wir fast dasselbe Problem haben? Du erträgst es nicht, angefasst zu werden, und ich ertrage es nicht, nicht angefasst zu werden.“

Sie starrte starr geradeaus wie ein Alien. Ich sagte behutsam: „Sei ganz ruhig. Hab Vertrauen. Niemand wird mit dir schlafen.“

Dabei fuhr ich ihr väterlich über das schöne Haar. Wieder zuckte sie wie auf dem elektrischen Stuhl. Ich fasste ihre Beine, ihre Knie, fasste schon den herrlichen Rundbusen ins Visier, aber die Reaktion war überall die gleiche, es hatte keinen Zweck. Was tun? Ich fragte, ob wir die Nacht zusammen verbringen wollten.

Starres Schweigen. Die Dame hatte ein Problem, das ich nicht lösen konnte. So war Berlin.

Und auf der Party sonst nur denaturierte Kunstschnepfen. Ich ging mit Ludger ins Kino. Fortsetzung nächsten Samstag.

JOACHIM LOTTMANN IST SCHRIFTSTELLER („DEUTSCHE EINHEIT“).

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