: Mit Müller gegen den Identitätsverlust
■ Heiner Müller wurde zum neuen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR gewählt
Heiner Müller wurde am Montag abend in geheimer Wahl zum neuen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR gewählt. Mit Müller, dem wichtigsten DDR-Dramatiker nach Brechts Tod, entschied sich die Akademie gegen einen lautlosen Abgang in die deutsche Einheit. Der ehemalige Präsident Manfred Wekwerth sprach sich in seiner Abschiedsrede gegen eine kurzfristige Vereinigung mit der Westberliner Akademie und für ein „Einbringen der Leistungen der DDR-Kultur in die deutsche Kultur“ aus. Neue Vizepräsidenten sind der Filmemacher Heiner Carow, der Schriftsteller Stefan Hermlin, der Bildhauer Werner Stötzer und die Komponistin Ruth Zechlin.
Vor dem Hintergrund der in der deutschen Presse laufenden Diskussion über die Mitverantwortung der DDR-Künstler an 40 Jahren Staatssozialismus ist die Neubesetzung der Akademiespitze eine Entscheidung, mit der sich die Angegriffenen zum Gegenschlag gerüstet haben. Müller ist einer der wenigen Künstler des Landes, an dem der Vorwurf der Provinzialität abprallt und dessen Person nur schwer zur Projektionsfläche verspäteter Selbstverwirklichungsversuche desillusionierter Kritiker taugt. Wenn es dem Dramatiker gelingt, in der aktuellen Auseinandersetzung um die DDR -Kultur nicht den Blick zurück zu vergessen, kann die Akademie zu einem politischen Faktor in der anstehenden Debatte um die Einigungsmodalitäten werden. Es besteht allerdings die Gefahr, daß aus falsch verstandener Solidarität die Aufarbeitung der Vergangenheit der nicht unbelasteten Institution auf der Strecke bleibt. Immerhin hatte etwa Günter Kunert Anfang des Jahres bei der Vorführung der DEFA-Tresorfilme sich schriftlich gegen eine Akademie verwahrt, in der „Stalinisten und Opportunisten Schattenkämpfe führen“.
Müllers Renommee werden sich viele Trittbrettfahrer zunutze zu machen wissen. Ob der Dramatiker hier das nötige Durchsetzungsvermögen besitzt? Bislang hielt Müller zu den kulturpolitischen Diskussionen eher Distanz. Mit seinem „nur wenn man aus der Zeit aussteigt, kann man auf sie Einfluß nehmen“, wird er es künftig schwer haben.
Andre Meier
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