: Mit Möllemann ist Schalke der Nabel der Welt
Der Fußballfreund und Bildungsminister als Versammlungsleiter / Die Präsidentschaftskandidaten verblassen neben Möllemann / Morddrohungen im Wahlkampf und Zahlenschiebereien bei der Stimmenauszählung ■ Von Bernd Müllender
Gelsenkirchen (taz) - Der 2.Vorsitzende referiert zur Lage und hat an den Autokennzeichen erkannt: „Ganz Deutschland ist hier.“ Er kann 132 Vertreter der Presse begrüßen und schlägt vor, die Mitgliederversammlung des FCSchalke04 demnächst exklusiv gegen Bares an einen Fernsehsender zu verkaufen. Trommelndes Gelächter, und alle wissen: Schalke ist mal wieder der Nabel der Welt. Da darf auch er nicht fehlen, der Schnauzbart, der sogleich einstimmig und unter großem Jubel zum Versammlungsleiter gewählt wird. Mit lockerem Schwung erklimmt er das Podium. Jürgen W.Möllemann, einfaches Vereinsmitglied und nebenher Bundesbildungsminister, genießt seine unumstrittene Popularität bei den Kumpels aus dem Pott: „Ich hoffe, ihr lieben Schalker“, sagt er, „ihr geht besser mit mir um als in München die Studenten.“ Johlendes Gelächter. Möllemann ist ein Schalker Jung‘.
Schalke04, die ehemalige blau-weiße Fußball-Legende, heute ins tiefe Mittelmaß der 2.Liga versunken, versuchte (wieder einmal), einen Präsidenten zu wählen. Zu diesem Geschäft gehören seit jeher Chaos, erbitterte Intrigen, verschollene Millionen und Peinlichkeiten aller Art. Auch diesmal wollen alle Kandidaten Morddrohungen bekommen haben, Autoreifen seien durchstochen worden, und es war der schmutzigste Wahlkampf, den es je gab.
Minister Möllemann ist auf dieser außerordentlichen Mitgliederversammlung der Fels in der Brandung. Er hat die 1.500 im vollgepackten Saal im Griff, weiß sich darzustellen als perfekter Regisseur in der eigenen und der Schalker Sache. Wenn alle ob irgendeines Redebeitrags lachen, lächelt er gleich kokett hinterher, und wenn sich ein Redner mal verhaspelt, hilft er ihm freundlich weiter. Er weiß auch bei aller Souveränität in Sprache und Gestus - „dat is en bißken schwer, versteh ich ja“ - die Geschäftsordnung zu erläutern. Honig ums Maul gibt's immer wieder, es seien ja mehr Presseleute gekommen „als bei der Amtseinführung von George Bush“. Die hat noch gar nicht stattgefunden, aber solch kleine Fehler werden ihm mit tosendem Beifall verziehen. Wichtig ist, an der richtigen Stelle Koketterie und kaum merklichen Spott einzuflechten und mit dem einen oder anderen Versatzstück heimatlichen Slangs zu reden.
Welch mühsamen Kampf fochten gegen diese einsame Personalityshow die fünf Kandidaten aus! Wie hölzern und erfolglos buhlten sie um die Gunst der Wähler. Einer, ein Gelsenkirchener Fliesenleger (weißes Hemd, blauer Seidenschal) will „eine Viertelmillion, also mit anderen Worten 250.000 Mark“ spenden „und einen VW-Bus für die Jugend“. Aber: „Entweder ich gewinne oder behalte das Geld.“ Das ist keine bedingungslose Vereinsliebe. Ausgeschieden! Ein anderer, 62jähriger („Wat will der Oppa denn hier?“, „Mach endlich fertich, du Marionette!“), redet viel zu lang und sagt, wie grauenvoll, „weiß-blau“ statt blau-weiß. Das Aus! Bleibt nur noch der Düsseldorfer Günter Eichberg, ein Geschäftsmann zwischen smart und schmierig, der sechs private Krampfaderkliniken sein Eigen nennt. Als Eichberg besonders elegant zum Mikro eilt, fällt er erstmal hin, so daß die wohlondulierten Haare zerzausen. Da kann sich auch Möllemann das Grinsen nicht verkneifen, aber der Schalker aus Düsseldorf hat Argumente: Zwar sei er kein gebürtiger Schalker und man möge ihn als Düsseldorfer „nicht in Sippenhaft nehmen“, wo doch seine Mutter aus einer „Bergarbeiterfamilie mit zwölf Kindern“ stamme, sagt der Kandidat. Applaus. „Wir woll'n all‘ in die Bundesliga zurück“, müht er sich um gefärbtes Deutsch. Starker Applaus. Er erklärt, wie es unter ihm „mit den Mücken stehen“ wird und schließt mit der Liebeserklärung: „Schalke marrich geane!“ Riesenapplaus.
Alle wissen: Er macht's. Möllemann spielt während der Stimmenauszählung den Conferencier. Zwischendurch wendet er sich einfachen Mitgliedern zu, die sich an seinem Pult hochrecken, gibt Autogramme, fachsimpelt über die sportliche Lage. „Ach, Herr Möllemann“, sagt einer gerührt, „Sie wären der Richtige als Präsident!“ - „Ja, aber Sie wissen doch: Bonn...“ Alle wissen, aber wenn er wollte, dann wissen auch alle, wie die Wahl ausginge... Bisher hat er immer abgelehnt.
22 Uhr 31 - Jürgen W.Möllemann verkündet das Wahlergebnis. Weißer Rauch. Habemus praesidentam. Über 90 Prozent für den Sohn der Bergarbeitermutter. Das Lied soll Eichberg jetzt traditionsgemäß anstimmen, die Vereinshymne „Blau und Weiß, wie lieb ich dich“. Doch dafür ist sich der Mann zu fein. Kein gutes Omen. Doch Jürgen W. ist zufrieden, daß es so reibungslos und schnell ging. Daß die von ihm verkündeten Einzelergebnisse in der Summe erhebliche Differenzen zur Zahl der abgegebenen Stimmen aufwiesen, ach, das sei doch nicht so wichtig. „Hauptsache, Schalke 04 stimmt, nicht wahr?“ - „Jau!“, lacht der Minister lauthals, „auf diese Zahl kommt es an“, und verschwindet. Auf solche Lächerlichkeiten wie korrekte Stimmauszählung kommt es bei Schalke ja nun wirklich nicht an.
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