piwik no script img

Mit MGs gegen die Bürgerbewegung

■ In Halle wollte die Stasi 1989 ihre Einrichtung mit Waffengewalt verteidigen / Die Schützen waren bereits benannt, dann überrollte die Wende die Tschekisten

Berlin (taz) – Der Befehl war knapp, dafür aber unmißverständlich: „Sie haben die Aufgabe, in den ihnen zugewiesenen Einsatzbereichen jegliche feindliche Einwirkung auf das Dienstobjekt der Bezirksverwaltung mit aller Konsequenz zu verhindern.“ Am 3. November 1989, die Wende in der DDR war bereits voll im Gang, organisierte die Staatssicherheit in Halle den Selbstschutz – notfalls mit Waffengewalt, wie aus Unterlagen des Spitzelministeriums hervorgeht, die jetzt bei der Gauck- Behörde gefunden wurden.

Der Einsatzbefehl, als geheime Verschlußsache deklariert, belegt: 35 Genossen waren namentlich auserkoren, die „standhafte Verteidigung des Dienstobjektes“ zu gewährleisten und die zugewiesenen Einsatzbereiche „unter allen Umständen zu halten“. Major Steffen sollte mit 18 Mitarbeitern die fünfte Etage, Major Schulze mit 15 weiteren Tschekisten den vierten Stock der Stasi-Einrichtung verteidigen. In einer Skizze wurden detailliert die Standorte der einzelnen Mitarbeiter mit ihren Maschinenpistolen und leichten Maschinengewehren festgelegt. Verantwortlich für die Planung zeichnete Oberstleutnant Zacharias, bestätigt wurde der Befehl vom Leiter der Bezirksverwaltung, Generalmajor Schmidt.

Die Stasi-Spitze in Halle handelte offenbar in eigener Verantwortung, denn der damals noch amtierende Armeegeneral Mielke hatte in einer Dienstanweisung einen Schußwaffengebrauch (mit Ausnahme der Selbstverteidigung) untersagt. Auch Honeckers Nachfolger Krenz hatte die Sicherheitsorgane darauf verpflichtet, bei den massenhaften Protestkundgebungen der Opposition die Waffen zu Hause zu lassen.

Die jetzt aufgefundenen Unterlagen ziehen dennoch die wiederholten Beteuerungen früherer hochrangiger Stasi-Offiziere in Zweifel, die den friedlichen Verlauf der Wende auf ihre Einflußnahme in den Sicherheitsorganen zurückführen. Daß die Einsatzplanung in Halle nicht zum Zuge kam, ist wohl eher der damaligen rasanten Implosion des Staatsapparates geschuldet. Als zwischen dem 3. und 6. Dezember in vielen Städten der DDR die Gebäude der Stasi besetzt wurden, waren die innerdeutschen Grenzen bereits geöffnet, waren Politbüro und ZK der SED zurückgetreten und der Führungsanspruch der SED aus der DDR-Verfassung gestrichen.

In Halle konnte am 5. 12. 1989 denn auch von einer Stürmung des Stasi-Gebäudes keine Rede sein. Nach einer friedlichen Demonstration vor dem Haus öffneten sich die Türen der Bezirksverwaltung von innen, die Delegation der Demonstranten wurde freiwillig eingelassen. Wolfgang Gast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen